Behandelter Abschnitt 2. Mose 4,22-26
Die Beschneidung und Moses Rückkehr nach Ägypten
Mose willigte also endlich ein, zu gehorchen; aber bevor er völlig für sein Werk gerüstet war, hatte er noch eine andere schmerzliche Übung durchzumachen. Gott musste das Todesurteil über seine Natur schreiben. Mose hatte „hinter der Wüste“ viele wichtige Lektionen gelernt; aber er sollte „unterwegs in der Herberge“ (V. 24) noch wichtigere lernen. Es ist eine ernste Sache, des Herrn Diener zu sein. Keine gewöhnliche Erziehung wird einen Menschen für diesen Beruf befähigen. Die Natur muss gekreuzigt und in der Stellung des Todes gehalten werden. „Wir selbst aber hatten das Urteil des Todes in uns selbst, damit wir nicht auf uns selbst vertrauten, sondern auf den Gott, der die Toten auferweckt“ (2Kor 1,9).
Jeder Diener muss, um in seinem Dienst gesegnet zu sein, etwas von dieser Wahrheit erfahren haben. Auch Mose musste, bevor er für seinen Dienst befähigt war, in eigener Erfahrung kennenlernen, was es heißt, das Urteil des Todes in sich zu tragen. Er war im Begriff, dem Pharao die feierliche Botschaft zu bringen: „So spricht der Herr: Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel; und ich sage zu dir: Lass meinen Sohn ziehen, damit er mir dient! Und weigerst du dich, ihn ziehen zu lassen, siehe, so werde ich deinen Sohn, deinen erstgeborenen, töten“ (V. 22.23). Das war die Botschaft Moses an den Pharao, eine Botschaft des Todes und des Gerichts; zu gleicher Zeit hatte er Israel eine Botschaft des Lebens und des Heils zu bringen. Jeder aber, der an Gottes Stelle von Tod und Gericht von Leben und Errettung reden soll, muss zunächst die Kraft dieser Dinge in seiner eigenen Seele verwirklichen. So war es bei Mose.
Wir haben ihn, nicht lange nach seiner Geburt, bildlich inmitten der Todesfluten gesehen; aber das war etwas ganz anderes, als persönlich in die Erfahrung des Todes einzutreten. Daher lesen wir: „Und es geschah unterwegs, in der Herberge, da fiel der Herr ihn an und suchte ihn zu töten. Da nahm Zippora einen scharfen Stein und schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und warf sie an seine Füße und sprach: Ein Blutbräutigam bist du mir! Da ließ er von ihm ab. Damals sagte sie Blutbräutigam, der Beschneidung wegen“ (V. 24–26). Diese Stelle macht uns mit einem Geheimnis aus der Familiengeschichte Moses vertraut. Offensichtlich war Zippora bis zu diesem Augenblick davor zurückgeschreckt, das „Messer“ an dem Gegenstand ihrer natürlichen Zuneigung anzuwenden. Sie hatte das Merkmal außer Acht gelassen, das jedem Glied Israels aufgeprägt werden sollte. Sie wusste nicht, dass ihre Verbindung mit Mose den Tod für die Natur in sich schloss. Sie bebte vor dem Kreuz zurück. Das war ganz natürlich. Mose aber hatte ihr in dieser Sache nachgegeben und dies erklärt uns die geheimnisvolle Szene in der Herberge. Wenn Zippora sich weigert, ihren Sohn zu beschneiden, so legt der Herr seine Hand an ihren Mann; und will Mose die Gefühle seiner Frau schonen, so „sucht der Herr ihn zu töten“. Das Todesurteil muss unbedingt auf die Natur geschrieben werden; suchen wir dem auf der einen Seite auszuweichen, so werden wir ihm auf der anderen Seite begegnen.
Die Belehrung für den Christen
Es ist bereits angedeutet worden, dass Zippora ein lehrreiches Bild der Versammlung darstellt. Sie war mit Mose vereinigt während der Zeit seiner Verwerfung; und die soeben angeführte Stelle belehrt uns, dass die Versammlung berufen ist, Christus als den zu erkennen, mit dem sie „durch Blut“ vereinigt ist. Es ist ihr Vorrecht, aus seinem Kelch zu trinken und mit seiner Taufe getauft zu werden. Gekreuzigt mit ihm, muss sie seinem Tod gleichgestaltet werden, muss ihre Glieder töten, die auf der Erde sind, und das Kreuz täglich auf sich nehmen und ihm nachfolgen.
