Die Wege Gottes mit Israel
Behandelter Abschnitt 2. Mose 1-1,6
Warum war Israel eigentlich in Ägypten?
Wir kommen jetzt zur Betrachtung des zweiten Buches Mose, in dem das Hauptthema die Erlösung ist. Die ersten fünf Verse rufen die Schlussszenen des vorhergehenden Buches in unsere Erinnerung zurück. Die von der auserwählenden Liebe Gottes Begnadigten werden vor uns hingestellt, und wir werden durch den inspirierten Schreiber unmittelbar in den Kreis der in diesem Buch mitgeteilten Ereignisse versetzt.
Bei unserer Betrachtung des ersten Buches Mose fanden wir, dass das Verhalten der Söhne Jakobs gegenüber ihrem Bruder Joseph der Anlass für ihr Hinabziehen nach Ägypten wurde. Diese Tatsache kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Einerseits wird uns in dem Verhalten Israels gegenüber Gott eine ernste, und andererseits in den Wegen Gottes mit Israel eine sehr ermutigende Unterweisung gegeben.
Was könnte im Blick auf das Verhalten Israels gegenüber Gott ernster sein, als die Folgen ihrer Handlungsweise gegenüber einem Mann zu betrachten, in dem das geistliche Auge ein deutliches Bild des Herrn Jesus Christus erkennt? Ohne Rücksicht zu nehmen auf die Angst, die Joseph erfüllte, überlieferten sie ihn den Händen der Unbeschnittenen. Und was war die Folge dieser Handlung für sie? Sie wurden hinabgeführt nach Ägypten, um dort die schmerzlichen Erfahrungen durchzumachen, die in den letzten Kapiteln des ersten Buches Mose so eindringlich geschildert werden. Aber das war nicht alles. Eine lange und finstere Prüfungszeit wartete ihrer Nachkommenschaft in demselben Land, in dem Joseph einen Kerker gefunden hatte.
Wie Gott sein Vorhaben erfüllt
Aber außer dem Menschen war auch Gottes Hand in allen diesen Dingen. Er behält es sich vor, aus dem Bösen Gutes hervorkommen zu lassen. Mochten auch die Söhne Jakobs ihren Bruder den Händen der Ismaeliter ausliefern, mochten auch die Ismaeliter ihn an Potiphar verkaufen und dieser ihn ins Gefängnis werfen – dennoch stand der Herr über allem, und Er benutzte alle diese Umstände, um seine großen Ziele zu erreichen. „Denn der Grimm des Menschen wird dich preisen“ (Ps 76,11). Noch war die Zeit nicht angebrochen, dass die Erben für das Erbteil und das Erbteil für die Erben bereitstanden. Noch sollten die Ziegelhütten Ägyptens eine strenge Schule für die Nachkommen Abrahams werden, während inmitten der „Berge und Täler“ des verheißenen Landes „die Ungerechtigkeit der Amoriter“ ihrer völligen Reife entgegenging (vgl. 5Mo 11,11 und 1Mo 15,16).
Dies alles ist sehr interessant und lehrreich. In der Regierung Gottes gibt es „Räder inmitten von Rädern“ (vgl. Hes 1,16). Gott bedient sich zur Erfüllung seiner Ratschlüsse vielfältiger Mittel. Potiphars Frau, der Obermundschenk, die Träume des Pharaos, der Pharao selbst, der Kerker, der Thron, die Kette, der königliche Siegelring, die Teuerung alles steht zu seiner souveränen Verfügung und muss zur Ausführung seiner unergründlichen Pläne mitwirken.
Das geistlich gesinnte Herz befasst sich gern mit diesen Dingen; es untersucht mit Freuden das ausgedehnte Gebiet der Schöpfung und der Vorsehung und erblickt in allem ein kunstvolles Triebwerk, das ein allweiser und allmächtiger Gott benutzt, um die Ratschlüsse seiner erlösenden Liebe zu entfalten. Mögen wir dabei auch vielen Spuren der Schlange, vielen tiefen und scharf ausgeprägten Fußspuren des Feindes Gottes begegnen sowie viele uns unerklärliche und unbegreifliche Dinge entdecken; mag auch das Leiden der Unschuld und das Triumphieren der Bosheit den ungläubigen Überlegungen des Zweiflers eine scheinbare Grundlage verschaffen, so darf dennoch der wahre Gläubige kindlich in der Gewissheit ruhen, dass „der Richter der ganzen Erde Recht üben wird“ (1Mo 18,25). Der blinde Unglaube wird stets irren und vergeblich ist sein Bemühen, die Wege dessen zu ergrübeln, der allein imstande ist, sie den Menschenkindern zu offenbaren und auszulegen.
Gepriesen sei Gott für die trostreiche Ermutigung, die aus Betrachtungen dieser Art hervorströmt! Wir sind stündlich auf sie angewiesen, während wir in einer bösen Welt leben, in die der Feind so schreckliches Unheil gebracht hat, in der die Lüste und Leidenschaften der Menschen so bittere Früchte tragen und wo der Weg des treuen Jüngers so viele Unebenheiten zeigt, dass die auf sich gestellte Natur sie niemals ertragen könnte. Nur der Glaube weiß mit völliger Zuversicht, dass sich hinter der Szene jemand befindet, den die Welt nicht sieht noch beachtet; und in diesem Bewusstsein kann er mit Ruhe sagen: „Alles ist gut“, und: „Alles wird gut sein“.
Die einleitenden Zeilen unseres Buches lassen die oben angedeuteten Gedanken klar hervortreten. „Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun“ (Jes 46,10). Der Feind mag sich widersetzen, aber Gott wird sich immer als der Stärkere erweisen; und alles, was wir brauchen ist ein kindlich einfältiger Geist des Vertrauens auf Gott und des Ruhens in seinen Ratschlüssen. Der Unglaube schaut lieber auf die entgegenwirkenden Anstrengungen des Feindes, als auf die Macht Gottes, die alles vollenden kann.
Der Glaube dagegen richtet sein Auge auf diese Macht, erringt auf diese Weise den Sieg und genießt einen dauernden Frieden. Er hat es mit Gott und seiner unverbrüchlichen Treue zu tun; er stützt sich nicht auf den Triebsand menschlicher Händel und irdischer Einflüsse, sondern ruht auf dem unbeweglichen Fels des ewigen Wortes Gottes. Das Wort ist der heilige und zuverlässige Ruheplatz des Glaubens; mag kommen, was da will, er befindet sich in diesem Heiligtum der Kraft. „Joseph starb und alle seine Brüder und jenes ganze Geschlecht“ (V. 6). Aber was schadete es? Konnte etwa der Tod die Ratschlüsse des lebendigen Gottes kraftlos machen? Ganz bestimmt nicht. Gott wartete nur auf den bestimmten Augenblick, auf die geeignete Zeit, um selbst feindliche Einflüsse zur Entwicklung seiner Absichten mitwirken zu lassen.