Behandelter Abschnitt Mk 15,1-3
Danach folgte die Befragung am Morgen, nachdem der Herr schon „des Todes schuldig“ erklärt worden war (Mk 14,64). Das Ergebnis war, dass die Hohenpriester, die Ältesten, die Schriftgelehrten und das ganze Synedrium – und somit, durch sie vertreten, das ganze Volk – übereinstimmend beschlossen, Jesus an Pilatus, den Stellvertreter der bürgerlichen Macht, zu überliefern. Jesus musste von Menschen in jeder Stellung verurteilt werden, seien sie religiös oder weltlich.
Die Juden hatten, indem sie unter dem Namen der Religion handelten, die Hauptschuld und waren die Verführer der bürgerlichen Autoritäten. Sie zwangen sie, in sittlicher Hinsicht gegen ihr Gewissen zu handeln, wie wir es in dem Schauprozess vor Pilatus sehen. So erkennen wir im Herrn die Erfüllung des Wortes: „Er war verachtet und verlassen von den Menschen“ (Jes 53,3). Er wurde nicht nur von einer, sondern von allen Menschenklassen verworfen. Wir werden finden, dass, wie die Priester, so auch das Volk, und wie der Statthalter, so seine Untergebenen bis zu den gemeinsten von ihnen sich darin zusammenfanden, den Sohn Gottes zu schmähen. „Und Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er aber antwortet und spricht zu ihm: Du sagst es“ (V. 2).
Das war sein gutes Bekenntnis (1Tim 6,13). Es war die Wahrheit. Er kam, um der Wahrheit Zeugnis zu geben. Das wird insbesondere im Johannesevangelium erwähnt. Dort finden wir nicht nur die Person Christi nach der Prophetie und seine Aufgabe als Diener und großer Prophet, der den Willen Gottes tat und den Bedürfnissen der Menschen diente, sondern auch seine Ihm eigene persönliche Herrlichkeit. Christus allein ist die Wahrheit in ihrer vollsten Bedeutung (mit Ausnahme des Heiligen Geistes, der auch „die Wahrheit“ genannt wird (1Joh 5,6) als die innere Kraft in dem Gläubigen, um die Offenbarung Gottes in Besitz zu nehmen und zu verwirklichen).
Doch Gott als solcher wird nie die Wahrheit genannt. Jesus ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist der Ausdruck dessen, was Gott und was der Mensch ist. Derjenige, der im objektiven Sinn die Wahrheit ist, muss sowohl Gott als auch Mensch sein, um die Wahrheit über beide bekannt machen zu können. Auch vom Vater wird nirgendwo gesagt, dass Er die Wahrheit ist, sondern nur von Christus, dem Sohn, das Wort. Christus ist nicht nur Gott, sondern auch die besondere Person, die Gott bekannt macht. Und da Er zusätzlich Mensch ist, kann Er auch den Menschen bekannt machen. Ja, da Er beides, sowohl Mensch als auch Gott ist, kann Er alles bekannt machen. So können wir niemals vollkommen erkennen, was das Leben ist, außer in Christus; ebenso wissen wir nicht, was der Tod ist, außer in Christus. Zudem, wer erkennt wirklich die Bedeutung des Gerichts außer in Christus? Wer kann abschätzen, was der Zorn Gottes ist, außer in Christus? Wer kann uns sagen, was Gemeinschaft mit Gott ist, außer in Christus? Christus zeigt uns, was die Welt ist. Christus zeigt uns, was der Himmel ist, und durch den Gegensatz, was die Hölle sein muss. Er ist der Befreier vom Verderben. Aber Er ist es auch, der Geschöpfe aus seiner Gegenwart hinweg in das Verderben wirft.
So stellt Er alles heraus, wie es ist – sogar das, was Ihm am meisten entgegengesetzt ist, nämlich die Macht und den Charakter Satans bis zu ihrer letzten Erscheinungsform im Antichristen. Er ist der
Maßstab, an dem Juden und Nicht-Juden in jeder Hinsicht gemessen werden. Dasselbe hatten einige alte Philosophen vom Menschen angenommen. Sie sagten, wenn auch irrtümlich, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei. Doch das gilt ausschließlich für Christus, den Gottmenschen. Er ist das Maß aller Dinge, obwohl Er unmessbar über ihnen steht, da Er im höchsten Wesen Gott ist wie der Vater und auch der Heilige Geist.
Hier, vor Pilatus, anerkennt unser Herr einfach die Wahrheit hinsichtlich der jüdischen Erwartungen „Bist du der König der Juden? Er aber antwortet und spricht zu ihm: Du sagst es“ Das war alles; mehr hatte Er nicht zu sagen. Die Hohenpriester klagten Ihn vieler Dinge an, doch Er antwortete nicht. Er war nicht hier, um sich selbst zu verteidigen, sondern um zu bekennen, wer und was Er war.