Behandelter Abschnitt 4. Mose 3,17-37
Jedem seine Aufgabe
Ein Levit hatte, was seine Arbeit anging, keinerlei Schwierigkeiten. Es war alles für ihn göttlich genau bestimmt. Die Last, die jeder zu tragen, und das Werk, das jeder zu tun hatte, waren so klar bezeichnet, dass für zweifelnde Fragen des Herzens kein Raum blieb. Jeder konnte seine Arbeit kennen und tun. Jeder entsprach gewissenhaft seiner eigenen Berufung.
Drei Gruppen der Leviten
Es ist gut, sich das einzuprägen. Wir sind als Christen geneigt, in die Angelegenheiten eines anderen überzugreifen, und wir tun es ganz gewiss, wenn nicht jeder seiner eigenen, ihm von Gott vorgezeichneten Arbeit nachkommt. Es ist wichtig, dass sie wirklich von Gott vorgezeichnet ist, denn wir haben kein Recht, uns unsere eigene Arbeit zu suchen. Wenn der Herr den einen zum Evangelisten, den anderen zum Lehrer, einen dritten zum Hirten und den vierten zu einem Ermahner gesetzt hat, dann ist die Arbeit sicher nicht so auszuführen, dass der Evangelist zu lehren versucht und der Lehrer zu ermahnen, oder dass jemand, der zu keinem von beidem befähigt ist, beides zu tun versucht. Nein, sondern die Arbeit wird getan, indem jeder die ihm von Gott verliehene Gabe gebraucht. Zweifellos kann es auch dem Herrn gefallen, jemanden mit mehreren Gaben auszurüsten. Aber das berührt überhaupt nicht den Grundsatz, um den es hier geht.
Dieser Grundsatz besteht einfach darin, dass jeder von uns verantwortlich ist, seinen eigenen besonderen Weg zu erkennen und zu gehen. Größter Schaden wird der Sache Christi zugefügt und dem Werk Gottes in der Welt, wenn jemand den Weg eines anderen gehen will oder versucht, die Gabe eines anderen nachzuahmen. Das ist ein Fehler, vor dem ich jeden warnen möchte. Außerdem sind derartige Bemühungen völlig sinnlos, denn Gott wiederholt sich niemals. Nicht zwei Gesichter sind einander völlig gleich, ebenso wenig zwei Blätter in einem Wald oder zwei Grashalme. Warum sollte es dann jemand auf die Arbeit eines anderen absehen oder so tun, als habe er genau die Gabe, die ein anderer hat? Jeder mag zufrieden sein, wenn er gerade das ist, zu dem sein Meister ihn gemacht hat. Das ist das Geheimnis wahren Friedens und wirklichen Fortschritts.
Alles das veranschaulicht uns der von Gott eingegebene Bericht über den Dienst der drei verschiedenen Gruppen unter den Leviten, der Gersoniter, der Merariter und der Kehatiter. „Und der Herr redete zu Mose in der Wüste Sinai und sprach: Mustere die Söhne Levis . . . „ (4Mo 3,14-26). Und später lesen wir: „Der Herr redete zu Mose und sprach: Nimm auch die Summe der Söhne Gersons auf . . . und ihr Dienst sei unter der Hand Ithamars, des Sohnes Aarons, des Priesters“ (4Mo 4,21-28).
Gerson und sein Bruder Merari sollten das Zelt der Zusammenkunft tragen, während Kehat zum Tragen des Heiligtums berufen war, wie wir in Kapitel 10 lesen: „Und die Wohnung wurde abgebaut, und es brachen auf die Söhne Gersons und die Söhne Meraris, die die Wohnung trugen . . . Und die Kehatiter brachen auf, die das Heiligtum trugen; und jene richteten die Wohnung auf, bis diese kamen“ (Vers 17.21). Gerson und Merari waren in ihrem Dienst durch ein festes geistiges Band verbunden, obwohl sie völlig verschiedene Arbeiten zu tun hatten. Wir sehen es in Kapitel 4,29–33: „Die Söhne Meraris – nach ihren Familien, . . . unter der Hand Ithamars, des Sohnes Aarons, des Priesters.“
Alles dies war klar und deutlich. Gerson hatte nichts mit den Brettern und Pflöcken zu tun und Merari nichts mit den Vorhängen und Decken. Und doch waren sie sehr eng verbunden, denn sie waren voneinander abhängig. Die Säulen und Füße hätten nichts genützt ohne die Vorhänge und die Vorhänge nichts ohne die Säulen und Füße. Und was die Pflöcke angeht, die doch so unbedeutend erscheinen mochten – ihre Bedeutung lag darin, dass sie alles miteinander verbanden und so die sichtbare Einheit des Ganzen ermöglichten. So arbeitete alles auf ein gemeinsames Ziel hin, und dieses Ziel wurde dann erreicht, wenn jeder seiner eigenen besonderen Arbeit nachging. Wenn es sich ein Gersoniter in den Kopf gesetzt hätte, die Vorhänge liegen zu lassen und sich um die Pflöcke zu kümmern, dann hätte er damit seine eigene Arbeit vernachlässigt und sich in die der Merariter eingemischt. Das hätte alles in Verwirrung gebracht, während doch alles in der besten Ordnung blieb, wenn alle die Anordnungen Gottes befolgten.
