Behandelter Abschnitt Apg 24-26
Paulus jedenfalls wurde gerettet und betrat einen neuen Schauplatz. Ananias, der Hohepriester, kam mit den Führern des Volkes herab, um ihr Glück hinsichtlich des Gefangenen vor dem Landpfleger zu versuchen. Dazu dingten sie einen Berufsredner, um ihren Fall zu vertreten. Während er seine Rede mit gröbster Schmeichelei und schwülstiger Sprache begann, antwortete der Apostel mit einer auffallend bewundernswerten und ruhigen Würde, wie sie den Umständen genau angemessen war.
Dabei legte der Apostel, als der Landpfleger ihm zu sprechen erlaubte, dar, wie gänzlich falsch alle Anklagen dieses gemieteten Schönredners waren. Er liebte seine Nation zu sehr, um in irgendeiner Weise als der Unruhestifter aufzutreten, als den man ihn anklagte. „Indem du erkennen kannst, dass es nicht mehr als zwölf Tage sind, seit ich hinaufging, um in Jerusalem anzubeten. Und sie haben mich weder in dem Tempel mit jemand in Unterredung gefunden, noch einen Außauf der Volksmenge machend, weder in den Synagogen noch in der Stadt“ (V. 11-12). Es stimmte also nicht, was Tertullus vorgetragen hatte, indem er sagte: „Wir haben diesen Mann als eine Pest befunden und als einen, der unter allen Juden, die auf dem Erdkreis sind, Aufruhr erregt, und als einen Anführer der Sekte der Nazaräer; welcher auch versucht hat, den Tempel zu entheiligen“ (V. 5-6).
Paulus war erst wenige Tage in Jerusalem gewesen, um dort anzubeten und nicht um Unruhe zu stiften. „Auch können sie das nicht dartun, worüber sie mich jetzt anklagen. Aber dies bekenne ich dir, dass ich nach dem Wege, den sie eine Sekte nennen, also dem Gott meiner Väter diene, indem ich allem glaube, was in dem Gesetz und in den Propheten geschrieben steht, und die Hoffnung zu Gott habe, welche auch selbst diese annehmen, dass eine Auferstehung sein wird, sowohl der Gerechten als der Ungerechten“ (V. 13-15). Dann stellte er freimütig heraus, was ihn in diese Situation gebracht hatte. „Aber (ich) kam her, um Almosen für meine Nation und Opfer darzubringen“ (V. 17). Er liebte sein Volk wirklich. „Wobei sie mich gereinigt im Tempel fanden“, fuhr er fort, „weder mit Außauf noch mit Tumult; es waren aber etliche Juden aus Asien, die hier vor dir sein und Klage führen sollten, wenn sie etwas wider mich hätten“ (V. 18-19).
Diese Zeugen waren aber nicht anwesend. Tatsächlich lag nichts Greifbares gegen ihn vor. Es handelte sich allein um einen Ausbruch priesterlichen Hasses und öffentlicher Wut, gefolgt von einer Verschwörung zum Mord. Nachdem alles dies sich als vergeblich erwiesen hatte, suchten sie eine gerichtliche Verurteilung. Erkennen wir darin nicht ausschließlich den bösen Willen und die Schlechtigkeit des Menschen? Nichts anderes war der Ursprung dieser Angelegenheit und ihr Charakter. „Felix aber . . . beschied sie auf weiteres und sagte: Wenn Lysias, der Oberste, herabkommt, so will ich eure Sache entscheiden. Und er befahl dem Hauptmann, ihn zu verwahren und ihm Erleichterung zu geben“ (V. 22-23). Sein durch Erfahrung geschultes Auge erkannte sofort den Stand der Dinge: Es lag nicht der geringste Grund für die Anklagen gegen den Apostel vor. Daraus folgte auch der ungewöhnliche Befehl in Bezug auf Erleichterung sowie auf Freiheit für Paulus‘ Verwandte und Bekannte, zu ihm zu kommen und ihm zu dienen. Wir lesen jedoch noch mehr. „Nach etlichen Tagen aber kam Felix mit Drusilla, seinem Weibe, die eine Jüdin war, herbei und ließ den Paulus holen und hörte ihn über den Glauben an Christum“ (V. 24).
Es gab jedoch keinen Kompromiss; Felix musste hören, was er nicht erwartet hatte. Jetzt war es nicht mehr die Auferstehung, sondern ein sittlicher Appell an sein Gewissen, so wie es hier beschrieben ist, „über Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht“ (V. 25). Alles hat seine Zeit; und dies war genau das passende Wort an den Mann und die Frau, zu denen Paulus redete. Es war völlig angebracht. Jeder, der mit der Lebensgeschichte dieser Persönlichkeit vertraut ist - denn Felix ist ein in der Geschichte wohlbekannter Mann -, weiß, dass er gerade in den dargelegten Dingen besonders schuldig war. So trafen die Worte des Apostels unmittelbar seine sittlichen Vergehen und verurteilten sie.
Infolgedessen fürchtete Felix sich und sprach davon, später Weiteres zu hören. Aber diese gelegene Zeit kam niemals wieder. „Zugleich hoffte er, dass ihm von Paulus Geld gegeben werden würde“ (V. 26). Wie wahr und wie angebracht war es also, dass Paulus ihn auf Gerechtigkeit hingewiesen hatte! „Zugleich hoffte er, dass ihm von Paulus Geld gegeben werden würde; deshalb ließ er ihn auch öfter holen und unterhielt sich mit ihm.“ Auch in dem Folgenden erkennen wir den Charakter dieses Mannes. „Als aber zwei Jahre verßossen waren, bekam Felix den Porcius Festus zum Nachfolger; und da Felix sich bei den Juden in Gunst setzen wollte, hinterließ er den Paulus gefangen“ (V. 27). Von diesem ungerechten Richter konnte man keine Gerechtigkeit erwarten. Ihm fehlte es nicht an Einsicht, Weisheit oder Urteilsvermögen. Er besaß dies alles; und das war für ihn umso schlimmer. Er war indessen bereit, alles um eigensüchtiger Ziele willen zu opfern. Sein Verlangen nach Geld wurde enttäuscht. Jetzt hinterließ er Paulus gefangen, um jenen Juden, die er von Herzen verachtete, zu gefallen. Er wollte sich bei ihnen beliebt machen, ohne dass es ihn persönlich etwas kostete.