Behandelter Abschnitt 3Mo 8,1
Das Heiligtum
Christus, Opfer und Priester
Nachdem wir die Lehre von den Opfern, wie sie in den sieben ersten Kapiteln unseres Buches enthalten ist, betrachtet haben, kommen wir jetzt zu dem Priestertum. Die Opfer und das Priestertum stehen miteinander in enger Verbindung. Der Sünder bedarf eines Opfers, der Gläubige bedarf eines Priesters. Wir finden beides, Opfer und Priester, in Christus; nachdem Er sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, ist Er droben im Heiligtum in den Bereich seines priesterlichen Dienstes eingetreten. Wir benötigen kein anderes Opfer und keinen anderen Priester. Er teilt jedem Dienst, den Er verrichtet, und jedem Werk, das Er vollbringt, die Würde und den Wert seiner Person mit.
Betrachten wir ihn als Opfer, so wissen wir, dass wir in ihm alles besitzen, was ein vollkommenes Opfer nur sein kann. Betrachten wir ihn als Priester, so wissen wir, dass jeder priesterliche Dienst vollkommen durch ihn erfüllt wird. Als Opfer führt Er sein Volk in ein fest gegründetes Verhältnis zu Gott, und als Priester bewahrt Er es darin gemäß der Vollkommenheit seiner Person. Das Priestertum ist für die bestimmt, die sich bereits in einer bestimmten Beziehung zu Gott befinden. Als Sünder von Natur und nach all unserem Tun sind wir „durch das Blut des Kreuzes“ (Kol 1,20) Gott nahe gebracht worden. Wir stehen vor ihm als die Frucht seines eigenen Werkes. Er hat unsere Sünden hinweggetan, so dass wir zum Preis seines Namens vor ihm sein können als lebendiger Beweis für das, was Er durch die Kraft des Todes und der Auferstehung zu vollbringen vermag.
Ein Priester im Himmel
Aber obwohl völlig befreit von allem, was gegen uns sein konnte, obwohl begnadigt und vollkommen angenehm gemacht in dem Geliebten, obwohl vollendet in Christus und hoch erhoben, sind wir dennoch, solange wir uns auf der Erde befinden, in uns selbst armselige, schwache Geschöpfe, stets geneigt, abzuirren und zu straucheln, den mannigfaltigen Versuchungen, Prüfungen und Fallstricken bloßgestellt. So haben wir den ununterbrochenen Dienst unseres „großen Hohenpriesters“ nötig, dessen Gegenwart im Heiligtum droben uns in der vollen Unverletzlichkeit des Platzes und Verhältnisses, in dem wir uns aus Gnade befinden, bewahrt und aufrechterhält, „indem er allezeit lebt, um sich für uns zu verwenden“ (Heb 7,25). Wir würden hier unten auf der Erde nicht unseren Platz behaupten können, wenn Er nicht droben für uns lebte. „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Joh 14,19). „Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden“ (Röm 5,10).
Der „Tod“ und das „Leben“ sind in der Haushaltung der Gnade untrennbar miteinander verbunden. Aber man vergesse nicht, dass das Leben nach dem Tod kommt. Es ist das Leben des aus den Toten auferstandenen Christus und nicht sein Leben auf der Erde, auf das der Apostel in der soeben angeführten Schriftstelle hinweist. Dieser Unterschied verdient unsere Beachtung. Natürlich war das Leben unseres Herrn Jesus hier auf der Erde von unendlichem Wert, aber Er nahm nicht eher den Platz seines priesterlichen Dienstes ein, bis das Werk der Erlösung durch ihn vollbracht war. Auch hatte Er als Mensch auf der Erde kein Priester sein können, „denn es ist offenbar, dass unser Herr aus Juda entsprossen ist, einem Stamm, über den Moses in Bezug auf Priester nichts geredet hat“ (Heb 7,14). „Denn jeder Hohepriester wird dazu bestellt, sowohl Gaben als auch Schlachtopfer darzubringen; daher ist es notwendig, dass auch dieser etwas hat, was er darbringt. Wenn er nun auf der Erde wäre, so wäre er nicht einmal Priester, weil solche da sind, die nach dem Gesetz die Gaben darbringen“ (Heb 8,3.4; vgl. auch Kap. 9,11.12.24).
