Behandelter Abschnitt 4. Mose 10,29-36
Die Bundeslade zieht vor dem Volk her
So ist denn das Lager zum Aufbruch bereit. Aber merkwürdigerweise begegnen wir gleich einer Abweichung von der am Anfang des Buches vorgeschriebenen Ordnung. Die Lade des Zeugnisses bleibt nicht in der Mitte des Lagers, sondern sie zieht an der Spitze. Mit anderen Worten: Statt in der Mitte der Gemeinde zu bleiben, um dort bedient zu werden, lässt sich der Herr in seiner wunderbaren, unbegrenzten Gnade herab, für sein Volk den Dienst eines „Vorpostens“ zu übernehmen.
Doch hören wir, was diesen Beweis der Gnade veranlasst hatte: „Und Mose sprach zu Hobab, dem Sohn Reghuels, des Midianiters, des Schwiegervaters Moses: Wir brechen auf zu dem Ort, von dem der Herr gesagt hat: Ich will ihn euch geben. Zieh mit uns, so werden wir dir Gutes tun; denn der Herr hat Gutes über Israel geredet. Und er sprach zu ihm: Ich will nicht mitziehen, sondern in mein Land und zu meiner Verwandtschaft will ich gehen. Und er sprach: Verlass uns doch nicht! Denn du weißt ja, wo wir in der Wüste lagern sollen; und du wirst unser Auge sein“ (V. 29–31).
Wenn wir nicht die Neigung unserer eigenen Herzen kennen würden, sich lieber auf das Geschöpf zu stützen, als auf den lebendigen Gott, so könnten wir uns über diese Begebenheit wohl wundern. Wir würden fragen: Wozu brauchte Mose die Augen Hobabs? War der Herr nicht genug? Kannte Er die Wüste nicht? Hätte Er je zugelassen, dass sie sich verirrten? Wozu waren die Wolke und die silbernen Trompeten da? Waren sie nicht weit besser als Hobabs Augen? Warum also suchte Mose menschliche Hilfe? Wir können den Grund leider nur zu gut verstehen. Wir alle kennen die Veranlagung unseres Herzens, sich auf etwas Sichtbares zu stützen. Wir sind nicht gern für jeden Schritt der Reise völlig von Gott abhängig. Es fällt uns schwer, uns auf eine unsichtbare Kraft zu stützen. Ein Hobab, den wir sehen können, flößt uns mehr Vertrauen ein, als der lebendige Gott, den wir nicht sehen können.
Wir sind beruhigt, wenn irgendein armseliger Sterblicher uns seine Hilfe zusichert; aber wir zögern und verzagen leicht, wenn wir berufen werden, in einfachem Glauben an Gott zu leben. Wir alle sind so sehr geneigt, uns auf einen „fleischlichen Arm“ zu stützen – trotz der tausend Beispiele, die uns zeigen, wie dumm das ist. Wir haben oft genug erfahren, dass alles Vertrauen auf das Geschöpf enttäuscht, aber wir wollen es dennoch nicht aufgeben. Andererseits haben wir wieder und wieder erlebt, dass man auf das Wort und die Hilfe des lebendigen Gottes fest vertrauen kann. Wir haben erfahren, dass Er uns nie versäumt, nie enttäuscht hat, dass Er im Gegenteil weit mehr getan hat, als wir erbitten oder erdenken können, und dennoch sind wir immer bereit, ihm zu misstrauen, uns auf zerbrochenes Schilfrohr zu stützen und uns zu löcherigen Brunnen zu wenden.
So ist es mit uns – aber gepriesen sei Gott, dass seine Gnade für uns so überströmend ist, wie sie es für Israel bei der oben erwähnten Gelegenheit war. Wenn Mose auf Hobab sah, um von ihm geführt zu werden, so belehrte der Herr seinen Knecht, dass Er selbst als Führer vollkommen genügte. „Und sie brachen vom Berg des Herrn auf, drei Tagereisen weit, und die Lade des Bundes des Herrn zog drei Tagereisen vor ihnen her, um ihnen einen Ruheort zu erkunden“ (Vers 33).
So ist unser Gott, immer geduldig, barmherzig, mächtig und treu. In der Majestät seiner Gnade stellt Er sich immer über unseren Unglauben und unsere Fehltritte und zeigt sich in seiner Liebe über alle Schranken erhaben, die unsere Untreue aufstellen möchte. Er zeigte Mose und dem ganzen Volk Israel, dass Er als Führer weit besser war als zehntausend Hobabs. Wir wissen nicht, ob Hobab mitging oder nicht. Er schlug die erste Einladung aus und vielleicht auch die zweite; aber es wird uns gesagt, dass der Herr mit ihnen ging. „Und die Wolke des Herrn war über ihnen bei Tag, wenn sie aus dem Lager zogen“ (V. 34). Was für ein Schutz in der Wüste! Unerschöpfliche Quelle der Hilfe in allen Dingen! Er ging vor seinem Volk her, um ihm einen Ruheplatz zu suchen. Wenn Er eine Stelle gefunden hatte, die dem entsprach, was sie brauchten, so machte Er Halt mit ihnen und breitete seine schützenden Hände über sie aus, um sie vor jedem Feind zu bewahren. „Er fand ihn im Land der Wüste und in der Öde, dem Geheul der Wildnis; er umgab ihn, gab auf ihn Acht, er behütete ihn wie seinen Augapfel. Wie der Adler sein Nest aufstört, über seinen Jungen schwebt, seine Flügel ausbreitet, sie aufnimmt, sie auf seinen Schwingen trägt; so leitete ihn der Herr allein, und kein fremder Gott war mit ihm“ (5Mo 32,10-12). „Er breitete eine Wolke aus zur Decke, und ein Feuer, die Nacht zu erleuchten“ (Ps 105,39).
So war denn für alles Vorsorge getroffen nach der Weisheit, Macht und Güte Gottes. Nichts mangelte – nichts konnte mangeln, da Gott selbst da war. „Und es geschah, wenn die Lade aufbrach, so sprach Mose: Stehe auf, Herr, dass deine Feinde sich zerstreuen und deine Hasser vor dir fliehen! Und wenn sie ruhte, so sprach er: Kehre wieder, Herr, zu den Myriaden der Tausende Israels!“ (V. 35.36).