Behandelter Abschnitt 3Mo 5,16
Erstattung und ein Fünftel hinzufügen
„Und was er an dem Heiligen gesündigt hat, soll er erstatten und dessen Fünftel darüber hinzufügen und es dem Priester geben; und der Priester soll Sühnung für ihn tun mit dem Widder des Schuldopfers, und es wird ihm vergeben werden“ (Kap. 5,16). In der Hinzufügung des „Fünftels“ finden wir einen Charakterzug des wahren Schuldopfers, der wohl zu wenig gewürdigt wird. Wenn wir an all das Böse und all die Vergehungen denken, deren wir uns dem Herrn gegenüber schuldig gemacht haben, und wenn wir uns ferner daran erinnern, wie Gott in dieser bösen Welt seiner Rechte beraubt worden ist, mit welcher Dankbarkeit können wir dann das Werk am Kreuz betrachten, wodurch Gott nicht nur das Verlorene wiedererlangt, sondern wodurch Er in Wirklichkeit gewonnen hat! Er gewann durch die Erlösung mehr, als Er durch den Sündenfall verloren hatte. Er erntet auf den Feldern der Erlösung eine reichere Ernte an Herrlichkeit, Ehre und Lob, als Er je auf den Feldern der Schöpfung hätte ernten können.
Die „Söhne Gottes“ konnten angesichts der leeren Gruft Jesu einen erhabeneren Lobgesang anstimmen, als sie es je angesichts des vollendeten Schöpfungswerkes getan hatten. Das Unrecht ist durch das Werk des Kreuzes nicht nur völlig gesühnt, sondern es ist auch ein ewiger Vorteil gewonnen worden. Welch eine bewundernswerte Wahrheit! Durch das auf Golgatha vollbrachte Werk ist Gott Gewinner. Wer hätte je so etwas erdenken können? Wenn wir den Menschen und die ihm unterworfene Schöpfung zu den Füßen des Feindes in Trümmern liegen sehen, wie könnten wir dann ahnen, dass Gott aus diesen Trümmern heraus eine reichere und edlere Beute sammeln würde als die, welche eine nicht gefallene Welt je hätte liefern können? Für alles das sei der Name Jesu gepriesen! Ihm allein verdanken wir alles. Nur durch sein Kreuz konnte eine so wunderbare, göttliche Wahrheit zum Ausdruck gelangen. Wirklich, dieses Kreuz schließt eine geheimnisvolle Weisheit in sich, eine Weisheit, „die keiner von den Fürsten dieses Zeitlaufs erkannt hat (denn wenn sie sie erkannt hätten, so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben)“ (1Kor 2,8).
Kein Wunder, dass Propheten und Apostel, Märtyrer und Heilige in inniger Liebe stets dies Kreuz und den umklammert haben, der daran hing. Kein Wunder, dass der Heilige Geist das feierliche, aber gerechte Urteil verkündigt hat: „Wenn jemand den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat, der sei verflucht; Maranatha!“ (1Kor 16,22). Ja, Himmel und Erde werden zu diesem „verflucht“ ein lautes und ewiges Amen widerhallen lassen. Kein Wunder, dass es der feste und unwandelbare Vorsatz Gottes ist, „dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,10.11).
Jene Verordnung bezüglich des „Fünftels“ fand auch ihre Anwendung auf ein an einem Menschen begangenes Vergehen, denn wir lesen: „Wenn jemand sündigt und Untreue gegen den Herrn11 begeht, indem er seinem Nächsten ein anvertrautes Gut ableugnet oder ein Darlehen oder etwas Geraubtes . . . und er soll es erstatten nach seiner vollen Summe und dessen Fünftel darüber hinzufügen; wem es gehört, dem soll er es geben am Tag seines Schuldopfers“ (Kap. 6,2–5).
Ob wir also an den Beleidigten oder an den Beleidiger denken – stets begegnen uns die herrlichen Triumphe der Erlösung sowie die mächtigen praktischen Folgen, die jenem Evangelium entspringen, das die Seele mit der seligen Zuversicht erfüllt, dass „alle Vergehungen vergeben“ sind und dass die Wurzel, aus der sie hervorkamen, ihr Gericht empfangen hat. „Das Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes“ (1Tim 1,11) ist allein imstande, einen Menschen zu einem Schauplatz hinzuführen, der einst Zeuge seiner Sünden, seiner Vergehungen und seiner bösen Wege war, ja, ihn zurückzuführen zu allen denen, die in irgendeiner Weise durch seine bösen Taten gelitten haben, und zwar ausgerüstet mit Gnade, um nicht nur das geschehene Unrecht wiedergutzumachen, sondern in all seinem Tun praktische Wohltätigkeit an den Tag zu legen; ja seine Feinde zu lieben, Gutes zu tun denen, die ihn hassen, und zu bitten für die, die ihn beleidigen und verfolgen. Das ist die kostbare Gnade Gottes! So handelt sie in Verbindung mit unserem großen Schuldopfer. Das sind ihre reichen Früchte!