Priester auf der Erde?
Der Himmel, und nicht die Erde, ist der Bereich des priesterlichen Dienstes Christi, und in diesen Bereich ist Er eingetreten, nachdem Er sich ohne Flecken Gott geopfert hatte. Nie erschien Er als ein Priester in dem Tempel auf der Erde. Er ging oft hinein, um zu lehren, nie aber, um zu opfern oder zu räuchern. Außer Aaron und seinen Söhnen ist nie jemand von Gott verordnet worden, den Dienst des Priesteramtes zu erfüllen. „Wenn er nun auf der Erde wäre, so wäre er nicht einmal Priester.“ Dieser Punkt ist in Verbindung mit der Lehre vom Priestertum sehr bedeutsam. Der Himmel ist der Bereich, und die volle Erlösung ist die Grundlage des Priestertums Christi. Außer in dem Sinn, dass alle Gläubigen Priester sind (1Pet 2,5), gibt es jetzt keinen Priester auf der Erde. Wenn nicht jemand seine Abkunft von Aaron nachweisen, wenn er seinen Stammbaum nicht bis zu dieser Wurzel hin verfolgen kann, so hat er kein Recht, das Priesteramt auszuüben. Könnte selbst eine apostolische Nachfolge nachgewiesen werden, so wäre sie ohne Wert, da die Apostel selbst keine Priester waren, außer in dem oben angedeuteten Sinn.
Das schwächste Glied der Haushaltung des Glaubens ist ebenso gut ein Priester, wie der Apostel Petrus selbst es war. Der jüngste Gläubige ist ein geistlicher Priester. Er betet an in einem geistlichen Tempel. Er steht vor einem geistlichen Altar. Er ist bekleidet mit geistlichen Gewändern. „Auch ihr selbst werdet als lebendige Steine aufgebaut, ein geistliches Haus, zu einer heiligen Priesterschaft, um darzubringen geistliche Schlachtopfer, Gott wohlangenehm durch Jesus Christus“ (1Pet 2,5). „Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Das Wohltun aber und Mitteilen vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Heb 13,15.16).
Wenn ein direkter Abkömmling des Hauses Aarons heute bekehrt würde, so würde er in einem ganz neuen Charakter und auf einer ganz neuen Grundlage in den priesterlichen Dienst eintreten. Und beachten wir es wohl, dass in den soeben angeführten Schriftstellen die beiden großen Klassen der geistlichen Opfer dargestellt werden, die der geistliche Priester darbringen darf: das Opfer des Lobes Gott gegenüber und das Opfer des Wohltuns den Menschen gegenüber. Fortwährend geht ein doppelter Strom von einem Gläubigen aus, der im bewussten Genuss seiner priesterlichen Stellung lebt: der Strom eines zu dem Thron Gottes emporsteigenden dankbaren Lobes und der Strom einer der bedürftigen Welt zufließenden regen Wohltätigkeit.
Der geistliche Priester steht da, die eine Hand zur Darbringung des Weihrauchs dankbaren Lobes zu Gott emporgehoben und die andere weit geöffnet, um dem menschlichen Bedürfnis zu begegnen. Würden diese Dinge klarer erfasst werden, welch eine Erhabenheit, welch eine Schönheit würden sie dem christlichen Charakter verleihen! – Erhabenheit, insofern das Herz sich stets zu der unendlichen Quelle alles dessen, was erheben kann, emporrichten und Schönheit, insofern es sich allezeit den Ansprüchen auf Mitgefühl geöffnet zeigen würde. Diese beiden Dinge sind nicht zu trennen. Ein unmittelbarer Verkehr des Herzens mit Gott muss es unbedingt erheben und weit machen, während andererseits ein Wandel in der Entfernung von Gott dürre macht und verschließt. Eine vertraute Gemeinschaft mit Gott sowie das ständige Bewusstsein unserer priesterlichen Würde ist das einzige kräftige Heilmittel gegen die niedrigen selbstsüchtigen Neigungen unserer alten Natur.
Nach diesen allgemeinen Betrachtungen über das Priestertum wollen wir zum Inhalt des achten und neunten Kapitels unseres Buches übergehen.