Behandelter Abschnitt 5. Mose 3,1-11
Rückblick auf die Ereignisse jenseits des Jordan
Gott ist uns keine Rechenschaft schuldig
Die Anweisungen Gottes über den König von Basan waren denen über den König der Amoriter ganz ähnlich (V. 1–7). Um beide verstehen zu können, müssen wir sie im Licht der Regierung Gottes betrachten – ein wichtiger, wenn auch wenig verstandener Gegenstand. Wir müssen zwischen Gnade und der Regierung Gottes deutlich unterscheiden. Wenn wir die Regierungswege Gottes betrachten, so sehen wir, wie Er in Gerechtigkeit seine Macht entfaltet. Er bestraft die, die Böses tun, gießt seinen Zorn aus über seine Feinde, stürzt Reiche und errichtet neue Machtbereiche, zerstört Städte und vertilgt Nationen, Völker und Stämme. Er befiehlt seinem Volk, Männer, Frauen und Kindlein mit der Schärfe des Schwertes zu erschlagen, ihre Häuser zu verbrennen und ihre Städte zu verwüsten.
Andererseits hören wir aus seinem Mund die merkwürdigen Worte: „Menschensohn, Nebukadrezar, der König von Babel, hat sein Heer eine schwere Arbeit tun lassen gegen Tyrus. Jedes Haupt ist kahl geworden, und jede Schulter ist abgerieben; und von Tyrus ist ihm und seinem Heere kein Lohn für die Arbeit geworden, die er gegen es getan hat. Darum, so spricht der Herr, Herr: Siehe, ich gebe Nebukadrezar, dem König von Babel, das Land Ägypten, und er wird seinen Reichtum wegtragen und seinen Raub rauben und Beute erbeuten, und das wird der Lohn sein für sein Heer. Als seine Belohnung, für die er gearbeitet hat, habe ich ihm das Land Ägypten gegeben, weil sie für mich gearbeitet haben, spricht der Herr, Herr „ (Hes 29,18-20).
Diese Schriftstelle zeigt sehr klar die Regierung Gottes, die sich in allen Schriften des Alten Testaments wieder finden lässt. Ob wir uns zu den fünf Büchern Mose oder zu den geschichtlichen Büchern, den Psalmen oder zu den Propheten wenden, überall finden wir, wie der Heilige Geist Einzelheiten des Handelns Gottes in seiner Regierung aufzeichnet. In den Tagen Noahs zerstörte die Sintflut die ganze Erde und alle ihre Bewohner; mit Ausnahme von acht Menschen kamen alle um. Männer, Frauen, Kinder, Vieh, Vögel und Gewürm – alles wurde nach Gottes gerechtem Gericht unter den Wellen und Wogen begraben.
In den Tagen Lots zerstörte Gott die Städte des Tales Siddim, und die Männer, Frauen und Kinder starben in wenigen Stunden. Die Hand des allmächtigen Gottes ließ alles in den Wassern des Toten Meeres untergehen. Gott selbst war es, der jene schuldigen Städte, Sodom und Gomorra, „einäscherte und zur Zerstörung verurteilte und sie denen, die gottlos leben würden, als Beispiel hinstellte“ (2Pet 2,6).
Wenn wir weiter im Wort Gottes forschen, finden wir die sieben Völker Kanaans – Männer, Frauen und Kinder – den Händen der Kinder Israel ausgeliefert; sie sollten schonungslos Gericht an ihnen ausüben. Wie viele Menschen kamen dort um!
Die Zeit fehlt uns, wenn wir alle Stellen vom ersten Buch Mose anfangend bis zur Offenbarung anführen wollten, die uns die ernsten Wege und Handlungen der Regierung Gottes vor Augen stellen. Sie beginnen mit der Sintflut und enden mit dem Verbrennen des gegenwärtigen Weltsystems. Die Frage ist nun: Sind wir in der Lage, die Regierungswege Gottes zu erklären, oder berechtigt, sie zu kritisieren? Können wir die tiefgründigen und erhabenen Geheimnisse der Absichten Gottes enträtseln? Sind wir imstande und auch dazu berufen, zu begründen, warum hilflose Kindlein in das Gericht ihrer schuldigen Eltern miteingeschlossen wurden? Der Unglaube verurteilt das und nimmt Anstoß daran, aber der Gläubige, der mit Ehrerbietung die Heilige Schrift liest und sich vor dem Wort beugt, antwortet einfach: „Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?“ (1Mo 18,25).
Das ist die einzig richtige Antwort auf solche Fragen, wenn Menschen im Blick auf die Regierungswege Gottes entscheiden wollen, was Gott zu tun und zu lassen hat. Solche Menschen haben keinen Begriff von Gott, und der Teufel hat gewonnenes Spiel. Denn er wünscht das Herz von Gott abzuziehen, und deshalb verführt er den Menschen, über Fragen und Dinge nachzudenken, die weit außerhalb des Bereichs seiner Erkenntnismöglichkeit liegen. Können wir Gott begreifen? Wenn wir es könnten, müssten wir selbst Gott sein.
