Behandelter Abschnitt 5. Mose 1,6-8
Befehl Gottes zum Aufbruch
Wir kommen jetzt zu den Worten Moses: „Der Herr, unser Gott, redete zu uns am Horeb und sprach: Lange genug seid ihr an diesem Berg geblieben; wendet euch und brecht auf und zieht zum Gebirge der Amoriter und zu allen ihren Anwohnern in der Ebene, auf dem Gebirge und in der Niederung und im Süden und am Ufer des Meeres, in das Land der Kanaaniter und zum Libanon, bis zu dem großen Strom, dem Strom Euphrat“ (V. 6.7).
Wir werden in dem ganzen fünften Buch Mose finden, dass der Herr viel unmittelbarer mit dem Volk verkehrt als in den vorhergehenden Büchern. In der obigen Stelle wird weder die Wolke noch die Trompete erwähnt. „Der Herr, unser Gott, redete zu uns.“ Aus dem vierten Buch wissen wir, dass das Volk durch die Wolke geführt wurde und den Schall der Trompete hörte. Hier fehlt beides. Die Worte klingen vertraulicher – „Der Herr, unser Gott, redete zu uns am Horeb und sprach: Lange genug seid ihr an diesem Berg geblieben“.
Das ist wohltuend. Es erinnert an die Patriarchenzeit, als der Herr mit den Vätern redete, wie ein Mensch mit seinem Freund redet. Er kam ihnen so nahe, dass weder Vermittlung noch eine Zeremonie nötig war. Er besuchte sie, setzte sich mit ihnen nieder und nahm ihre Gastfreundschaft an wie bei einer persönlichen Freundschaft. Und gerade diese Einfachheit ist es, die den Erzählungen des ersten Buches Moses einen ihrer besonderen Reize verleiht.
Im zweiten, dritten und vierten Buch Mose finden wir etwas ganz anderes. Dort wird uns ein umfassendes System von Vorbildern und Schatten, Gebräuchen und Verordnungen vorgestellt, das dem Volk für jene Zeit auferlegt wurde und dessen Bedeutung von dem Apostel im Hebräerbrief entfaltet wird (vgl. Heb 9,8-10).
Unter diesem System befanden sich die Israeliten in einer bestimmten Entfernung von Gott. Es war nicht mehr so, wie es einst bei den Vätern gewesen war. Knechtschaft, Dunkelheit und Entfernung waren charakteristisch für das levitische System, was die Gesamtheit des Volkes betrifft. Andererseits weisen die Vorbilder auf das große Opfer hin, das die Grundlage aller Ratschlüsse und Vorsätze Gottes ist und durch das Er in Übereinstimmung mit seiner vollkommenen Gerechtigkeit und seiner ganzen Liebe für alle Ewigkeit ein Volk in seiner Nähe haben kann, zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade.
Wir finden also im fünften Buch Mose verhältnismäßig wenig von Gebräuchen und Zeremonien. Der Herr erscheint mehr in engerer Verbindung mit seinem Volk. Selbst die Priester in ihrem Dienst werden selten erwähnt. Das ist ein bemerkenswerter Charakterzug dieses schönen Buches und zeigt, dass es durchaus eigenständig ist und nicht eine bloße Wiederholung. „Der Herr, unser Gott, redete zu uns am Horeb und sprach: Lange genug seid ihr an diesem Berg geblieben; wendet euch und brecht auf und zieht zum Gebirge der Amoriter.“ Welch ein Vorrecht dieses Volkes, einen solchen Herrn zu haben und sein Interesse an allen ihren Angelegenheiten zu sehen. Er bestimmte, wie lange sie an einem Ort bleiben und wohin sie dann ihre Schritte lenken sollten. Sie brauchten sich über die Dauer und das Ziel ihrer Reise nicht den Kopf zu zerbrechen, noch sich um irgendetwas anderes zu sorgen. Er sorgte für sie. Das war genug.
Was blieb ihnen denn zu tun übrig? Einfach zu gehorchen. Sie durften in der Liebe des Herrn, ihres Bundes-Gottes, ruhen und seinen Geboten gehorchen. Darin war ihr Friede, ihr Glück und ihre Sicherheit begründet. Ihre Tagereisen waren genau abgemessen, denn Gott kannte den Weg vom Horeb bis nach Kades-Barnea. Sie brauchen nur in Abhängigkeit von ihm Tag für Tag weiterzugehen. Doch der Herr führt nur, wenn Unterwürfigkeit vorhanden ist. Hätten sie, nachdem der Herr gesagt hatte: „Lange genug seid ihr an diesem Berg geblieben“, daran gedacht, ein wenig länger zu bleiben, so wäre dies ohne ihn geschehen. Mit seiner Gemeinschaft, seinem Rat und seiner Hilfe konnten sie nur dann rechnen, wenn sie gehorsam waren.
