Behandelter Abschnitt 3. Mose 5,15 - 6,7
Das Schuldopfer
Die Heiligkeit Gottes
Der vor uns liegende Abschnitt enthält zunächst die Lehre vom Schuldopfer, von dem es zwei verschiedene Arten gab Schuld gegen Gott und Schuld gegen Menschen. „Wenn jemand Untreue begeht und aus Versehen an den heiligen Dingen des Herrn sündigt, so soll er dem Herrn sein Schuldopfer bringen, einen Widder ohne Fehl vom Kleinvieh, nach deiner Schätzung an Sekeln Silber, nach dem Sekel des Heiligtums, zum Schuldopfer“ (Kap. 5,15). Hier haben wir einen Fall, wo „an den heiligen Dingen des Herrn“ ein bestimmtes Unrecht begangen worden war. Mochte es auch „aus Versehen“ geschehen sein, so konnte es doch nicht übersehen werden. Gott kann jede Art von Schuld vergeben, aber Er kann nicht das Geringste übersehen. Seine Gnade ist vollkommen, und darum kann Er alles vergeben. Seine Heiligkeit ist vollkommen, und darum kann Er nichts übersehen. Er kann keiner Art von Ungerechtigkeit seine Zustimmung geben, aber Er kann sie austilgen nach der Vollkommenheit seiner Gnade und nach den vollkommenen Forderungen seiner Heiligkeit.
Es ist ein großer Irrtum, wenn man meint, dass es mit einem Menschen gut stehe, wenn er nur nach den Eingebungen seines Gewissens handelt. Der Friede, der auf einer solchen Grundlage ruht, wird sich als nichtig erweisen, sobald das Licht des Richterstuhls das Gewissen zu erleuchten beginnt. Gott kann unmöglich seine Forderungen so stark reduzieren. Bei der Betrachtung des Sündopfers hatten wir bereits Gelegenheit, diesen Punkt ins Auge zu fassen, doch kann er nicht genug betont werden. Zwei Dinge hängen eng damit zusammen. Zunächst ein richtiges Erfassen dessen, was Gottes Heiligkeit wirklich ist, und dann ein klares Verständnis der Grundlage für den Frieden eines Gläubigen in der Gegenwart Gottes.
Mag es sich um meinen Zustand oder um mein Verhalten, um meine Natur oder um meine Taten handeln Gott allein kann Richter sein über das, was ihm angemessen und was mit seiner heiligen Gegenwart im Einklang ist. Kann menschliche Unwissenheit als Entschuldigungsgrund gelten, wenn es sich um eine Verletzung göttlicher Forderungen handelt? Unmöglich. Ein Unrecht ist begangen worden an den heiligen Dingen des Herrn, aber das Gewissen des Menschen hat kein Bewusstsein davon. Was nun? Hat die Sache damit ihr Bewenden? Dürfen die Forderungen Gottes so leichthin abgetan werden? Sicherlich nicht. Das würde jede Beziehung zu Gott, welcher Art sie auch sein mag, unmöglich machen. Die Gerechten werden aufgefordert, das heilige Gedächtnis des Herrn zu preisen (Ps 97,12).
Inwiefern können sie das tun? Weil ihr Friede auf dem Boden der vollkommenen Aufrechthaltung und Befriedigung der Heiligkeit Gottes gesichert ist. Je höher daher ihre Erkenntnis von dieser Heiligkeit ist, umso tiefer und fester wird ihr Friede sein. Das ist eine überaus kostbare Wahrheit. Der nicht wiedergeborene Mensch kann sich niemals über die Heiligkeit Gottes freuen. Sein Bestreben wird stets dahin gehen, das Vorhandensein dieser Heiligkeit zu leugnen oder, wenn er das nicht vermag, sie doch zu verringern. Er wird sich mit dem Gedanken trösten, dass Gott gütig, gnädig und barmherzig ist, aber niemals wird man finden, dass er sich darüber freut, dass Gott heilig ist. Er hat unheilige Gedanken bezüglich der Güte, der Gnade und Barmherzigkeit Gottes und möchte gern in diesen Eigenschaften Gottes eine Entschuldigung finden, um in der Sünde verharren zu können.
Der Wiedergeborene hingegen freut sich über die Heiligkeit Gottes. Er erblickt ihren völligen Ausdruck in dem Kreuz des Herrn Jesus. Gerade diese Heiligkeit ist es, die den Grund zu seinem Frieden gelegt hat. Und nicht nur das, sondern er ist auch zu ihrem Teilhaber gemacht und erfreut sich in ihr, während er die Sünde hasst. Die göttliche Natur bebt vor der Sünde zurück und sehnt sich nach Heiligkeit. Unmöglich könnten wir wahren Frieden und wahre Freiheit des Herzens genießen, wenn wir nicht wüssten, dass allen Anforderungen im Blick auf „die heiligen Dinge des Herrn“ vollkommen durch unser göttliches Schuldopfer entsprochen worden ist. Stets würde das entmutigende Gefühl in unseren Herzen aufsteigen, jene Anforderungen durch unsere vielerlei Schwachheiten und Gebrechen vernachlässigt zu haben. Unsere besten Handlungen, unsere heiligsten Übungen werden wohl immer etwas, was nicht getan werden sollte, irgendeine Versündigung „an den heiligen Dingen des Herrn“ an sich tragen.
Wie oft werden die Stunden unserer öffentlichen Anbetung oder unserer Hausandacht durch Dürre und Zerstreutheit gehemmt und gestört! Wir brauchen daher die Gewissheit, dass allen unseren Vergehungen durch das kostbare Blut Christi auf göttliche Weise begegnet worden ist. In unserem hochgelobten Herrn finden wir den, der sich selbst erniedrigt hat, um allen unseren Bedürfnissen – wir waren Sünder von Natur und Schuldner durch die Tat – völlig zu entsprechen. In ihm finden wir hinsichtlich aller unserer Sünden und aller unserer Vergehungen eine vollkommene Antwort auf alle Beschuldigungen unseres Gewissens und auf alle Forderungen der göttlichen Heiligkeit, so dass der Gläubige mit gereinigtem Gewissen und mit befreitem Herzen in dem vollen Licht jener Heiligkeit stehen kann, die zu rein ist, „um Böses zu sehen und Mühsal anzuschauen“ (Hab 1,13).