Die Menschen, die überheblich die Ratschlüsse und Handlungen eines erhabenen Schöpfers und Regenten des Weltalls infrage stellen, werden früher oder später ihren verhängnisvollen Irrtum erkennen. Von ihnen sagt Gottes Wort: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott? Wird etwa das Geformte zu dem, der es geformt hat, sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre und das andere zur Unehre zu machen?“ (Röm 9,20.21).
Wie einfach und doch unwiderlegbar! Wenn ein Töpfer den Klumpen Lehm, den er in der Hand hält, bearbeiten kann, wie er will, wie viel mehr Macht hat dann doch der Schöpfer aller Dinge über die Geschöpfe, die Er gebildet hat! Die Menschen mögen bis an ihr Ende darüber nachsinnen, warum Gott es zuließ, dass die Sünde in den Menschen hineinkam, warum Er nicht Satan und seine Engel mit einem Schlag vernichtete, warum Er der Schlange erlaubte, Eva zu versuchen, warum Er sie nicht zurückhielt, die verbotene Frucht zu essen. Auf alle diese Fragen gibt es nur eine Antwort: „Wer bist du denn, o Mensch, der du das Wort nimmst gegen Gott?“ Ist es nicht ungeheuerlich, dass ein nichtiger Mensch sich herausnimmt, die unausforschlichen Gerichte und Wege des ewigen Gottes beurteilen zu wollen? Welch eine Torheit und Anmaßung ist es für ein Geschöpf, dessen Verstand durch die Sünde verfinstert ist (Eph 4,18), zu beurteilen, wie Gott in dem einen oder anderen Fall hätte handeln sollen! Ach, wie viele Menschen, die jetzt selbstsicher gegen die Wahrheit Gottes streiten, werden ihren verhängnisvollen Irrtum erst erkennen, wenn es zu spät ist, sich zu korrigieren.
Doch es gibt auch solche, die weit davon entfernt sind, sich auf den gleichen Boden mit den Ungläubigen zu stellen, nichtsdestoweniger aber die Regierungswege Gottes bezweifeln, so zum Beispiel die ewige Verdammnis4. Ihnen möchten wir raten, den kurzen Psalm 131 aufrichtig zu untersuchen: „Herr, nicht hoch ist mein Herz, noch tragen sich hoch meine Augen; und ich wandle nicht in Dingen, die zu groß und zu wunderbar für mich sind. Habe ich meine Seele nicht beschwichtigt und still gemacht? Wie ein entwöhntes Kind bei seiner Mutter, wie das entwöhnte Kind ist meine Seele in mir.“ In ähnlicher Weise spricht der Apostel Paulus zu den Korinthern: „Denn obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch; denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen; indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2Kor 10,3-5).
Mancher Philosoph, mancher Gelehrte und Denker mag darüber lächeln, dass eine so wichtige Frage in so kindlich-einfacher Weise behandelt wird. Aber ihr Urteil ist für einen Jünger Christi nicht maßgeblich. Der Apostel Paulus ist sehr schnell fertig mit der Weisheit und Gelehrsamkeit dieser Welt. Er sagt: „Niemand betrüge sich selbst. Wenn jemand unter euch meint, weise zu sein in diesem Zeitlauf, so werde er töricht, um weise zu werden. Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott; denn es steht geschrieben: „Der die Weisen fängt in ihrer List! Und wiederum: ‚Der Herr kennt die Überlegungen der Weisen, dass sie nichtig sind‘“ (1Kor 3,18-20). Und an einer anderen Stelle: „Denn es steht geschrieben: ‚Ich will die Weisheit der Weisen vernichten, und den Verstand der Verständigen will ich hinwegtun‘“ (1Kor 1,19). „Wo ist der Weise? wo der Schriftgelehrte: wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil ja in der Weisheit Gottes die Welt durch die Weisheit Gott nicht erkannte, so gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten“ (1Kor 1,21).
Hierin liegt das große Geheimnis: Der Mensch muss erkennen, dass alle Weisheit der Welt Torheit ist. Eine demütigende, aber heilsame Wahrheit! Demütigend, weil sie den Menschen an seinen rechten Platz stellt, heilsam, weil sie die Weisheit Gottes hervorbringt. Es wird heutzutage viel über Wissenschaft und Philosophie geredet. Aber „hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht“?5
Die Welt hat durch die Weisheit Gott nicht erkannt. Was hat die berühmte Philosophie Griechenlands für ihre Anhänger getan? Sie machte sie zu unwissenden Anbetern eines „unbekannten Gottes“. Die Inschrift auf ihrem Altar verkündigte der ganzen Welt ihre Unwissenheit und Schande. Und können wir nicht mit Recht fragen, ob die Philosophie für das Christentum Besseres geleistet hat als einst für Griechenland? Hat sie die Kenntnis des wahren Gottes vermittelt? Millionen von christlichen Bekennern wissen heute von dem wahren Gott kaum mehr als jene Philosophen, die in Athen mit Paulus zusammentrafen.
