Behandelter Abschnitt 2. Mose 8,26-27
Die Drei-Tage-Reise und die wahre Stellung der Gläubigen außerhalb der Welt
Die Erwiderung Moses auf den ersten Einwand des Pharaos ist sehr bemerkenswert. „Und Mose sprach: Es geziemt sich nicht, so zu tun; denn wir würden dem Herrn, unserem Gott, die Gräuel2 der Ägypter opfern; siehe, opferten wir die Gräuel der Ägypter vor ihren Augen, würden sie uns nicht steinigen? Drei Tagesreisen weit wollen wir in die Wüste ziehen und dem Herrn, unserem Gott, opfern, so wie er zu uns geredet hat“ (Kap. 8,26.27). Das war eine wirkliche Trennung von Ägypten: „drei Tagesreisen weit“; und das allein konnte den Glauben zufrieden stellen.
Das Volk Gottes musste in der Kraft der Auferstehung von dem Land des Todes und der Finsternis getrennt werden. Das Wasser des Roten Meeres musste zwischen den Erkauften Gottes und dem Land Ägypten sein, ehe sie ihrem Herrn in gebührender Weise opfern konnten. Wären sie in Ägypten geblieben, so hätten sie ihm die Gegenstände des gräulichen Gottesdienstes Ägyptens opfern müssen; das aber hätte nicht genügt. Die Stiftshütte, der Tempel und der Altar wären in Ägypten nicht denkbar gewesen. Innerhalb der Grenzen dieses Landes gab es keinen Platz für irgendetwas Derartiges. Und tatsächlich begann der Dienst der Anbetung und das Lob Gottes nicht eher, als bis die ganze Gemeinde in der Kraft der vollbrachten Erlösung die andere, Kanaan zugewandte Seite des Roten Meeres erreicht hatte. Genauso ist es heute. Der Gläubige muss wissen, wohin der Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus Christus ihn für immer gestellt haben, bevor er ein einsichtsvoller Anbeter, ein wohlgefälliger Diener und ein wirksamer Zeuge sein kann.
Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob man ein Kind Gottes und somit gerettet ist. Viele Kinder Gottes sind weit davon entfernt, alle Ergebnisse des Todes und der Auferstehung Christi zu verstehen. Sie vermögen nicht die kostbare Wahrheit zu erfassen, dass der Tod Christi ihre Sünden für immer abgeschafft hat (Heb 9,26) und dass sie die glücklichen Teilhaber seines Auferstehungslebens sind, eines Lebens, mit dem die Sünde nichts mehr zu tun hat. Christus ist für uns zum Fluch geworden, und zwar nicht – wie etliche uns belehren möchten – weil Er unter dem Fluch eines übertretenen Gesetzes geboren wurde, sondern weil Er am Holz hing (vgl. 5Mo 21,23; Gal 3,13).
Wir waren unter dem Fluch, weil wir das Gesetz nicht gehalten hatten; aber Christus, der vollkommene Mensch, wurde, nachdem Er das Gesetz groß und herrlich gemacht hatte (Jes 42,21), gerade durch seinen vollkommenen Gehorsam ein Fluch für uns, indem Er ans Holz gehängt wurde. In seinem Leben machte Er also das Gesetz Gottes groß, und in seinem Tod trug Er unseren Fluch. Für den Gläubigen gibt es deshalb jetzt weder Schuld noch Zorn noch Verdammnis; und obwohl er vor dem Richterstuhl Christi offenbart werden muss, so wird sich doch dieser Richterstuhl ebenso günstig für ihn erweisen, wie es jetzt das Sühnmittel ist. Der Richterstuhl wird die Wahrheit seiner Stellung, nämlich dass nichts gegen ihn ist, offenbar machen; und was er ist, das hat Gott aus ihm gemacht. Er ist das Werk Gottes.
Gott hat sich seiner angenommen, als er in einem Zustand des Todes und der Verdammnis war, und hat ihn genau so gebildet, wie Er ihn haben wollte. Der Richter selbst hat alle seine Sünden getilgt und ist jetzt seine Gerechtigkeit, so dass der Richterstuhl ihm keinen Schaden bringen kann. Im Gegenteil, er wird für den Himmel, die Erde und die Hölle die öffentliche und feierliche Erklärung sein, dass der, der in dem Blut des Lammes von seinen Sünden gewaschen ist, so rein ist, wie nur Gott allein ihn rein zu machen vermag (vgl. Joh 5,24; Röm 8,1; 2Kor 5,5.10.11; Eph 2,10). Alles, was getan werden musste, hat Gott selbst getan. Könnte Er sein eigenes Werk verdammen? Die Gerechtigkeit, die gefordert wurde, hat Gott selbst bewirkt. Sollte Er noch einen einzigen Makel daran finden? Das Licht des Richterstuhls wird hell genug sein, um zu zeigen, dass der Gläubige ganz rein ist (Joh 13,10; 15,3; Eph 5,27).