Ihre Verbindung mit Christus ist auf Blut gegründet; und die Offenbarung der Macht dieser Verbindung schließt unausbleiblich den Tod für die Natur in sich. „Und ihr seid vollendet in ihm, der das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in dem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in dem ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat“ (Kol 2,10-12).
Das ist die Lehre von dem Platz, den die Versammlung mit Christus einnimmt, eine Lehre voll herrlicher Vorrechte für die Versammlung und für jedes ihrer Glieder. Hier finden wir alles: völlige Vergebung der Sünden, göttliche Gerechtigkeit, vollkommene Annahme, ewige Sicherheit, volle Gemeinschaft mit Christus in all seiner Herrlichkeit. „Ihr seid vollendet in ihm.“ Das umfasst alles. Was könnte einem Menschen, der „vollendet“ ist, noch hinzugefügt werden? Die Philosophie, die Überlieferung der Menschen, die Elemente der Welt, die Speisen und Getränke, die Feste, Neumonde und Sabbate, die Gebote und Lehren der Menschen, welche sagen: „Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht!“, die Tage, Monde, Zeiten und Jahre (siehe Kol 2) – könnte eines dieser Dinge, oder könnten sie alle zusammengenommen einem Menschen, den Gott als „vollendet“ bezeichnet, noch ein Jota hinzufügen? Man könnte ebenso gut fragen, ob nach den sechs Arbeitstagen, an denen Gott das herrliche Werk der Schöpfung vollendete, der Mensch es hätte unternehmen können, die letzte Hand an das zu legen, was Gott als „sehr gut“ bezeichnete.
Auch dürfen wir keineswegs diesen Zustand des Vollendetseins als eine Sache sehen, die der Christ noch erst erreichen muss, an deren Erlangung er beharrlich mitarbeiten muss, und deren Besitz er erst in der Todesstunde oder vor dem Richterstuhl sicher sein kann. Nein, diese Vollkommenheit ist das Teil des schwächsten, des unerfahrensten und des unwissendsten Kindes Gottes. Der schwächste Heilige ist in dem Wörtchen „ihr“ des Apostels mit eingeschlossen. Alle Kinder Gottes sind „vollendet in Christus“. Paulus sagt nicht: „Ihr werdet vollendet werden“, oder: „Vielleicht seid ihr es“, oder: „Hofft, betet, dass ihr es werdet“; sondern er erklärt durch den Heiligen Geist völlig bestimmt und unmissverständlich: „Ihr seid vollendet.“ Das ist der wahre Ausgangspunkt für den Weg des Christen; wenn daher der Mensch das, was Gott zum Ausgangspunkt bestimmt hat, als Endziel betrachtet, so verdreht er alles.
Aber, wird man fragen, haben wir denn keine Sünden, keine Fehler, keine Unvollkommenheiten mehr? Ganz sicher. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1Joh 1,8). Wir haben die Sünde in uns, aber nicht auf uns. Dazu stehen wir vor Gott nicht mehr in dem Ich, sondern in Christus. In ihm sind wir vollendet. Gott sieht den Gläubigen in Christus, mit Christus und wie Christus; das ist sein unwandelbarer Zustand, seine ewige Stellung. Die „Ausziehung des Leibes des Fleisches“ ist durch die „Beschneidung des Christus“ bewirkt worden (Kol 2,11).
Der Gläubige ist nicht mehr im Fleisch (Röm 7,5), obwohl das Fleisch noch in ihm ist. Er ist mit Christus in der Kraft eines neuen und unauflöslichen Lebens vereinigt; und dieses Leben ist untrennbar mit der göttlichen Gerechtigkeit verbunden, in welcher der Gläubige vor Gott steht. Der Herr Jesus hat alles weggenommen, was gegen den Gläubigen war und hat ihn nahe zu Gott gebracht, um ihn derselben Gunst teilhaftig zu machen, die Er selbst genießt. Mit einem Wort: Christus ist unsere Gerechtigkeit (2Kor 5,21). Das ordnet jede Frage, widerlegt jeden Einwand und bringt jeden Zweifel zum Schweigen. „Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem“ (Heb 2,11).