Behandelter Abschnitt 2. Mose 1,8-21
Die Bemühungen des Pharaos, Israel zu vernichten
„Da stand ein neuer König über Ägypten auf, der Joseph nicht kannte. Und er sprach zu seinem Volk: Siehe, das Volk der Kinder Israel ist zahlreicher und stärker als wir. Wohlan, lasst uns ihm gegenüber klug handeln, dass es sich nicht vermehre und es nicht geschehe, wenn Krieg ausbricht, dass es sich auch zu unseren Feinden schlage und gegen uns kämpfe und aus dem Land hinaufziehe“ (V. 8–10). Hier haben wir die Überlegung eines Herzens, das nie gelernt hat, mit Gott zu rechnen. Der nicht erneuerte Mensch kann das auch gar nicht; seine Überlegungen werden hinfällig, sobald er Gott in sie einbezieht. Losgelöst oder unabhängig von Gott mögen solche Pläne und Berechnungen als weise erscheinen; aber sobald Gott einbezogen wird, zeigt sich ihre völlige Torheit.
Warum aber sollten wir uns durch Vernunftschlüsse beeinflussen lassen, deren scheinbare Richtigkeit auf den völligen Ausschluss Gottes gestützt ist? Das wäre grundsätzlich nichts anderes als Gottesleugnung. Der Pharao stellte die verschiedenen Zufälligkeiten, wie die Vermehrung des Volkes, den Ausbruch eines Krieges, die Verbindung der Kinder Israels mit dem Feind, ihre Flucht aus dem Land usw., genau in Rechnung und legte alle diese Umstände mit ungewöhnlichem Scharfsinn in die Waagschale. Aber niemals kam ihm der Gedanke, dass Gott irgendetwas mit dieser Sache zu tun haben könnte; denn wenn er hieran gedacht hätte, so wären auf einmal alle seine Vernunftschlüsse über den Haufen geworfen worden und die Torheit seiner Entwürfe wäre ans Licht getreten.
Es liegt demnach klar zutage, dass die Überlegungen des zweifelsüchtigen Menschen Gott immer ausschließen, ja dass sogar ihre scheinbare Richtigkeit und Stärke gerade in diesem Ausschluss begründet sind. Das Einbeziehen Gottes ist der Todesstoß für alle Art von Skepsis und Unglauben. Die menschliche Vernunft kann einen glänzenden und genialen Eindruck machen – sobald aber das Auge nur einen Blick auf Gott wirft, verliert sie ihren Schein und wird in ihrer Nacktheit und Hässlichkeit bloßgestellt.
Von dem König Ägyptens kann man mit Recht sagen, dass er „sehr irrte“, da er weder Gott noch seine unabänderlichen Ratschlüsse kannte (vgl. Mk 12,24-27). Er wusste nicht, dass Jahrhunderte vorher, lange bevor sein sterbliches Leben begonnen hatte, das Wort und der Eidschwur Gottes, diese „zwei unwandelbaren Dinge“ (Heb 6,18), die völlige und herrliche Befreiung des Volkes zugesichert hatten, das er in eigener Weisheit vernichten wollte. Alles das war ihm unbekannt; alle seine Gedanken und Pläne waren auf die Unkenntnis der Wahrheit aller Wahrheiten gegründet, nämlich dass Gott ist. Er bildete sich ein, durch seine Anordnungen die Vermehrung des Volkes verhindern zu können, von dem Gott gesagt hatte: „Ich werde dich reichlich segnen und deine Nachkommen sehr mehren, wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist“ (1Mo 22,17). Seine klugen Überlegungen waren deshalb nichts als Unsinn und Torheit.
Überhaupt ist es der größte Fehler, in den ein Mensch fallen kann, zu handeln, ohne Gott dabei in Rechnung zu ziehen. Früher oder später wird sich der Gedanke an Gott ihm aufzwingen, und dann brechen seine Pläne und Berechnungen zusammen. Bestenfalls kann eine ohne Gott unternommene Sache nur für die gegenwärtige Zeit von Dauer sein. Alles rein Menschliche wird eine Beute des Todes werden, so haltbar, glänzend und beeindruckend es auch immer sein mag. Die „Schollen des Tals“ werden die höchste Würde und glänzendste Pracht des Menschen bedecken (Hiob 21,33). Er trägt das Siegel der Sterblichkeit an sich und seine Pläne schwinden wie Rauch. Alles dagegen, was mit Gott in Verbindung steht und auf ihn gegründet ist, ist von ewiger Dauer. „Sein Name währt ewig, sein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht“ (vgl. Ps 135,13).
