Behandelter Abschnitt 4. Mose 6,9-12
Göttliche Hilfsquellen
Halten wir uns diese Worte unseres Kapitels allezeit vor Augen: „Alle die Tage seiner Absonderung ist er dem Herrn heilig“ (V. 8). Heiligkeit ist das große und unerlässliche Merkmal des Nasirs, und zwar vom ersten bis zum letzten Tag; verschwindet sie, so endet auch der Stand als Nasir.
Aber, so möchte man fragen, was soll dann geschehen? Unser Schriftabschnitt gibt uns die Antwort: „Und wenn jemand unversehens, plötzlich, bei ihm stirbt und er das Haupt seiner Weihe verunreinigt, so soll er sein Haupt an dem Tag seiner Reinigung scheren; am siebten Tag soll er es scheren. Und am achten Tag soll er zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben zum Priester bringen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft. Und der Priester soll eine zum Sündopfer und eine zum Brandopfer opfern und Sühnung für ihn tun, weil er sich an der Leiche versündigt hat; und er soll sein Haupt an diesem Tag heiligen. Und er soll die Tage seiner Absonderung nochmals für den Herrn absondern und ein einjähriges Lamm zum Schuldopfer bringen; die vorigen Tage aber sind verfallen, denn seine Weihe ist verunreinigt worden“ (Kap. 6,9–12).
Wir finden hier, dass das Versöhnungswerk in seinen beiden wichtigen Seiten die einzige Grundlage war, auf der der Nasir wieder in die Gemeinschaft zurückgeführt werden konnte. Er hatte sich verunreinigt, und diese Verunreinigung konnte allein durch das Blut des Opfers weggenommen werden. Wir mögen es als eine sehr geringfügige Sache betrachten, einen Leichnam zu berühren, besonders, wenn es in einer solchen Situation geschieht. Man könnte sagen: „Wie konnte der Nasir das Anrühren verhindern, wenn ein Mensch neben ihm plötzlich tot umfiel?“ Die Antwort darauf ist einfach und zugleich ernst: Gottes Nasire müssen die persönliche Reinheit bewahren, und außerdem ist der Maßstab, nach dem ihre Reinheit gemessen wird, nicht menschlich, sondern göttlich. Schon das Berühren eines Toten reichte aus, um das Band der Gemeinschaft zu zerreißen, und hätte der Nasir gewagt, weiterzuleben, als ob nichts geschehen wäre, so hätte er den Geboten Gottes nicht gehorcht und ein schweres Gericht über sich gebracht.
Aber Gott in seiner Gnade hat Vorsorge getroffen. Da war das Brandopfer, das Bild des Todes Christi in seiner Beziehung zu Gott, sowie das Sündopfer, das Bild desselben Todes in seiner Beziehung zu uns. Da war außerdem das Schuldopfer, das Bild des Todes Christi, nicht allein in seiner Anwendung auf die Wurzel oder den Grundsatz der Sünde in der Natur, sondern auch auf die gerade begangene Sünde. Und so war die ganze Kraft und Wirkung des Todes Christi nötig, um die Verunreinigung wegzunehmen, die durch das Berühren eines toten Körpers verursacht worden war. Das ist ganz besonders ernst. Die Sünde ist in den Augen Gottes eine furchtbare Sache. Ein einziger sündhafter Gedanke, ein sündiger Blick, ein sündhaftes Wort reichen aus, um über die Seele eine schwere und finstere Wolke zu bringen, die unseren Augen das Licht des Angesichts Gottes verbirgt und uns in Not und Elend stürzt.
Hüten wir uns also, die Sünde gleichgültig zu behandeln! Denken wir daran, dass, bevor ein einziger Flecken der Sündenschuld beseitigt werden konnte, unser Herr durch die unsagbaren Schrecken Golgathas gehen musste. Allein der bittere Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34), kann uns vielleicht eine in etwa angemessene Vorstellung von dem geben, was Sünde ist, obwohl kein Sterblicher, kein Engel in die unendlichen Tiefen dieser Leiden je eindringen kann. Aber obwohl wir die Tiefen der Leiden Christi niemals erforschen können, sollten wir es uns doch wenigstens mehr zur Gewohnheit machen, sein Kreuz und seine Leiden zu betrachten, um auf diese Weise eine tiefere Erkenntnis von der Abscheulichkeit der Sünde in den Augen Gottes zu gewinnen. Wenn wirklich die Sünde für einen heiligen Gott so schrecklich, so furchtbar ist, dass Er gezwungen war, sein Angesicht von diesem Einen abzuwenden, der von Ewigkeit her in seinem Schoß war, als Er ihn verlassen musste, weil Er die Sünde an seinem eigenen Leib auf das Holz trug – was muss dann Sünde sein?