Wie lernen wir denn Gott kennen? „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh 1,18). Das ist eine einfache und göttlich klare Antwort. Jesus ist es, der uns Gott und den Vater offenbart. Wir sind nicht auf ein Geschöpf angewiesen, um zu lernen, wer Gott ist, obgleich wir in der Schöpfung seine Macht, Weisheit und Güte erkennen. Wir sind auch nicht auf das Gesetz angewiesen, obwohl wir darin seine Gerechtigkeit erkennen. Nein, wenn wir wissen wollen, wer und was Gott ist, so müssen wir Jesus Christus betrachten, den eingeborenen Sohn Gottes, der vor Grundlegung der Welt im Schoß des Vaters war als seine Wonne, den Er liebte und der der Mittelpunkt aller seiner Ratschlüsse ist. Getrennt von Jesus gibt es keine Erkenntnis Gottes. Aber „in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9). „Denn der Gott, der sprach: Aus Finsternis leuchte Licht, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi“ (2Kor 4,6).
4 Da viele über diese Frage beunruhigt sind, will ich sie hier etwas ausführlicher behandeln. Es gibt drei Punkte, die jeden Christen in dieser Lehre befestigen können: I. Das Wort „unaufhörlich“ oder „ewig“ kommt siebzigmal im Neuen Testament vor. Es wird angewandt auf das „Leben“, das die Gläubigen besitzen, auf die „Wohnungen“, in die sie aufgenommen werden und auf die „Herrlichkeit“, die sie genießen werden. Es findet sich in Verbindung mit „Gott“, mit der „Seligkeit“, deren Urheber der Herr Jesus ist, mit der „Errettung“, die Er für uns erworben hat, und endlich in Verbindung mit dem „Geist“. Von diesen siebzig Stellen gibt es sieben, in denen dasselbe Wort (aionios) angewandt wird auf die „Strafe“ der Gottlosen, auf das „Gericht“, das über sie kommen wird und das „Feuer“, das sie verbrennen wird. Nach welchem Prinzip oder mit welchem Recht kann man nun diese sieben Stellen aussondern und behaupten, dass hier das Wort aionios nicht in dem Sinn von „ewig“, in den übrigen dreiundsechzig aber wohl in diesem Sinn gebraucht wird?
Eine solche Behauptung entbehrt jeder Grundlage. Hätte der Heilige Geist ein anderes Wort gebraucht als in den übrigen Stellen, wenn Er von dem Gericht über die Gottlosen spricht, so müssten wir seine Bedeutung untersuchen. Aber Er verwendet durchaus dasselbe Wort, so dass mit der Leugnung der ewigen Ver dammnis auch notwendigerweise das ewige Leben, die ewige Herrlichkeit, den ewigen Geist, den ewigen Gott, kurz alles, was ewig ist, leugnen müssen. Wenn die Strafe nicht ewig ist, so ist nichts ewig. An dieser Wahrheit rütteln, heißt die ganze göttliche Offenbarung antasten. II. Den zweiten Beweis liefert uns die Tatsache der Unsterblichkeit der Seele. Wir lesen in 5. Mose 12,7: „Und Gott der Herr bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ Schon diese eine Stelle zeigt, dass der Mensch eine unsterbliche Seele hat.
Der Sündenfall ändert nichts daran. Gefallen oder nicht gefallen, unschuldig oder schuldig, bekehrt oder unbekehrt – die Seele existiert ewig. Die ernste Frage ist nur: „Wo wird sie leben?“ Gott kann in seiner Gegenwart die Sünde nicht dulden. „Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, und Mühsal vermagst du nicht anzuschauen“ (Hab 1,13). Wenn daher ein unbekehrter Mensch, ohne Vergebung seiner Sünden, stirbt, so kann er gewiss nicht dahin kommen, wo Gott ist. Ja, er wird nicht einmal wünschen, dahin zu kommen. Für ihn gibt es nichts als eine endlose Ewigkeit in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt. III. Wir glauben, dass die Wahrheit von der ewigen Verdammnis in enger Beziehung zu dem umfassenden Charakter des Versöhnungswerkes unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus steht. Wenn nur ein ewig wirkendes Opfer uns von den Folgen der Sünde befreien konnte, so müssen die Folgen ebenfalls ewig sein. Dieser Beweis mag vielleicht manchem unwesentlich erscheinen; aber für uns ist er überzeugend. Wir müssen die Sünde und ihre Folgen mit demselben Maß messen wie die Liebe Gottes und ihre Ergebnisse, nicht mit dem Maßstab des menschlichen Gefühls oder der menschlichen Vernunft, sondern allein mit dem Maßstab des Kreuzes Christi.↩︎
5 Wir müssen unterscheiden zwischen aller echten Wissenschaft und der „fälschlich sogenannten Kenntnis“, zwischen den Tatsachen, die eine Wissenschaft ans Licht gebracht hat und den Schlüssen der Gelehrten. Die Tatsachen sind das, was Gott tut und getan hat. Aber wenn der Mensch sich daran begibt, aus diesen Tatsachen seine Schlüsse zu ziehen, so kann er in große Irrtümer geraten. Doch gibt es auch manche Wissenschaftler, die Gott den ihm gebührenden Platz geben und unseren Herrn Jesus Christus aufrichtig lieben.↩︎