Welche Torheit begeht daher ein schwacher Sterblicher, wenn er sich gegen den ewigen Gott auflehnt und „gegen den Allmächtigen trotzt!“ (Hiob 15,25). Der König von Ägypten hätte ebenso gut versuchen können, die Gezeiten des Meeres zu hemmen, wie die Vermehrung eines Volkes zu verhindern, das der Gegenstand der ewigen Ratschlüsse Gottes war. Zwar „setzte man Fronvögte über das Volk, um es mit ihren Lastarbeiten zu drücken“; aber „so wie sie es drückten, so vermehrte es sich und so breitete es sich aus“ (V. 11.12). So wird es immer sein. „Der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer“ (Ps 2,4).
Jedem Widerstand von Menschen und Teufeln wird ewige Beschämung folgen. Das gibt dem Herzen Ruhe mitten in einer Welt, in der alles Gott und dem Glauben total entgegengesetzt ist. Besäßen wir nicht die bestimmte Versicherung, dass der Grimm des Menschen den Herrn preisen wird (Ps 76,11), so würden wir im Blick auf die uns umgebenden Umstände und Einflüsse oft niedergeschlagen sein. Aber Gott sei Dank! Wir schauen nicht das an, „was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig“ (2Kor 4,18).
In der Kraft dieser Blickrichtung dürfen wir wohl sagen: „Vertraue still dem Herrn und harre auf ihn! Erzürne dich nicht über den, dessen Weg gelingt, über den Mann, der böse Anschläge ausführt“ (Ps 37,7). Wie klar tritt die Wahrheit dieser Worte in dem vor uns liegenden Kapitel an den Tag, sowohl hinsichtlich der Unterdrückten als auch des Unterdrückers! Hätte das Volk auf die sichtbaren Dinge geschaut, was hätten sie dann gesehen? Den zürnenden Pharao, die grausamen Fronvögte, die drückenden Lastarbeiten, den strengen Dienst, die harte Sklaverei, den Lehm und die Ziegelsteine. Aber was waren die Dinge, „die man nicht sieht“?
Der ewige Vorsatz Gottes, seine unfehlbare Verheißung, das Aufdämmern eines Tages des Heils und die Befreiung durch den Herrn. – Wunderbare Gegensätze! Nur der Glaube konnte die armen, unterdrückten Israeliten befähigen, sich von den rauchenden Öfen Ägyptens abzuwenden und sich nach den Gefilden Kanaans zu sehnen. Ja, der Glaube allein war imstande, in den niedergebeugten und unter der rauen Arbeit des Ziegelbrennens seufzenden Sklaven die Erben des Heils und die Gegenstände der besonderen Gunst und Fürsorge des Himmels zu erkennen.
Und wie es damals war, so ist es auch jetzt. „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen“ (2Kor 5,7). „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“ (1Joh 3,2). Wir sind noch auf der Erde, einheimisch in dem Leib und ausheimisch von dem Herrn (2Kor 5,6). Tatsächlich befinden wir uns noch in Ägypten, aber im Geist sind wir im himmlischen Kanaan. Durch den Glauben werden wir unter den mächtigen Einfluss der himmlischen und unsichtbaren Dinge gebracht und dadurch befähigt, uns über alles zu erheben in dieser Welt, wo Tod und Finsternis herrschen. Möchten wir alle diesen kindlich einfältigen Glauben besitzen, so dass wir an der ewigen Quelle der Wahrheit immer wieder belebt werden und die Kraft empfangen, die wir auf unserem Weg so nötig brauchen!
Die letzten Verse unseres Kapitels geben uns in dem Verhalten der beiden gottesfürchtigen Frauen Schiphra und Pua eine nützliche Belehrung. Sie trotzen dem Zorn des Königs und weigern sich, seinen grausamen Befehl auszuführen; und „Gott macht ihnen Häuser“ (V. 21). „Die, die mich ehren, werde ich ehren, und die, die mich verachten, werden gering geachtet werden“ (1Sam 2,30). Möchten wir uns immer an diese Wahrheit erinnern und unter allen Umständen für Gott handeln!