Behandelter Abschnitt 2. Mose 17,1-7
Rephidim
Der geschlagene Felsen
„Und die ganze Gemeinde der Kinder Israel brach auf aus der Wüste Sin, nach ihren Zügen, nach dem Befehl des Herrn, und sie lagerten in Rephidim; und da war kein Wasser zum Trinken für das Volk.
Und das Volk haderte mit Mose, und sie sprachen: Gebt uns Wasser, dass wir trinken! Und Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? Was versucht ihr den Herrn?“ (V. 1.2). Wenn wir nicht ein wenig die demütigende Bosheit unserer eigenen Herzen kennten, würden wir uns die Gefühllosigkeit der Israeliten gegenüber der Güte und Treue und den mächtigen Taten Gottes nicht erklären können. Gerade hatten sie noch Brot vom Himmel herabfallen sehen, um sechshunderttausend Menschen in der Wüste zu speisen und schon neigen sie dazu, Mose zu steinigen – unter dem Vorwand, er habe sie in die Wüste geführt, um sie vor Durst umkommen zu lassen. Nichts kann den entsetzlichen Unglauben und die Bosheit des menschlichen Herzens übertreffen als nur die überströmende Gnade Gottes.
Nur in dieser Gnade können wir ruhen trotz der immer zunehmenden Erkenntnis unserer bösen Natur, die durch die Umstände offenbar gemacht wird. Wenn die Israeliten von Ägypten unmittelbar nach Kanaan geführt worden wären, dann hätten sie keine so traurigen Beweise von der Unzulänglichkeit des Menschen gegeben; dann wären sie allerdings auch keine so treffenden Beispiele für uns geworden. Nun aber ist ihre vierzigjährige Wüstenwanderung für uns eine Quelle ernster Ermahnungen, Warnungen und Unterweisungen. Unter vielem anderen zeigen sie uns die unverständliche Neigung des menschlichen Herzens, Gott mit Misstrauen zu begegnen. Dies Herz will alles – nur Gott nicht. Es stützt sich lieber auf die armseligen, menschlichen Hilfsmittel als auf den allmächtigen, allweisen und allgütigen Gott; und eine kleine Wolke genügt, um ihm das Licht des Angesichts Gottes zu verbergen. Mit Recht wird es ein „böses Herz des Unglaubens“ genannt, das ständig bereit ist, von dem lebendigen Gott abzufallen (Heb 3,12).
Es sind zwei interessante Fragen, die der Unglaube in diesem und im vorigen Kapitel erhebt. Es sind genau dieselben Fragen, die tagtäglich in uns selbst und in unserer Umgebung aufkommen: „Was sollen wir essen?“, und: „Was sollen wir trinken?“ (Mt 6,31). Das Volk stellt hier zwar nicht die dritte Frage dieser Art: „Was sollen wir anziehen?“, aber das sind die Fragen der Wüste: „Was?“, „Wo?“, „Wie?“ Für jede von ihnen hat der Glaube nur eine kurze, aber entscheidende Antwort, nämlich: Gott! Das ist eine vollkommene Antwort! Möchten wir immer mehr erkennen, welche Kraft und Fülle darin liegt. Gewiss ist es nötig, dass wir uns in Prüfungssituationen an die Worte des Apostels erinnern: „Keine Versuchung hat euch ergriffen als nur eine menschliche; Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet, sondern mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen wird, so dass ihr sie ertragen könnt“ (1Kor 10,13).
Sooft wir in irgendeine Bedrängnis kommen, dürfen wir überzeugt sein, dass mit dieser Bedrängnis auch ein Ausweg da ist, wenn wir nur unseren Eigenwillen ablegen und einfältig genug sind, um diesen Ausweg zu sehen. „Da schrie Mose zu dem Herrn und sprach: Was soll ich mit diesem Volk tun? Noch ein wenig und sie steinigen mich. Und der Herr sprach zu Mose: Geh vor dem Volk her, und nimm mit dir einige von den Ältesten Israels; und deinen Stab, womit du den Strom geschlagen hast, nimm in deine Hand und geh hin. Siehe, ich will dort vor dir stehen auf dem Felsen am Horeb; und du sollst auf den Felsen schlagen, und es wird Wasser daraus hervorkommen, dass das Volk trinke. Und Mose tat so vor den Augen der Ältesten Israels“ (V. 4–6). So führt jede Unzufriedenheit eine neue Offenbarung der Gnade herbei.