So war es mit Israel in der Wüste, und so ist es mit uns. Der Bundesgott Israels ist unser Vater! Er beschäftigt sich noch heute bei uns mit allen Einzelheiten des Lebens wie damals bei dem Volk Israel.
Sein Wort an uns lautet: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden.“ Was dann? „Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus“ (Phil 4,6-7).
Wie Gott uns heute leitet
Wie aber leitet Gott sein Volk jetzt? Nicht mehr durch eine Stimme, die sich an unser Ohr wendet und nicht durch eine Wolke, die sich erhebt und den Weg weist. Wir werden geleitet durch etwas weit Besseres, durch das Wort, durch den Heiligen Geist und die göttliche Natur. Diese drei sind immer einstimmig. Lasst uns doch stets daran denken und alle unsere Beweggründe aufrichtig anhand des Wortes Gottes prüfen! Auf diese Weise bleiben wir vor Irrtum und Selbstbetrug bewahrt. Menschliche Gefühle können uns täuschen, und wir müssen sie stets aufrichtig prüfen, wenn sie uns nicht zu verhängnisvollen und verkehrten Handlungen verleiten sollen. Auf das Wort Gottes können wir dagegen vertrauen, ohne zu zweifeln, und werden finden, dass ein Mensch, der sich vom Heiligen Geist oder von der göttlichen Natur leiten lässt, nie im Widerspruch zum Wort Gottes handeln wird.
Doch es gibt im Blick auf die göttliche Führung noch einen anderen Gesichtspunkt, der unsere Beachtung verdient. Man hört nicht selten, dass von dem „Finger der göttlichen Vorsehung“ gesprochen wird als einer Sache, von der man sich leiten lassen müsse. Das ist im Grunde nichts anderes, als sich in seinem Handeln durch Umstände bestimmen zu lassen. Man braucht kaum zu sagen, dass diese Art, sich leiten zu lassen, zu einem Christen nicht passt.
Ohne Zweifel kann und wird uns der Herr manchmal seine Absichten durch Vorsehung zu erkennen geben und unseren Weg dadurch bestimmen. Aber wenn wir nahe bei ihm sind, um seine Wege richtig zu verstehen, werden wir die Erfahrung machen, dass wir etwas für einen „Ausweg der Vorsehung“ hielten, was in Wirklichkeit eine Tür war, durch die wir den Weg des Gehorsams verließen. Jona mag es als eindeutige Fügung der Vorsehung betrachtet haben, ein Schiff zu finden, das nach Tarsis fuhr.
Wäre er jedoch in Gemeinschaft mit Gott gewesen, so hätte er kein Schiff benötigt. Kurz, das Wort Gottes ist der einzige zuverlässige Maßstab und der vollkommene Prüfstein für uns. Wir müssen uns in dem durchdringenden Licht des Wortes prüfen. Das bringt jedem Kind Gottes Sicherheit, Frieden und Segen.
Können wir denn für alle Kleinigkeiten des täglichen Lebens eine Anweisung in der Bibel finden? Vielleicht nicht. Aber in der Heiligen Schrift sind Grundsätze niedergelegt, die uns bei richtiger Anwendung gottgemäß leiten, selbst wenn wir keine besonderen Bibelstellen für unsere Umstände finden. Daneben aber haben wir die feste Zusage, dass Gott seine Kinder in allen Dingen leiten wird. „Von dem Herrn werden die Schritte des Mannes befestigt“ (Ps 37,23). „Er leitet die Sanftmütigen im
Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg“ (Ps 25,9). „Mein Auge auf dich richtend, will ich dir raten“ (Ps 32,8). Gott will uns seine Gedanken im Blick auf jedes Vorhaben mitteilen. Sollen wir uns durch die wechselvollen Umstände treiben lassen? Sollen wir uns dem blinden Zufall oder unserem eigenen Willen überlassen?
Unterordnung unter Gottes Willen
Gott sei Dank, dass es nicht so sein muss. Gott kann uns in seiner eigenen Weise in jedem Fall Gewissheit über seine Gedanken geben. Wir sollten nie ohne diese Gewissheit etwas beginnen. „Was soll ich tun? Ich bin in Verlegenheit, welchen Weg ich einschlagen soll!“, sagte jemand zu seinem Freund. „Dann tu überhaupt nichts“, lautete die Antwort. „Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg.“ Das sollten wir nie vergessen. Wenn wir demütig sind und nicht auf uns selbst vertrauen und in Einfalt und Aufrichtigkeit auf Gott warten, wird Er uns leiten. Gott um Rat in einer Sache zu bitten, die wir schon entschieden haben, ist zwecklos. Wir täuschen uns dann in verhängnisvoller Weise.