Unterordnung unter Gottes Anweisungen
Es muss sehr schön gewesen sein, Gottes Arbeiter in der Wüste zu beobachten. Jeder stand auf seinem Posten, und jeder bewegte sich in dem Wirkungskreis, den Gott ihm zugewiesen hatte. Wenn die Wolke sich erhob und der Befehl zum Abbrechen des Zeltes gegeben wurde, dann wusste jeder, was er zu tun hatte. Niemand hatte irgendein Recht, sich seine eigenen Gedanken über das Ganze zu machen. Gottes Gedanken galten für sie alle. Die Leviten hatten von sich selbst erklärt, dass sie auf der Seite des Herrn stünden; sie hatten sich seiner Autorität unterworfen. Diese Tatsache lag ihrem ganzen Werk und ihrem Dienst in der Wüste zugrunde. In diesem Licht gesehen musste es völlig belanglos erscheinen, ob jemand einen Pflock, einen Vorhang oder einen goldenen Leuchter zu tragen hatte. Die große Frage für jeden und alle lautete einfach: Ist das meine Arbeit? Hat das der Herrn zu tun aufgetragen?
Es konnte nur eine oberste Autorität geben: der Herr selbst. Er ordnete für alle an, und alle hatten sich ihm zu unterwerfen. Für den Willen eines Menschen blieb da kein Platz. Das war eine besondere Gnade, denn dadurch wurde Kampf und Verwirrung vorgebeugt. Unterwerfung, ein gebrochener Wille und von Herzen kommende Ergebung in die Autorität Gottes sind unerlässlich – sonst wird es schließlich so sein wie im Buch der Richter: „Jeder tat, was recht war in seinen Augen“ (Ri 17,6). Ein Merariter hätte vielleicht sagen oder jedenfalls denken können: „Wie – da soll ich den besten Teil meines Lebens auf der Erde, die Jahre meiner Blüte und Kraft, damit zubringen, dass ich mich um ein paar Pflöcke kümmere? Ist das der Sinn meines Lebens? Muss das meine Beschäftigung sein von meinem dreißigsten bis zu meinem fünfzigsten Lebensjahr?“
Auf solche Fragen gab es gleich zwei Antworten. Erstens war es für den Merariter genug, zu wissen, dass der Herr ihm seine Arbeit zugeteilt hatte. Das reichte hin, einer Sache Würde zu verleihen, die man sonst vielleicht als die kleinste und geringste angesehen hätte. Es kommt nicht darauf an, worin unsere Arbeit besteht – es kommt darauf an, dass sie uns von Gott aufgetragen ist. Es mag jemand eine nach außen hin glänzende Karriere machen; er mag seine Energie, seine Zeit, seine Begabung und sein Vermögen zu Zwecken einsetzen, die in dieser Welt als groß und ehrenvoll gelten – während sich doch in Wirklichkeit sein Leben vielleicht bloß als eine schillernde Seifenblase erweist. Wenn dagegen jemand einfach Gottes Willen tut, was immer dieser Wille auch beinhalten mag, wenn er die Gebote seines Herrn befolgt, so wird der Weg dieses Menschen Gottes Anerkennung finden, und an sein Werk wird gedacht werden, wenn die hochtrabenden Pläne der Kinder dieser Welt in ewiger Vergessenheit versunken sind.
Aber außer dem moralischen Wert, der immer damit verbunden ist, wenn wir das tun, wozu wir berufen sind, hatte aber zweitens das Werk eines Merariters noch eine besondere Würde, auch, wenn dieses Werk nur darin bestand, dass er sich um ein paar Pflöcke und Säulenfüße zu kümmern hatte. Alles, was mit der Stiftshütte in Verbindung stand, war von hohem Wert und verdiente großes Interesse. In der ganzen Welt gab es nichts, was mit diesem Zelt aus Brettern und seinem geheimnisvollen Zubehör verglichen werden konnte. Es war ein heiliges Vorrecht, wenn man den kleinsten Pflock anrühren durfte, der einen Teil dieser wunderbaren Wohnung in der Wildnis ausmachte. Es war viel ehrenvoller, ein Merariter zu sein und sich um die Pflöcke der Wohnung zu kümmern, als das Zepter Ägyptens oder Assyriens zu führen. Dieser Merariter mochte wohl – wie es sein Name sagt – wie ein armer, trauriger, arbeitender Mensch aussehen, aber seine Arbeit stand in Verbindung mit der Wohnstätte Gottes, des Allerhöchsten, dessen, der Himmel und Erde besitzt. Seine Hände berührten die Gegenstände, die Bilder der Dinge in den Himmeln waren. Jeder Pflock, jeder Fuß, jeder Umhang und jede Decke war ein Schatten besserer Dinge, die kommen würden (vgl. Heb 8,5) – ein vorausgeworfenes Schattenbild Christi.
