Behandelter Abschnitt 1Mo 3,5
Misstrauen gegenüber Gottes Liebe
Es ist jedoch wichtig, dass wir beachten, auf welche Weise die Schlange versuchte, das Vertrauen Evas zu der Wahrheit Gottes zu erschüttern und sie unter die Macht der ungläubigen „Vernunft“ zu bringen. Es geschah durch Erschütterung ihres Vertrauens zu der Liebe Gottes, indem die Schlange der Frau erklärte, dass das Zeugnis Gottes nicht auf Liebe gegründet sei. „Sondern“, sagte sie, „Gott weiß, dass, an dem Tag, da ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden, und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses“ (V. 5). Das hieß mit anderen Worten: „Ein sicherer Vorteil ist mit dem Essen dieser Frucht verbunden, die Gott euch vorenthalten will. Warum solltet ihr daher dem Zeugnis Gottes glauben? Ihr könnt nicht jemand euer Vertrauen schenken, der euch offensichtlich nicht liebt, denn wenn Gott euch liebt, warum verbietet Er euch dann den Genuss eines Vorrechts?“
Eva wäre vor dem Einfluss dieser Vernunftschlüsse sicher gewesen, wenn sie einfach in der unendlichen Güte Gottes geruht hätte. Sie hätte zu der Schlange sagen sollen: „Ich habe volles Vertrauen in die Güte Gottes und halte es deshalb für unmöglich, dass Er mir irgendetwas Gutes vorenthalten könnte. Wenn diese Frucht gut für mich wäre, würde ich sie zweifellos besitzen, aber das Verbot Gottes beweist, dass ich durch das Essen der Frucht nicht Nutzen, sondern Schaden haben werde. Ich bin von der Liebe und Wahrheit Gottes überzeugt, und ich glaube auch, dass du ein Böser bist. Du bist nur gekommen, um mein Herz von der Quelle der Güte und der Wahrheit abzuziehen. Geh von mir, Satan!“
Das wäre die rechte Antwort gewesen. Aber Eva ließ sich ihr Vertrauen zu der Wahrheit und der Liebe Gottes rauben, und alles war verloren. So finden wir denn, dass es im Herzen des gefallenen Menschen ebenso wenig Raum gibt für die Liebe Gottes wie für die Wahrheit Gottes. Dem Herzen des Menschen ist beides völlig fremd, bis es erneuert wird durch die Macht des Heiligen Geistes.
Wenden wir uns jetzt für einen Augenblick von der Lüge Satans hinsichtlich der Wahrheit und Liebe Gottes ab, um einen Blick auf die Sendung des Herrn Jesus Christus zu werfen, der aus dem Schoß des Vaters kam, um zu offenbaren, was Gott wirklich ist. Er war der „treue Zeuge“ von dem, was Gott ist (Off 1,5). Die Wahrheit offenbart Gott wie Er ist, aber diese Wahrheit ist in Jesus mit der Offenbarung einer vollkommenen Gnade verbunden, und so findet der Sünder zu seiner unaussprechlichen Freude, dass die Offenbarung dessen was Gott ist, nicht zu seiner Verdammnis, sondern zur Grundlage seines ewigen Heils wird. „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen“ (Joh 17,3).
Ich kann nicht Gott erkennen, ohne das Leben zu haben. Der Verlust der Erkenntnis Gottes brachte den Tod, aber die Erkenntnis Gottes bringt das Leben. Das macht das Leben zu einer Sache, die vollständig außer uns selbst liegt und die von dem abhängt, was Gott ist. Zu welchem Grad von Selbsterkenntnis ich auch gelange, nirgends wird gesagt, dass dieses „Sicht-Selbst-Erkennen“ das ewige Leben ist, und obwohl zweifellos die Erkenntnis Gottes und die Selbsterkenntnis zum großen Teil Hand in Hand gehen, so steht doch das „ewige Leben“ mit der Erkenntnis Gottes und nicht mit der Selbsterkenntnis in Verbindung. Gott zu kennen, wie Er ist, ist Leben, die aber Gott nicht kennen, „werden Strafe erleiden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn“ (2Thes 1,9).
Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die Unwissenheit über Gott oder die Erkenntnis Gottes den Zustand des Menschen kennzeichnet und sein zukünftiges Schicksal besiegelt. Ist er böse in seinen Gedanken, Worten und Taten, so ist es, weil er Gott nicht kennt. Ist er andererseits rein in seinen Gedanken, sauber und klar im Gespräch, gütig im Handeln, so ist es die Folge seiner Erkenntnis Gottes. So ist es auch im Blick auf die Zukunft. Gott zu kennen ist die unerschütterliche Grundlage endloser Freude und ewiger Herrlichkeit. Ihn nicht zu kennen bedeutet „ewiges Verderben“. So hängt also alles von der Erkenntnis Gottes ab. Sie macht die Seele lebendig, reinigt das Herz, beruhigt das Gewissen, lenkt die Interessen himmelwärts und heiligt Charakter und Lebensweg.
Dürfen wir uns daher wundern, dass es Satans großer Plan war, dem Geschöpf die Erkenntnis des allein wahren Gottes zu rauben? Er wagte es, den Worten Gottes eine falsche Auslegung zu geben und ihn als nicht gütig zu bezeichnen. Das war die verborgene Quelle alles Unheils. Es ist bedeutungslos, welche Form die Sünde seitdem angenommen hat und durch welchen Kanal sie geflossen ist, ebenso, unter welches Haupt sie sich gestellt oder in welches Gewand sie sich gekleidet hat, alles ist auf diese eine Ursache zurückzuführen: auf die Unwissenheit über Gott. Der gebildete Sittenlehrer, der andächtige Religionsmensch, der wohltätige Menschenfreund, alle sind, wenn sie Gott nicht kennen, ebenso fern von dem Leben und der wahren Heiligkeit wie der Zöllner und die Hure. Der verlorene Sohn war beim Verlassen des Vaterhauses schon ein ebenso großer Sünder und ebenso von dem Vater entfernt, wie zur Zeit, als er im fernen Land die Schweine hütete (Lk 15,13). So war es auch mit Eva. In demselben Augenblick, als sie sich aus den Händen Gottes, aus der Stellung der unbedingten Abhängigkeit von seinem Wort zurückzog, überließ sie sich der Herrschaft der Vernunft, die von Satan zu ihrem tiefen Sturz benutzt wurde.