Weil diese Grundwahrheiten nicht in einfältigem Glauben ergriffen werden, haben so viele Kinder Gottes keinen dauernden Frieden und ständige Veränderungen in ihrem geistlichen Zustand. Jeder Zweifel in dem Herzen eines Christen ist aber eine Unehre für das Werk Gottes und für das Opfer Christi. Wenn ein Gläubiger von Zweifeln und Furcht gequält wird, dann deshalb, weil er sich noch nicht in dem vollen Licht sieht, welches einst von dem Richterstuhl ausstrahlen wird. Und dennoch ist diese wankelmütige Haltung so vieler Seelen von untergeordneter Bedeutung, weil es nur ihre eigene Erfahrung betrifft. Viel beklagenswerter sind die dadurch hervorgebrachten Wirkungen auf ihre Anbetung, ihren Dienst und ihr Zeugnis, weil dies die Ehre des Herrn betrifft. Aber an diese Ehre wird im Allgemeinen wenig gedacht. Bei der Mehrzahl der bekennenden Christen gilt die persönliche Errettung als Hauptgegenstand, als Ziel und Ende. Wir sind immer geneigt, alles, was uns selbst betrifft als wesentlich anzusehen, während das, was auf die Verherrlichung Christi in und durch uns Bezug hat, als unwesentlich betrachtet wird.
Hier fehlt es an der klaren Erkenntnis, dass dieselbe Wahrheit, die dem Gläubigen einen unerschütterlichen Frieden gibt, ihn auch zu einer einsichtsvollen Anbetung, zu einem wohlgefälligen Dienst und zu einem wirksamen Zeugnis befähigt. In 1Kor 15 bezeichnet der Apostel den Tod und die Auferstehung Christi als das Fundament von allem, indem er sagt: „Ich tue euch aber kund, Brüder, das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch steht, durch das ihr auch errettet werdet (wenn ihr an dem Wort festhaltet, das ich euch verkündigt habe), es sei denn, dass ihr vergeblich geglaubt habt. Denn ich habe euch zuerst überliefert, was ich auch empfangen habe: dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, nach den Schriften; und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften“ (V. 1–4). Das ist das Evangelium in kurzen, aber umfassenden Worten. Ein gestorbener und auferstandener Christus ist die Grundlage der Errettung. Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden (Röm 4,25).
Jesus im Glauben zu betrachten – an das Kreuz geschlagen und jetzt sitzend auf dem Thron Gottes –, gibt dem Gewissen festen Frieden und dem Herzen vollkommene Freiheit. Wir blicken in das Grab und finden es leer, wir schauen zum Thron hinauf und sehen ihn besetzt; und wir gehen unseren Weg mit Freuden. Der Herr Jesus hat am Kreuz alles zugunsten seines Volkes in Ordnung gebracht; und zum Beweis dafür sehen wir ihn jetzt zur Rechten Gottes. Die Auferstehung Christi ist die ewige Gewähr einer vollbrachten Erlösung; und wenn die Erlösung eine vollendete Tatsache ist, dann ist der Friede des Gläubigen unerschütterlich. Nicht wir haben Frieden gemacht, wir hätten es auch nicht tun können. Aber Christus hat, nachdem Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht hat, triumphierend über jeden Feind in den himmlischen Örtern Platz genommen (Eph 1,20 f.). Durch ihn verkündigt Gott Frieden. Das Evangelium bringt diesen Frieden; und wer dem Evangelium glaubt, besitzt Frieden, unantastbaren Frieden vor Gott; denn Christus selbst ist sein Friede (Apg 10,36; Röm 5,1; Eph 2,14; Kol 1,20). Auf diese Weise hat Gott nicht nur seinen eigenen Ansprüchen Genüge getan, sondern eben damit auch einen gerechten Ausweg gefunden, durch den seine unendliche Liebe hinabströmen kann bis zu dem Schuldigsten unter den Nachkommen Adams.
Und endlich ist dies alles auch für das praktische Leben eines Christen von Bedeutung. Das Kreuz Christi hat nicht nur die Sünden des Gläubigen weggenommen, sondern auch für immer seine Verbindung mit der Welt gelöst, so dass er das Vorrecht hat, die Welt als eine gekreuzigte Sache zu betrachten und von ihr als ein Gekreuzigter betrachtet zu werden. Das ist das Verhältnis zwischen einem Gläubigen und der Welt. Sie ist ihm gekreuzigt und er ihr. Das Urteil der Welt über Christus fand seinen Ausdruck in dem Platz, den sie ihm mit Bedacht zuwies. Die Welt hatte zwischen Christus und einem Mörder zu wählen. Sie gab dem Mörder die Freiheit, während sie Christus zwischen zwei Räubern an das Kreuz heftete. Und wenn jetzt der Gläubige in der Nachfolge die Gesinnung Christi offenbart, dann gebührt ihm – auch nach dem Urteil der Welt – derselbe Platz. Auf diese Weise wird er nicht nur erkennen, dass er im Blick auf seine Stellung vor Gott mit Christus gekreuzigt ist, sondern er wird diese Tatsache auch in seinem Leben und in seinen Erfahrungen Tag für Tag verwirklichen.