Die Geschichte Josaphats liefert uns da ein treffendes Beispiel. Wir lesen in 1. Könige 22,2: „Und es geschah im dritten Jahr, da kam Josaphat, der König von Juda, zum König von Israel herab.“ Das war von vornherein ein großer Fehler. „Und der König von Israel sprach zu seinen Knechten: Wisst ihr nicht, dass Ramot-Gilead unser ist? Und wir bleiben still und nehmen es nicht aus der Hand des Königs von Syrien? Und er sprach zu Josaphat: Willst du mit mir nach Ramot-Gilead in den Kampf ziehen? Und Josaphat sprach zu dem König von Israel: Ich will sein wie du, mein Volk wie dein Volk, meine Pferde wie deine Pferde“, und nach 2. Chronika 18,3: „Ich will mit dir in den Kampf ziehen.“
Josaphat hatte also seinen Entschluss schon gefasst, ehe er Gott um Rat fragte. Doch dann sagte er zu dem König von Israel: „Befrage doch heute das Wort des Herrn!“ (V. 5) Aber was konnte das nützen, nachdem er sich bereits verpflichtet hatte! Welch eine Torheit ist es, zuerst einen Entschluss zu fassen und dann einen Rat einzuholen! Jetzt war es völlig zwecklos, noch den Herrn zu fragen. Josaphat war hier in einem schlechten Zustand.
Das Wort Gottes passt sich nie unseren Gedanken an, sondern richtet den Menschen. Es steht im Widerspruch zu seinem eigenen Willen und tritt seinen Plänen entgegen. Daher verwirft der Mensch das Wort. Ein ungebrochener Wille und eine blinde Vernunft bringen uns in Finsternis und Elend. Jona wollte nach Tarsis gehen, obwohl der Herr ihn nach Ninive gesandt hatte. Die Folge war, dass er sich im „Schoß des Scheols“ wiederfand und dass „das Meergras sich um sein Haupt schlang“ (Jona 2,3.6). Josaphat wollte nach Ramoth gehen, obwohl er in Jerusalem hätte bleiben sollen, und die Folge war, dass er sich umringt sah von den Schwertern der Syrer.
So ist es stets. Der Eigenwille führt uns ins Unglück. Im Gehorsam dagegen erfahren wir Frieden, Licht und Segen. Göttliche Gnade wird uns zuteil. Der Weg des Gehorsams mag schmal, rau und einsam erscheinen, aber es ist der Weg des Lebens, des Friedens und der Sicherheit. „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr 4,18). Ein gesegneter Weg!
Bevor wir diesen wichtigen Punkt der göttlichen Führung und des Gehorsams verlassen, möchte ich den Leser noch auf eine Stelle in Lukas 11 aufmerksam machen. Die Stelle enthält eine sehr wertvolle Unterweisung: „Die Lampe des Leibes ist dein Auge; wenn dein Auge einfältig ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster. Gib nun Acht, dass das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis ist. Wenn nun dein ganzer Leib licht ist und keinen finsteren Teil hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit ihrem Strahl dich erleuchtete“ (V. 34–36).
Können wir das treffender ausdrücken? Zunächst sehen wir, dass ein „einfältiges Auge“ zum Gehorsam nötig ist. Es deutet auf einen völlig ergebenen Willen hin, und auf ein Herz, das in Aufrichtigkeit den Willen Gottes tun will.
Ist ein Mensch in diesem Zustand, so strömt göttliches Licht in ihn hinein und erfüllt den ganzen Leib. Wenn der Leib nicht licht ist, so ist auch das Auge nicht einfältig. Es sind dann unlautere Beweggründe vorhanden; der Eigenwille ist am Werk, und wir sind nicht aufrichtig vor Gott. In diesem Fall ist das Licht, das wir zu haben vorgeben, nichts als Finsternis. Keine Finsternis kann so dicht und schrecklich sein wie diese, die als Gericht über einen Menschen kommt, der vom Eigenwillen beherrscht wird, während er zur gleichen Zeit bekennt, göttliches Licht zu besitzen. „Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß die Finsternis!“ (Mt 6,23). Andererseits wird ein schwaches Licht, wenn es aufrichtig benutzt wird, sicherlich zunehmen, „denn wer da hat, dem wird gegeben werden“ (Mt 13,12), und „der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“. „Wenn nun dein ganzer Leib licht ist und keinen finsteren Teil hat“, wenn kein Winkel den göttlichen Strahlen verschlossen, kein unreiner Beweggrund vorhanden ist, und wenn das ganze Verhalten vom göttlichen Licht durchleuchtet werden kann, dann „wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit ihrem Strahl dich erleuchtete“. Mit einem Wort, wer gehorsam ist, hat nicht nur Licht für seinen Weg, sondern sein Licht leuchtet auch für andere wie eine helle Lampe. Also „lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“ (Mt 5,16).