Behandelter Abschnitt 3Mo 4,3
Vergleich: Sündopfer und Brandopfer
Wenn wir jetzt das Sündopfer mit dem Brandopfer vergleichen, so werden wir zwei ganz verschiedene Seiten von Christus entdecken. Natürlich ist es immer ein und derselbe Christus, und deshalb war das Opfer in jedem Fall „ohne Fehl“. Das ist leicht zu verstehen. Von welchem Gesichtspunkt aus wir den Herrn Jesus auch betrachten mögen – immer stellt Er sich unseren Blicken als derselbe Reine, Heilige und Vollkommene dar. Freilich erniedrigte Er sich selbst in seiner überströmenden Gnade, um der Sündenträger seines Volkes zu werden, aber der dies tat, war ein vollkommener, fleckenloser Christus. Die innere Vortrefflichkeit, die ungetrübte Reinheit und die göttliche Herrlichkeit unseres Herrn erscheinen ebenso klar im Sündopfer wie im Brandopfer. Welche Stellung Er auch einnimmt, welchen Dienst Er erfüllt, welches Werk Er vollbringt – immer strahlt uns seine persönliche Herrlichkeit in ihrem göttlichen Glanz entgegen.
Diese Wahrheit, dass wir im Brandopfer wie im Sündopfer denselben Christus finden, geht nicht nur aus der Tatsache hervor, dass das Opfer in jedem Fall „ohne Fehl“ war, sondern findet auch in dem Gesetz des Sündopfers ihre Bestätigung. Wir lesen im 6. Kapitel: „Rede zu Aaron und zu seinen Söhnen und sprich: Dies ist das Gesetz des Sündopfers. An dem Ort, wo das Brandopfer geschlachtet wird, soll das Sündopfer geschlachtet werden vor dem Herrn: Hochheilig ist es“ (V. 17.18). Beide Bilder weisen also damit auf dasselbe große Gegenbild hin, obwohl sie den Herrn in solch entgegengesetzten Seiten seines Werkes darstellen. Im Brandopfer entspricht Christus den göttlichen Zuneigungen, im Sündopfer begegnet Er den Tiefen des menschlichen Bedürfnisses. Das eine stellt ihn dar als den, der den Willen Gottes erfüllt, das andere als den, der die Sünde des Menschen trägt. In einem lernen wir die Kostbarkeit des Opfers, im anderen die Hassenswürdigkeit der Sünde kennen.
Bei der Betrachtung des Brandopfers bemerkten wir, dass es dargebracht wurde „zum Wohlgefallen für ihn vor dem Herrn“ (Kap. 1,3). Diese Worte fehlen beim Sündopfer. Das Brandopfer stellt uns Christus als den dar, der sich freiwillig, ohne Flecken, in seinem ganzen kostbaren Wert Gott geopfert hat. Es war seine Speise und sein Trank, den Willen Gottes zu tun und ihn nach jeder Richtung hin zu verherrlichen. Im Sündopfer dagegen sehen wir eine ganz andere Seite der Wahrheit. Da erblicken wir Christus nicht als den, der „zum Wohlgefallen“ für uns den Willen Gottes erfüllte, sondern als den, der jene schreckliche Sache, „Sünde“ genannt, trägt, sowie als den, der alle ihre entsetzlichen Folgen erduldet, unter denen das Verbergen des Angesichts Gottes eine der schrecklichsten war. Die Worte „zum Wohlgefallen für ihn“ würden daher nicht mit dem Zweck des Geistes im Sündopfer in Einklang zu bringen sein. Ihr Vorhandensein in dem einen und ihr Fehlen in dem anderen Fall liefern einen Beweis für die göttliche Genauigkeit der Bilder des dritten Buches Mose.
Der soeben betrachtete Gegensatz erklärt zwei Aussprüche unseres Herrn oder bringt sie vielmehr in Übereinstimmung. Bei einer Gelegenheit sagt Er: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“, und bei einer anderen: „Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (Joh 18,11; Mt 26,39). Der erste dieser Aussprüche war die völlige Verwirklichung der Worte: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb 10,7), mit denen Er seinen Weg auf der Erde begann. Zugleich vernehmen wir darin die Sprache Christi als Brandopfer.
Der zweite Ausspruch ist eine Äußerung Christi, als Er auf den Platz schaute, den Er als Sündopfer einnehmen sollte. Was dieser Platz war und was er für ihn, indem Er ihn einnahm, enthielt, werden wir im Lauf unserer Betrachtungen deutlicher erkennen. Es war seine Wonne, den Willen Gottes zu tun, aber Er bebte vor dem Gedanken zurück, des Lichtes seines Angesichts beraubt zu sein. Kein Opfer hätte ihn in diesen beiden Stellungen zugleich darstellen können. Wir bedurften eines Bildes, um uns ihn als den vorstellen zu können, dessen Freude es war, den Willen Gottes zu tun, und eines anderen, um uns ihn als den vorzustellen, dessen heilige Natur vor den Folgen der Sünde zurückbebte, die ihm zugerechnet wurde. Gott sei Dank!
Wir haben beides. Das Brandopfer zeigt uns die eine, das Sündopfer die andere Seite. Und das Sündopfer allein liefert uns das passende Bild von dem Herrn Jesus als dem, der jene Worte tiefster Seelenangst ausrief: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ Nur hier finden wir Umstände, die solche Worte aus seiner fleckenlosen Seele hervorkommen ließen. Der finstere Schatten des Kreuzes mit seiner Schande, seinem Fluch und dem Abgeschnittensein von dem Licht des Angesichts Gottes ging an seinem Geist vorüber, und Er vermochte es nicht anzuschauen, ohne auszurufen: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.“ Aber kaum war dieser Ausruf über seine Lippen gekommen, da offenbarte sich seine tiefe Unterwürfigkeit in den Worten: „Dein Wille geschehe!“ Welch ein bitterer Kelch muss es gewesen sein, der ein völlig ergebenes Herz zu den Worten veranlasste: „Er gehe an mir vorüber“! Und welch eine vollkommene Unterwürfigkeit, die angesichts eines so schrecklichen Kelches von Herzen ausrufen konnte: „Dein Wille geschehe“!