Behandelter Abschnitt 4. Mose 5,5-8
Bekenntnis und Wiederherstellung
Wir wollen jedoch die Besprechung unseres Kapitels fortsetzen. „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel: Wenn ein Mann oder eine Frau irgendeine von allen Sünden der Menschen tun, so dass sie eine Untreue gegen den Herrn begehen, und diese Seele sich verschuldet, so sollen sie ihre Sünde bekennen, die sie getan haben; und der Täter soll seine Schuld erstatten nach ihrer vollen Summe und soll ein Fünftel davon hinzufügen und es dem geben, an dem er sich verschuldet hat. Und wenn der Mann keinen Blutsverwandten hat, um diesem die Schuld zu erstatten, so soll die Schuld, die dem Herrn erstattet wird, dem Priester gehören, außer dem Widder der Versöhnung, womit man Sühnung für ihn tut“ (V. 5–8).
Die Wiedererstattung
Die Lehre von dem Schuldopfer ist in den „Gedanken zum dritten Buch Mose“ (Kap. 5) bereits behandelt worden. Ich möchte hier nur einen Augenblick bei der sehr wichtigen Frage des Bekenntnisses und der Wiedererstattung stehen bleiben. Aus der oben angeführten Stelle geht hervor, dass Gott Bekenntnis und Erstattung verlangte, wenn irgendeine Sünde begangen worden war, und die Aufrichtigkeit des Bekenntnisses sollte sich durch die Wiedererstattung beweisen. Es war für einen Juden, der gegen seinen Bruder gesündigt hatte, nicht genug, wenn er zu ihm ging und sagte: „Es tut mir leid.“ Er hatte nicht nur zu erstatten, was er veruntreut hatte, sondern er musste darüber hinaus noch ein Fünftel hinzufügen. Obwohl wir nicht unter dem Gesetz stehen, können wir doch aus seinen Anordnungen viel lernen (obwohl wir nicht unter dem Zuchtmeister sind, können wir doch manche guten Lehren von ihm empfangen). Wenn wir gegen irgendjemanden eine Untreue begangen haben, so genügt es also nicht, dass wir unsere Sünde vor Gott und unserem Bruder bekennen, sondern wir müssen auch Ersatz leisten. Wir sind berufen, einen praktischen Beweis dafür zu liefern, dass wir uns wegen unserer Untreue selbst gerichtet haben.
Ein zartes Gewissen
Ob diese Pflicht wirklich richtig verstanden und in ihrer ganzen Bedeutung begriffen wird? Werden nicht Sünden und Vergehen oft in einer sehr leichtfertigen, oberflächlichen Weise behandelt, die den Geist Gottes tief betrüben muss? Wir geben uns mit einem bloßen Lippenbekenntnis zufrieden, ohne dass wir das Schlechte der Sünde in den Augen Gottes wirklich und tief empfinden. Die Sache selbst wird nicht in ihren Wurzeln gerichtet, und das dadurch bewirkte Spielen mit der Sünde macht das Herz hart und nimmt dem Gewissen seine Zartheit. Das ist sehr ernst. Es gibt wenige Dinge, die schöner sind als ein zartes Gewissen. Das ist weder ein ängstliches Gewissen, das von seinen eigenen Einfällen und Gefühlen geleitet, noch auch ein krankhaftes Gewissen, das durch seine Zweifel tyrannisiert wird. Beides ist sehr belastend. Es geht um ein zartes Gewissen, das sich in allen Dingen von dem Wort Gottes leiten lässt und sich allein seiner Autorität unterwirft. Ein solches gesundes Gewissen ist ein sehr wertvoller Schatz. Es regelt alles. Es bemerkt die kleinsten Dinge in unserem täglichen Leben, unsere Gewohnheiten, unsere Kleider, es beeinflusst die Art, wie unsere Häuser eingerichtet sind, was wir essen, unser Betragen, unseren Geist, unseren Ton, unsere Arbeitsauffassung oder wenn es unser Los ist, anderen zu dienen, die Art und Weise, in der wir unseren Dienst tun, ganz gleich, worin er bestehen mag. Alles ist dem heilsamen Einfluss eines zarten Gewissens unterworfen. „Darum bemühe ich mich auch“, sagt der Apostel, „allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen“ (Apg 24,16).