Wir sehen hier das erfrischende Wasser aus dem geschlagenen Felsen hervorquellen – ein Bild von dem Geist, der dem Gläubigen als die Frucht des vollbrachten Opfers Christi geschenkt ist. Im vorigen Kapitel fanden wir ein Bild von Christus als dem, der vom Himmel kam, um der Welt das Leben zu geben; hier haben wir ein Bild des Heiligen Geistes, der kraft des vollbrachten Werkes Christi „ausgegossen“ worden ist. „. . . und alle denselben geistlichen Trank tranken, denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, welcher nachfolgte. Der Fels aber war der Christus“ (1Kor 10,4). Aber wer hätte trinken können, bevor der Felsen geschlagen worden war? Die Kinder Israel hätten diesen Felsen tagelang anstarren und doch vor Durst sterben können; denn bevor er nicht durch den Stab Gottes geschlagen war, konnte er keine Erquickung schenken. Das ist leicht zu verstehen. Der Herr Jesus ist der Mittelpunkt und die Grundlage aller Ratschlüsse der Liebe und Barmherzigkeit Gottes.
Die Gnade sollte durch das „Lamm Gottes“ offenbart werden; aber bevor das möglich war, musste das Lamm geschlachtet und das Werk am Kreuz eine vollendete Tatsache sein. Erst als der Fels durch die Hand des Herrn gespalten war, wurden die Schleusen der ewigen Liebe weit geöffnet und verlorene Sünder durch das Zeugnis des Heiligen Geistes eingeladen, in Fülle und umsonst zu trinken (Off 22,17). „Die Gabe des Heiligen Geistes“ (Apg 2,38) ist das Resultat des am Kreuz vollbrachten Werkes Christi. Die Verheißung des Vaters (Lk 24,49) konnte nicht eher erfüllt werden, als bis Christus zur Rechten der Majestät in den Himmeln erhöht worden war, und zwar nachdem Er eine vollkommene Gerechtigkeit bewirkt, alle Forderungen der Heiligkeit erfüllt, das Gesetz verherrlicht, den Zorn Gottes über die Sünde in seiner ganzen Schärfe getragen und die Macht des Todes gebrochen hatte. Nachdem dies alles geschehen war, ist Er „hinaufgestiegen in die Höhe“ und hat „die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben. Das aber: Er ist hinaufgestiegen, was ist es anderes, als dass er auch hinabgestiegen ist in die unteren Teile der Erde? Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er alles erfüllte“ (Ps 68,19; Eph 4,8-10).
Dies ist für alle Ewigkeit die Grundlage des Friedens, der Glückseligkeit und der Herrlichkeit der Versammlung. Bevor der Felsen geschlagen wurde, konnte kein Wasser hervorkommen, und der Mensch war unfähig, etwas zu tun. Welche menschliche Macht hätte aus einem harten Felsen Wasser hervorbringen können? Welche menschliche Gerechtigkeit hätte die Macht gehabt, die Schleusen der Liebe Gottes zu öffnen? Es gab kein besser geeignetes Mittel, um die Fähigkeit des Menschen zu erproben. Weder durch seine Handlungen noch durch seine Worte noch durch seine Gefühle hätte er die Sendung des Heiligen Geistes bewirken können. Aber, Gott sei Dank! Was der Mensch nicht vermochte, das hat Gott getan. Christus hat das Werk vollbracht! Der Felsen ist geschlagen worden, und ein Strom ist daraus hervorgebrochen, an dem jeder Dürstende Erquickung finden kann.
Der Herr Jesus sagt: „Das Wasser, das ich ihm geben werden, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt“ (Joh 4,14). Und an anderer Stelle lesen wir: „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus da und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“ (Joh 7,37-39; vgl. Apg 19,2).
Das aus dem geschlagenen Felsen hervorströmende Wasser ist also ein Bild des Heiligen Geistes. „Wenn du die Gabe Gottes kenntest . . . so hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser (d. h. den Heiligen Geist) gegeben“ (Joh 4,10). Aber der Name des Ortes, an dem dieses Bild gegeben wurde, ist ein ewiges Denkmal von dem Unglauben des Menschen. „Und er gab dem Ort den Namen Massa (Versuchung) und Meriba (Hader), wegen des Haderns der Kinder Israel und weil sie den Herrn versucht hatten, indem sie sagten: Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ (V. 7). Nach so vielen Zusicherungen und Beweisen von der Gegenwart Gottes zeigte diese Frage, wie tief der Unglaube im menschlichen Herzen verwurzelt ist. Das hieß in der Tat „ihn versuchen“. Dasselbe taten die Juden, als Christus unter ihnen lebte: Sie versuchten ihn, indem sie ein Zeichen vom Himmel forderten. So handelt der Glaube niemals; er glaubt an die Gegenwart Gottes und freut sich darüber, und zwar nicht aufgrund eines Zeichens, sondern aufgrund der Erkenntnis Gottes selbst. Möge der Herr uns ein einfältigeres Vertrauen auf ihn geben!