Denken wir ernsthaft über diese Dinge nach! Wie oberflächlich denken wir manchmal über das, was es den Herrn Jesus alles gekostet hat – nicht nur das Leben, sondern auch das, was besser und wertvoller ist als das Leben: das Licht des Angesichts Gottes. Möchten wir ein tiefes Gefühl von der Hässlichkeit der Sünde haben! Möchten wir doch sehr aufpassen, dass unser Auge nicht in eine verkehrte Richtung sieht! Denn sehr bald wird das Herz dem Auge folgen und die Füße dem Herzen. Ehe wir es ahnen, entfernen wir uns so von dem Herrn, verlieren das Gefühl seiner Gegenwart und seiner Liebe und werden unglücklich oder, was noch viel trauriger ist, gleichgültig, kalt, gefühllos, „verhärtet durch Betrug der Sünde“ (Heb 3,13).
Gott helfe uns, besser vor allem auf der Hut zu sein, was das „Haupt unserer Weihe“ verunreinigen könnte! Es ist eine ernste Sache, die Gemeinschaft zu verlieren, und es ist eine sehr gefährliche Sache, wenn man es wagt, mit einem befleckten Gewissen den Dienst für den Herrn fortzusetzen. Wohl ist es wahr, dass die Gnade vergibt und wiederherstellt; aber wir erlangen nie wieder, was wir verloren haben. Das wird mit allem Nachdruck in der vor uns liegenden Schriftstelle gesagt. Wir lesen: „Und er soll die Tage seiner Absonderung nochmals für den Herrn absondern und ein einjähriges Lamm zum Schuldopfer bringen; die vorigen Tage aber sind verfallen, denn seine Weihe ist verunreinigt worden“ (V. 12).
Abweichen und Rückkehr
Das ist für uns voller Belehrung und Mahnung. Wenn der Nasir sich durch irgendetwas, und war es nur die Berührung eines Toten, verunreinigt hatte, so musste er wieder von vorn anfangen. Nicht nur die Tage seiner Verunreinigung waren verloren und galten nichts, sondern auch die vorausgegangenen Tage seiner Absonderung als Nasir.
Was lehrt uns dies? Es bezeugt uns jedenfalls das eine, dass wir, wenn wir uns von dem Herrn entfernt haben, zu dem Punkt zurückkehren müssen, von dem aus wir abgewichen sind. Wir finden viele Beispiele dafür in der Schrift, und wir sind klug, wenn wir sie beachten und über die große praktische Wahrheit nachdenken, die sie ans Licht stellen.
Betrachten wir z. B. Abraham, wie er nach Ägypten zog (1Mo 12)! Er war offensichtlich vom richtigen Weg abgewichen. Und was war die Folge? Diese Zeit war verloren, und Abraham musste zu dem Punkt zurückkehren, von wo er abgeirrt war, und von neuem beginnen. So lesen wir in 1. Mose 12,8: „Und er brach auf von dort in das Gebirge östlich von Bethel und schlug sein Zelt auf, Bethel im Westen und Ai im Osten; und er baute dort dem Herrn einen Altar und rief den Namen des Herrn an.“ Dann, nach seiner Rückkehr aus dem Land Ägypten, heißt es: „Und er ging auf seinen Zügen vom Süden bis Bethel, bis zu dem Ort, wo im Anfang sein Zelt gewesen war, zwischen Bethel und Ai, zu der Stätte des Altars, den er dort zuvor gemacht hatte. Und Abram rief dort den Namen des Herrn an“ (1Mo 13,3.4). Die ganze in Ägypten verbrachte Zeit galt nichts. Es gab dort keinen Altar, keinen Gottesdienst, keine Gemeinschaft, und Abraham musste an den Ort zurückkehren, von dem er ausgegangen war, und musste von neuem anfangen.
So ist es in allen Fällen, und das erklärt, wieso manche von uns in ihrem praktischen Leben so langsam Fortschritte machen. Wir fallen, wenden uns ab, entfernen uns vom Herrn und geraten in geistliche Dunkelheit. Wenn uns dann seine Stimme der Liebe in wiederherstellender Kraft ruft, so führt sie uns an den Punkt zurück, von dem wir abgeirrt waren. Unsere Seele wird wiederhergestellt; aber wir haben Zeit verloren und einen unberechenbaren Verlust erlitten. Wie ernst ist das, und wie sollte uns das dazu bringen, dass wir mit heiliger Wachsamkeit leben, so dass wir unseren Weg nicht zweimal machen müssen und verlieren, was nie wieder gewonnen werden kann!
Wohl geben uns unsere Verirrungen, unser Straucheln und unser Fallen einen Einblick in unser Herz; diese Erfahrungen lehren uns, uns selbst zu misstrauen, und sie zeigen uns die unveränderte Gnade Gottes. Aber wie wahr das auch ist, so gibt es doch ein viel besseres Mittel, uns selbst und Gott kennen zu lernen, als dies, dass wir uns verirren und fallen. Das Ich in der ganzen schrecklichen Bedeutung dieses Wortes sollte in dem Licht der Gegenwart Gottes gerichtet werden, und hier sollte auch unsere Seele wachsen in der Erkenntnis Gottes, so wie Er sich durch den Heiligen Geist in Jesus Christus und in der Heiligen Schrift offenbart. Das ist gewiss ein besserer Weg, um sowohl uns selbst als auch Gott kennen zu lernen, und das ist auch die Kraft aller wirklichen nasiräischen Absonderung.