Es soll damit nicht gesagt sein, dass so ein armer arbeitender Merariter oder Gersoniter diese Dinge verstand. Aber darum handelt es sich auch gar nicht. Wir können diese Dinge verstehen. Es ist unser Vorrecht, das Zelt der Zusammenkunft und seine geheimnisvollen Geräte in dem hellen Licht des Neuen Testaments zu sehen, und dann erkennen wir in allem Christus.
Dennoch kann man, ohne damit etwas darüber auszusagen, wie weit die Leviten Einsicht in die Bedeutung ihrer Arbeit hatten, doch behaupten, dass es ein wundervolles Vorrecht für die Leviten war, die irdischen Abbilder himmlischer Wirklichkeiten zu berühren und durch die Wüste tragen zu dürfen. Außerdem war es eine besondere Gnade für sie, hinter allem, was sie taten, die Autorität des „So spricht der Herr“ zu wissen. Wer kann eine solche Gnade, ein solches Vorrecht ermessen? Jedem Glied dieses erstaunlichen Stammes von Arbeitern war von der Hand Gottes selbst sein Werk genau vorgezeichnet, und Gottes Priester überwachte alles. Alle unterwarfen sich der Autorität Gottes und taten genau das, wozu sie berufen waren. Das war das ganze Geheimnis der Ordnung unter den 8 580 Arbeitern (Kap. 4,48); und wir können mit festem Vertrauen sagen, dass das auch jetzt noch das einzige wahre Geheimnis einer Ordnung ist. Warum sehen wir so viel Verwirrung in der Versammlung? Warum diese einander widersprechenden Gedanken, Gefühle und Meinungen? Warum so viel Streit untereinander? Es ist lediglich die Folge eines Mangels an absoluter Unterwerfung unter Gottes Wort. Unser Wille ist wirksam. Wir wählen unseren eigenen Weg, statt zuzulassen, dass Gott ihn für uns wählt. Es fehlt uns die Haltung der Seele, die alle, aber auch alle menschlichen Gedanken (unsere eigenen mit einbegriffen) dorthin verweist, wohin sie wirklich gehören, und die Gedanken Gottes zu völliger, unbedingter Herrschaft erhebt.
Wir alle fühlen, dass dies das dringende Erfordernis der Tage ist, in denen wir leben. Überall gewinnt der Wille des Menschen immer mehr die Oberhand. Er wächst wie eine mächtige Flutwelle und sucht alle Schranken zu durchbrechen. „Lasst uns zerreißen ihre Fesseln und von uns werfen ihre Seile“ (Ps 2,3) – das charakterisiert den Geist unserer Zeit. Und worin besteht das Heilmittel? Es besteht in der Unterwerfung unter die Stimme des lebendigen Gottes, unter die Worte der Heiligen Schrift. Es ist das Heilmittel gegen Eigenwillen auf der einen und Unterwerfung unter bloße menschliche Autorität auf der anderen Seite. Die Antwort auf den Eigenwillen lautet: „Wir müssen gehorchen“ – und die Antwort auf das Sich-Beugen vor bloß menschlicher Autorität: „Wir müssen Gott gehorchen.“ Diese beiden Elemente sehen wir überall um uns her. Das Erstere, der Eigenwille, löst sich immer mehr in Unglauben auf, und das Letztere, die Unterwerfung unter den Menschen, in Irrglauben. Beide Strömungen üben eine immer größer werdende Macht auf die ganze zivilisierte Welt aus. Sie werden alle fortreißen außer denen, die von Gott selbst gelehrt wurden, nach dem unveränderlichen Satz zu handeln: „Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen“ (Apg 5,29).
Das war es auch, was den Gersoniter in der Wüste befähigte, sich um die rauen, unansehnlichen Seekuhfelle zu kümmern, und den Merariter bewog, auf die scheinbar bedeutungslosen Pflöcke zu achten. Das ist es auch, was heute einen Christen befähigen kann, sich selbst der Aufgabe zu widmen, zu der sein Herr ihn beruft. Was tut es, wenn diese Aufgabe für ein menschliches Auge wenig anziehend, mittelmäßig und unbedeutend erscheint – es ist genug, wenn unser Herr uns Platz und Arbeit angewiesen hat und dass unser Dienst in direkter Beziehung steht zu dem, der der Ausgezeichnete unter Zehntausenden ist und an dem alles lieblich ist (Hld 5,10.16).