Das ist etwas, wonach wir sehr verlangen sollten. Es liegt etwas moralisch Schönes und Anziehendes in diesem Streben des Paulus, des größten und begabtesten Dieners Christi. Mit seinen glänzenden Gaben, seiner wunderbaren Kraft, seiner tiefen Einsicht in die Wege und Ratschlüsse Gottes, mit allem, wovon er reden und worin er sich rühmen konnte, mit den wunderbaren Offenbarungen, die ihm im dritten Himmel gegeben worden waren, übte er sich, er, der Angesehenste der Apostel, der Bevorzugteste der Heiligen, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen. Und wenn er in einem Augenblick der Unwachsamkeit ein unbedachtes Wort äußerte, wie z. B. gegenüber dem Hohenpriester Ananias, so war er im nächsten Augenblick schon bereit, zu bekennen und Genugtuung zu leisten: Er nahm die übereilte Äußerung: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand!“, zurück und setzte das Wort Gottes an diese Stelle: „Von einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht übel reden“ (Apg 23,3-5).
Ich glaube, Paulus hätte sich in jener Nacht nicht mit einem Gewissen ohne Anstoß zur Ruhe legen können, wenn er seine Worte nicht zurückgenommen hätte. Ein Bekenntnis ist notwendig, wenn wir Verkehrtes getan oder gesagt haben. Wenn dieses Bekenntnis unterbleibt, so bleibt unsere Gemeinschaft mit dem Vater gewiss unterbrochen. Gemeinschaft ist moralisch unmöglich mit einer nicht bekannten Sünde auf dem Gewissen. Wir können dann vielleicht von Gemeinschaft reden, aber es ist nur eine Täuschung. Wir müssen ein reines Gewissen bewahren, wenn wir unseren Weg mit Gott gehen wollen. Nichts ist mehr zu fürchten als moralische Gleichgültigkeit, ein nachlässiges Gewissen und ein abgestumpfter Sinn, der Dinge ungerichtet durchgehen lassen kann; der sündigt, darüber hinweggeht und ganz kühl sagt: „Was habe ich denn Böses getan?“
Seien wir mit heiliger Wachsamkeit davor auf der Hut! Bemühen wir uns um ein zartes Gewissen! Das wird bei uns dasselbe erfordern, was es auch bei Paulus erforderte, nämlich „Übung“. Doch es ist eine gesegnete Übung, und sie wird sehr wertvolle Früchte tragen. In der Tat enthalten die schönen Worte des Paulus in gedrängter Form die ganze Praxis des Christen. „Allezeit ein Gewissen ohne Anstoß vor Gott und den Menschen zu haben“ schließt alles in sich ein.
Aber wie wenig erwägen wir leider gewöhnlich die Ansprüche Gottes oder die Ansprüche unserer Mitmenschen! Wie wenig ist unser Gewissen das, was es sein sollte! Pflichten aller Art werden vernachlässigt, und wir merken es nicht einmal. Wir beugen uns nicht vor dem Herrn. Wir sündigen in tausend Dingen, und dennoch kennen wir kein Bekenntnis und keine Wiedererstattung. Wir gehen über vieles hinweg, das gerichtet, bekannt und weggetan werden müsste. Es gibt Sünde in heiligen Dingen; da ist Leichtsinn und Gleichgültigkeit des Geistes in der Versammlung und am Tisch des Herrn; wir berauben Gott auf verschiedene Weise; wir denken unsere eigenen Gedanken, sprechen unsere eigenen Worte, tun, was wir wollen. Und ist das alles etwas anderes als Gott berauben, da wir doch nicht uns selbst gehören, sondern mit einem Preis erkauft sind? Nun, alles das muss unser geistliches Wachstum in trauriger Weise beeinflussen. Es betrübt den Geist Gottes und hindert den Dienst der Gnade Christi an unserer Seele, durch den allein wir zu ihm hin wachsen können. Wir wissen aus verschiedenen Stellen des Wortes Gottes, wie sehr Er einen demütigen Geist und ein zerschlagenes Herz schätzt. „Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2). Bei einem solchen kann Gott wohnen; aber mit Härte und Gefühllosigkeit, Kälte und Gleichgültigkeit kann Er keine Gemeinschaft haben. Üben wir uns darum doch, allezeit ein reines, nicht anklagendes Gewissen zu haben, sowohl vor Gott als auch vor unseren Mitmenschen!