Am Ende dieses Eintrages finden sich noch die "Betrachtungen über den Brief an die Römer" von JND
Behandelter Abschnitt Röm 3,1-31
Nachdem er die große Wahrheit festgestellt hat, dass Gott echte moralische Güte forderte, betrachtet er die Stellung der Juden. Konnten sie nicht eine besondere göttliche Gunst vorschützen? War da kein Vorteil im Judentum? Sicherlich, denn sie besaßen die Aussprüche Gottes. Die Wege Gottes waren an sich voller Segen, obwohl das die unveränderlichen Wahrheiten Seiner Natur nicht änderte. Auch wenn viele unter ihnen nicht glaubten, so änderte das nicht die Treue Gottes; und die Tatsache, dass der Unglaube der Vielen die Treue Gottes, der Derselbe blieb, was sie auch sein mochten, um so mehr hervorhob, schmälerte in nichts die Ansprüche der Gerechtigkeit. Die Ungläubigen sollten je nachdem, was sie waren, bestraft werden; das würde die nie versagende Treue Gottes nur verherrlichen, welche niemals versagte, wie vergeblich das für die Masse der Nationen auch sein mochte. Sonst könnte Er niemand richten, nicht einmal die Welt (die der Jude gern gerichtet sehen möchte); denn auch der Zustand der Welt hob die Treue Gottes Seinem Volk gegenüber hervor und rückte sie in den Vordergrund. Wenn also der Jude Vorzüge hatte, war er deshalb besser? Durchaus nicht. Alle wurden zusammen, ob Juden oder Nationen, unter die Sünde eingeschlossen, wie Gott schon kundgetan hatte10.
Der Apostel führt nun das Alte Testament an, um dies in Bezug auf die Juden zu beweisen, die es in Bezug auf die Nationen nicht leugneten, worauf er auch schon hingewiesen hatte. Das Gesetz gehört euch, sagt er. Ihr rühmet euch dessen, dass es sich ausschließlich auf euch bezieht. Sei es so; hört nun, was es über das Volk, über euch selbst sagt. Es redet zu euch, wie ihr zugebt. Also gibt es unter euch keinen einzigen Gerechten, auf den Gott vom Himmel hernieder schauen kann. Er führt Psalm 14,2+3 und Jesaja 59,7+8 an, um das Gericht, das durch jene Aussprüche, deren sie sich rühmten, über sie ausgesprochen war, darzustellen. So wurde jeder Mund verstopft, und die ganze Welt war schuldig vor Gott. Deshalb kann kein Fleisch aus Gesetzeswerken vor Gott gerechtfertigt werden; denn wenn die Welt sich in der Finsternis in Sünde wälzte, so kam durch Gesetz die Erkenntnis der Sünde.
Jetzt aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
Deshalb finden wir, dass nicht nur der Zustand der Nationen und der Juden dargestellt wird, zusammen mit den großen unveränderlichen Grundsätzen von Gut und Böse, welcherart das Verfahren Gottes auch sein mochte, sondern die Wirkung des Gesetzes selbst und dessen, was durch das Christentum betreffs der Gerechtigkeit eingeführt wurde - ganz und gar außerhalb des Gesetzes, obwohl es durch das Gesetz und die Propheten bezeugt wurde. Mit einem Wort: die ewige Wahrheit betreffs der Sünde und der Verantwortlichkeit des Menschen, die Wirkung des Gesetzes, der Zusammenhang des Alten Testaments mit dem Christentum, der wahre Charakter des letzteren in dem, was sich auf Gerechtigkeit bezieht (nämlich dass sie etwas ganz Neues und Unabhängiges ist), die Gerechtigkeit Gottes Selbst - die ganze Frage zwischen dem Menschen und Gott in Bezug auf Sünde und Gerechtigkeit ist in Bezug auf ihre Grundlage in diesen wenigen Worten erledigt. Jetzt wird von der Weise, wie dies erfüllt wird, die Rede sein11.
Es ist die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesum Christum. Der Mensch hat sie nicht vollbracht, der Mensch hat sie nicht erworben. Sie ist aus Gott, sie ist Seine Gerechtigkeit, durch den Glauben an Jesum Christum wird ein Anteil an ihr erworben. Wenn das eine menschliche Gerechtigkeit gewesen wäre, so wäre sie durch das Gesetz geworden, das die Satzung der Gerechtigkeit ist - eines Gesetzes, das nur den Juden gegeben war. Da es aber die Gerechtigkeit Gottes Selbst war, stand sie in Beziehung zu allen: ihre Reichweite umfasste das eine nicht mehr als das andere. Es war die Gerechtigkeit Gottes „gegen alle“. Ein Jude stand nicht näher in Beziehung zur Gerechtigkeit Gottes als einer aus den Nationen. Sie war tatsächlich weltweit in ihrem Ausblick und in ihrer Anwendbarkeit. Eine Gerechtigkeit Gottes für den Menschen, weil kein Mensch irgendwelche für Gott hatte - sie wurde auf alle, die an Jesum glaubten, angewandt. Überall, wo Glaube war, da wurde sie angewandt. Der Gläubige besaß sie. Sie war gegen alle und auf alle, die an Jesum glaubten. Denn es war kein Unterschied, alle hatten gesündigt, und erreichten nicht die Herrlichkeit Gottes12, dieser Herrlichkeit beraubt, wurden sie umsonst durch Seine Gnade gerechtfertigt, und zwar durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist. Ob ein Jude oder einer aus den Nationen, er war ein sündiger Mensch; die Gerechtigkeit war die Gerechtigkeit Gottes; die Güte Gottes war es, was sie schenkte, die Erlösung in Christo Jesu war das göttliche Mittel, an ihr teilzuhaben13.