Welch eine triumphierende Antwort auf die spitzfindige Frage des Fleisches: „Sollten wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme?“ (Röm 6,1). Die Gnade hat nicht nur die Sünde in ihren Wurzeln getroffen, sondern sie verwandelt auch den Sünder aus einem Fluch in einen Segen, aus einer sittlichen Plage in einen Kanal göttlicher Barmherzigkeit, aus einem Abgesandten Satans in einen Boten Gottes, aus einem Kind der Finsternis in einen Sohn des Lichts, aus einem selbstsüchtigen Vergnügungsmenschen in einen sich selbst verleugnenden Freund Gottes, aus einem Sklaven hässlicher Lüste und Begierden in einen willigen Diener Christi, aus einem kalten, engherzigen Geizhals in einen freigiebigen Diener der Not seiner Mitmenschen. Man hört oft den Einwand: „Haben wir denn nichts zu tun? Ist das nicht ein wunderbar leichter Weg, um errettet zu werden? Kann man bei einem solchen Evangelium denn nicht leben, wie man will?“ Mögen alle, die eine solche Sprache führen, jenen Dieb anschauen (Eph 4,28), der zu einem freigebigen Wohltäter wurde.
Wirklich, sie kennen die Gnade nicht. Sie haben nie deren heiligenden und erhebenden Einfluss erfahren. Sie vergessen, dass, während das Blut des Schuldopfers das Gewissen reinigt, das Gesetz dieses Opfers den Schuldner zu dem zurückschickt, dem er Unrecht getan hat, und zwar nicht nur mit der „vollen Summe“, sondern auch mit einem „Fünftel“ darüber in seiner Hand. Welch ein edles Zeugnis von der Gnade und der Gerechtigkeit des Gottes Israels! Und welch eine herrliche Darstellung der Ergebnisse jenes wunderbaren Heilsplanes, durch den dem Beleidiger vergeben wird und der Beleidigte einen tatsächlichen Gewinn erlangt! Wenn das Gewissen bezüglich der Forderungen Gottes durch das Blut des Kreuzes zur Ruhe gebracht ist, so muss auch das Betragen bezüglich der Forderungen der praktischen Gerechtigkeit durch die Heiligkeit des Kreuzes geregelt werden.
Diese Dinge dürfen nie getrennt werden. Gott hat sie zusammengefügt, und der Mensch hüte sich, sie zu scheiden. Es ist leicht, die Grundsätze der Gnade zu bekennen, während man ihre Ausübung in der Praxis umgehen will. Es ist leicht, davon zu reden, dass man auf dem Blut des Schuldopfers ruht, während man die „volle Summe“ und das „Fünftel“ nicht liefert. Solches Reden ist eitel. „Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott“ (1Joh 3,10).
Nichts ist für die Gnade des Evangeliums entehrender als die Behauptung, dass ein Mensch Gott angehören könne, ohne in seinem Betragen und Charakter die schönen Züge praktischer Heiligkeit zu offenbaren. Gewiss sind „Gott seine Werke von Ewigkeit her bekannt“. Dennoch aber hat Er uns in seinem heiligen Wort die Kennzeichen gegeben, an denen wir die, die ihm angehören, erkennen können. „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ (2Tim 2,19). Wir haben kein Recht, anzunehmen, dass einer, der Böses tut, Gott angehört. Das Wort Gottes spricht über diese Sache unzweideutig und mit großer Autorität. „Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar.
Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt“ (1Joh 3,10). In unseren Tagen der Schlaffheit und der Nachsicht gegen sich selbst ist es gut, sich an diese Worte zu erinnern. Weit und breit gibt sich ein erschreckendes Maß von leichtfertigem, kraftlosem Bekenntnis kund, gegen das der wahre Christ entschieden Front zu machen hat. Er ist berufen, ein strenges Zeugnis abzulegen – ein Zeugnis, das hervorgeht aus der beständigen Offenbarung „der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preis Gottes“ (Phil 1,11).
11 In dem Ausdruck „gegen den Herrn „ ist ein schöner Grundsatz enthalten. Obwohl von einem an dem Nächsten verübten Vergehen die Rede ist, sieht der Herr es doch als eine Schuld gegen sich selbst an. Alles muss in Beziehung zu dem Herrn betrachtet werden. Es tut nichts zur Sache, wer davon berührt wird, der Herr muss den ersten Platz haben Als das Gewissen Davids wegen seiner Handlungsweise gegen Urija von dem Pfeil des Wortes Gottes durchbohrt und überführt wurde, rief er aus: „Ich habe gegen den Herrn gesündigt!“ (2Sam 12,13). Dieser Grundsatz schwächt nicht im Geringsten die Ansprüche des Menschen, dem die Beleidigung oder das Unrecht zugefügt worden ist.↩︎