Aber während das Kreuz das Band, das einst den Gläubigen mit der Welt verband, zerrissen hat, brachte ihn die Auferstehung in den Machtbereich neuer Verbindungen und neuer Beziehungen. Wie wir in dem Kreuz das Urteil der Welt über Christus erblicken, so zeigt uns die Auferstehung das Urteil Gottes. Die Welt hat Christus gekreuzigt, Gott aber hat ihn hoch erhoben (Phil 2,9). Der Mensch gab Christus den niedrigsten Platz, Gott gab ihm den höchsten; und da der Gläubige in seinen Gedanken über Christus zu einer vollkommenen Gemeinschaft mit Gott berufen ist, so ist er befähigt, das Blatt umzudrehen und die Welt als eine gekreuzigte Sache zu betrachten. Die moralische Entfernung, die den Gläubigen von der Welt trennt, ist daher unermesslich. Wenn sie es aber ihrem Wesen nach ist, so sollte sie es auch in der Praxis sein. Die Welt und der Christ sollten auch praktisch nichts miteinander gemein haben.
Das alles ist deutlich genug; aber wir müssen uns darüber klar sein, welcher Platz uns dadurch im Blick auf diese Welt angewiesen wird. Es ist ein Platz völlig außerhalb der Welt! Wir sind der Welt gestorben und mit Christus lebendig gemacht. Wir sind mit ihm verbunden in seiner Verwerfung, aber auch in seiner Annahme im Himmel; und die Freude darüber lässt uns die Trübsal der Verwerfung ertragen. Von der Erde verworfen zu sein, ohne zu wissen, dass ich einen Platz im Himmel habe, ist unerträglich; aber wenn die Herrlichkeiten des Himmels meinen Sinn ausfüllen, was frage ich dann nach der Erde und ihren Dingen?
Aber man wird vielleicht fragen: „Was ist die Welt?“ Schwerlich wird man einen Ausdruck finden, der unklarer und unbestimmter ausgelegt wird, als das Wort „Welt“ oder „Weltlichkeit“; denn wir neigen dazu, die „Weltlichkeit“ so zu definieren, dass wir uns selbst nicht verurteilen müssen. Das Wort Gottes hingegen gibt mit Bestimmtheit über die Bedeutung des Ausdruckes „Welt“ Aufschluss, indem es sie als das kennzeichnet, was „nicht von dem Vater ist“ (1Joh 2,15.16). Je enger daher meine Gemeinschaft mit dem Vater ist, umso schärfer wird mein Unterscheidungsvermögen im Blick auf die Weltlichkeit sein. Das ist Gottes Art, uns zu belehren. Je mehr man sich an der Liebe des Vaters erfreut, umso mehr verwirft man die Welt. Und wer offenbart den Vater? Der Sohn. In welcher Weise? Durch die Kraft des Heiligen Geistes. Je besser ich daher in der Kraft des Geistes die durch den Sohn bewirkte Offenbarung des Vaters verstehe, umso richtiger wird mein Urteil über alles sein, was von der Welt ist. Den Begriff „Welt“ klar begrenzen zu wollen, wäre vergebliche Mühe; denn er enthält, wie jemand einmal gesagt hat, alle Farbabstufungen, vom hellsten Weiß bis ins tiefste Schwarz.
Man kann keine Grenzen setzen und sagen: „Hier ist der Punkt, wo die Weltlichkeit beginnt“; aber die empfindsame göttliche Natur weicht vor ihr zurück; und unsere einzige Aufgabe besteht darin, dass wir in der Kraft dieser Natur leben, um uns vor Weltlichkeit zu bewahren: „Wandelt im Geist, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen“ (Gal 5,16). Wandelt mit Gott und ihr werdet nicht mit der Welt wandeln. Kalte Erklärungen und strenge Regeln werden hier wirkungslos bleiben. Was wir brauchen ist die Macht des göttlichen Lebens und geistliches Verständnis über die praktische Bedeutung jener „drei Tagereisen in die Wüste“, durch die wir nicht nur von den Ziegelhütten und Fronvögten Ägyptens, sondern auch von den Tempeln und Altären dieses Landes für immer getrennt sind.
2 Das Wort „Gräuel“ bezieht sich auf die Götzen, die die Ägypter verehrten.↩︎