Vor der Vollendung dieser Erlösung hatte Gott im Hinblick auf sie geduldig Nachsicht geübt gegen die Treuen, und Seine Gerechtigkeit wurde klar erwiesen, indem Er ihnen vergab. Weiterhin wurde aber die Gerechtigkeit selbst erwiesen: wir kommen zu Christo als zu einem von Gott vor die Menschen gestellten Gnadenstuhl, und wir finden auf ihm das Blut, das uns freien Zutritt zu Gott in Gerechtigkeit gibt - zu Gott, dessen Herrlichkeit durch das von Jesu Christo vollbrachte Werk befriedigt ist, was durch Sein Blut auf dem Gnadenstuhl bezeugt wird. Es ist nicht mehr „Nachsicht“ - Gerechtigkeit ist erwiesen, so dass Gott als gerecht gesehen wird, indem Er den rechtfertigt, welcher des Glaubens an Jesum ist. Wo ist dann der Ruhm? Denn die Juden rühmten sich viel vor den Nationen - die Selbstgerechtigkeit rühmt sich immer: es gibt kein Gesetzeswerk, welches dies ausschließen kann. Wenn der Mensch sich durch seine Werke rechtfertigen könnte, hätte er etwas zum Rühmen. Es ist dieses Gesetz des Glaubens, dieser göttliche Grundsatz, auf den wir gestellt worden sind, der dies ausschließt: denn durch das Werk eines Anderen, ohne Gesetzeswerke, können wir durch die Gnade an der göttlichen Gerechtigkeit teilhaben, da wir ja keine eigene haben.
Sind Gott denn Grenzen gesetzt - ist Er denn nur der Gott der Juden14? Nein; Er ist auch der Gott der Nationen. Und wie? In Gnade: dieweil es ein einiger Gott ist, der die Juden (die Gerechtigkeit suchen) nach dem Grundsatz des Glaubens rechtfertigt, und da Rechtfertigung nach dem Grundsatz des Glaubens gewährt wird, wird der Gläubige aus den Nationen auch durch Glauben gerechtfertigt. Die Menschen werden durch Glauben gerechtfertigt; so also wird der Gläubige aus den Nationen gerechtfertigt. In Bezug auf den Juden ist es der festgelegte Grundsatz (denn sie suchten die Gerechtigkeit). Was den aus den Nationen betrifft, wurde er (da im angenommenen Falle Glaube da war) gerechtfertigt, denn Rechtfertigung fußte auf diesem Grundsatz.
Ist es denn so, dass der Glaube die Autorität des Gesetzes aufhob? Das sei ferne! Er bestätigte vollständig das Gesetz; er gab dem Menschen aber einen Anteil an der göttlichen Gerechtigkeit, während seine gerechte und totale Verurteilung durch das Gesetz (als er unter ihm war) anerkannt wird - eine Verurteilung, die eine andere Gerechtigkeit erforderlich machte, da der Mensch nach dem Gesetz keine hatte - keine eigene Gerechtigkeit. Das Gesetz forderte Gerechtigkeit, es zeigte aber das Vorhandensein der Sünde. Wenn die Gerechtigkeit, die das Gesetz forderte, nicht nötig gewesen wäre (wenn es sie im Menschen nicht hervorzubringen vermochte), so wäre keine andere nötig gewesen. Nun bestätigte der Glaube diese Notwendigkeit und auch die Richtigkeit der Verurteilung des Menschen unter dem Gesetz, und zwar dadurch, dass er dem Menschen einen Anteil an dieser anderen Gerechtigkeit gab, die aus Gott ist. Das, was das Gesetz forderte, konnte es nicht geben; und selbst weil es dies forderte, versagte der Mensch, es hervorzubringen. Wenn es gegeben worden wäre, wäre die Verpflichtung aufgehoben. Gott handelt in Gnade, wenn die Verpflichtung des Gesetzes in der Verurteilung völlig aufrechterhalten wird. Er gibt Gerechtigkeit, weil man sie haben muss. Er hebt die Verpflichtung des Gesetzes nicht auf, nach der der Mensch total verurteilt wird15, sondern während Er die Gerechtigkeit dieser Verurteilung anerkennt und bestätigt, verherrlicht Er Sich in Gnade, indem Er dem Menschen göttliche Gerechtigkeit gewährt, als er keine menschliche Gerechtigkeit in Verbindung mit den ihm vom Gesetz auferlegten Verpflichtungen besaß, um sie vor Gott darzustellen. Nichts gab dem Gesetz eine solche göttliche Bestätigung wie der Tod Christi, der seinen Fluch trug, uns aber nicht unter ihm ließ. Also hebt der Glaube das Gesetz nicht auf: er bestätigt völlig seine Autorität. Er zeigt den Menschen, dass er unter dem Gesetz gerecht verurteilt ist, und hält die Autorität des Gesetzes in dieser Verurteilung aufrecht, denn er hält alle, die unter dem Gesetz sind, für solche, die dem Fluche verfallen sind16.