Der Wert Christi in den Augen Gottes
Auch wir mögen uns vielleicht, bildlich gesprochen, auf ein raues, unscheinbares Seekuhfell oder einen unbedeutenden Pflock zu beschränken haben. Aber denken wir daran, dass alles, was in dieser Welt mit Christus, mit seinem Namen, seiner Person und seiner Sache in Verbindung steht, für Gott unaussprechlich wertvoll ist! Es mag nach dem Urteil der Menschen sehr gering sein, aber was liegt daran? Wir müssen die Dinge von Gottes Standpunkt aus betrachten und sie nach seinem Maßstab beurteilen, und dieser Maßstab ist Christus. An Christus misst Gott alles. Was immer auch nur in irgendeiner Weise mit Christus in Verbindung steht, ist nach Gottes Urteil gut und wichtig, während die erstaunlichen Unternehmungen der Menschen dieser Welt vergehen wie der Morgennebel.
Der Mensch bestimmt sich selbst seinen Mittelpunkt, sein Ziel und seinen Maßstab. Er bewertet die Dinge danach, wie weit sie ihn selber erheben und seine Interessen fördern. Auch die Religion und das, was so genannt wird, werden zu einer Grundlage, auf der man sich selbst entfaltet. Aus allem schlägt man Kapital für das Ich, alles wird wie ein Scheinwerfer benutzt, um Licht auf diesen Gegenstand zu werfen. Zwischen Gottes Gedanken und den Gedanken eines Menschen besteht eine mächtige Kluft und ihre Ränder liegen ebenso weit voneinander entfernt wie Christus und das Ich. Alles, was zu Christus gehört, ist von ewigem Interesse und ewiger Bedeutung, während alles, was zum Ich gehört, vorbeigehen und vergessen sein wird. Deshalb ist es der verhängnisvollste Fehler, den ein Mensch machen kann, wenn er sein Ich zum Hauptinhalt seines Lebens macht – denn das muss in ewiger Enttäuschung enden –, während das Klügste und Beste, das ein Mensch tun kann, darin besteht, Christus zu seinem einzigen und alles beanspruchenden Ziel zu machen – denn das wird zu ewigem Segen und ewiger Herrlichkeit führen.
Prüfen wir unser eigenes Herz und unser Gewissen! Es scheint mir, dass ich hier eine besondere Verantwortung jedem Leser gegenüber habe. Ich schreibe diese Zeilen in der Einsamkeit meines Zimmers in Bristol, und vielleicht liest du sie alleine, in deinem Zimmer, in Neuseeland, Australien oder sonst irgendwo. Es geht mir nicht darum, ein Buch zu schreiben, und es geht mir auch nicht darum, einen Teil der Heiligen Schrift auszulegen. Ich möchte von Gott gebraucht werden, der sich um deine Seele kümmert. Deshalb möchte ich diese ernste Frage stellen: Worum geht es dir in Wirklichkeit? Ist es Christus – oder bist du es selbst? Seien wir uns selber gegenüber ehrlich vor dem allmächtigen und alles erkennenden Erforscher des Herzens! Weichen wir doch diesem strengen Urteil über uns selbst in dem hellen Licht der Gegenwart Gottes nicht aus! Täuschen wir uns nicht durch irgendwelche Schönfärberei! Gott sieht unter die Oberfläche der Dinge, und Er möchte, dass wir es ebenso tun. Er stellt uns, er stellt dir Christus vor – im Gegensatz zu allem anderen. Hast du ihn angenommen? Ist Er deine Weisheit, deine Gerechtigkeit, deine Heiligkeit und deine Erlösung? Kannst du ohne zu zögern sagen: „Ich bin meines Geliebten; und mein Geliebter ist mein?“ (Hld 6,3). Prüfen wir uns doch genau! Ist das in der Tiefe unserer Seele völlig gewiss? Und wenn ja – haben wir Christus zum ausschließlichen Ziel und Zweck unseres Lebens gemacht? Beurteilen wir alles nach ihm?
Das alles sind schwerwiegende Fragen, die man nicht stellen kann, ohne ihre Schärfe und ihr Gewicht selber zu fühlen. Wir können zutiefst davon überzeugt sein, dass nichts bestehen bleiben wird außer dem, was mit Christus in Verbindung steht, und dass andererseits die kleinste Kleinigkeit, die einen (wenn auch geringen) Bezug zu ihm hat, im Urteil des Himmels von großer Bedeutung ist.