Der Leser wird bemerken, dass das, was deutlich gegen Ende dieses dritten Kapitels dargestellt wird, das Blut Christi ist, wie es auf die Sünden des alten Menschen angewendet wird, und deshalb wird die Vergebung zu einer gerechten Sache gemacht, der Gläubige wird von Sünden erlöst, weil er durch das Blut Christi gereinigt ist. Dieses begegnete der ganzen Schuld des alten Menschen.
Jetzt gehen wir zu einem anderen Anblick dessen über, was rechtfertigt, aber immer noch Sünden beweist; wir werden also noch nicht an den neuen Platz gesetzt - an den der Auferstehung, wenn er auch mit ihr verbunden und ihre Folge ist.
10 Man beachte hier einen sehr wichtigen Grundsatz, dass es positive Vorzüge der Stellung dort gibt, wo keine innere Veränderung ist. Vergleiche Römer 11,17 mit 1. Korinther 10.↩︎
11 Römer 3,21 greift eigentlich auf Römer 1,17 zurück; das Dazwischenliegende ist eine Darstellung der Grundlage von Römer 1,18, die die Gerechtigkeit von Vers 17 unbedingt erforderlich machte.↩︎
12 Beachte wie, da Gott geoffenbart war, die Sünde durch die Herrlichkeit Gottes gemessen wird. Wir sind so gewöhnt, diese Worte zu lesen, dass wir ihre Bedeutung übersehen. Wie sonderbar zu sagen: „Erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes!“ Der Mensch möchte sagen: natürlich ist das so; doch moralisch gesagt, ist diese geoffenbart worden, und wenn man nicht vor ihr und ihr gemäß stehen kann, können wir vor Gott überhaupt nicht bestehen. Natürlich geht es nicht um die Ihm eigne Herrlichkeit, da kommen natürlich alle Geschöpfe zu kurz, sondern um diejenige, die Seiner Gegenwart angemessen und für sie passend war und vor Seinem Angesicht bestehen konnte. Wenn wir dort nicht geziemend stehen können, „in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist“ - können wir überhaupt nicht bei Gott sein. Es gibt jetzt keinen Vorhang.↩︎
13 Um zu zeigen, wie vollständig diese Unterweisung Pauli ist, gebe ich hier eine Zusammenfassung ihrer Bestandteile. An sich ist es die Gerechtigkeit Gottes ohne Gesetz, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Betreffs ihrer Anwendung ist sie die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesum Christum gegen alle und auf alle, die da glauben. Christus wird zu einem Gnadenstuhl (Sühnungsmittel) dargestellt durch den Glauben an Sein Blut, zur Erweisung dieser Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden (Abrahams usw.) unter der Nachsicht Gottes, aber zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesum ist.↩︎
14 Siehe hier wieder, wie Gott in Sich Selbst offenbar wird. Vergleiche Matthäus 15,19-28.↩︎
15 Das Gesetz ist an sich die vollkommene Regel von Recht und Unrecht für jedes Kind Adams, obwohl es nur den Juden gegeben wurde. Es war aber nicht willkürlich. Es erfasste alle Beziehungen, in denen die Menschen standen, gab in Bezug auf sie eine vollkommene Satzung, und ihnen selbst die Bestätigung der Autorität Gottes, verbunden mit einer Strafbestätigung. Jetzt haben wir aber etwas viel Höheres - nicht das, was der Mensch sein sollte, sondern Gott Selbst ist verherrlicht.↩︎
16 Diejenigen, die Christen dem Gesetz unterstellen, bewahren mithin nicht seine Autorität, denn sie halten sie für aus seinem Fluch ausgenommen, obwohl sie es übertreten.↩︎
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Aus "Betrachtungen über den Brief an die Römer" von JND
Behandelter Abschnitt Röm 3
Der Apostel beginnt jetzt die Juden auf ihrem eigenen Boden anzugreifen. Ihr Vorzug war groß, der Nutzen der Beschneidung war „viel, in jeder Hinsicht“, besonders deshalb, weil ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut waren. Der Apostel glaubte dies wirklich und mit Recht. Es handelt sich in dieser Hinsicht nicht darum, ob sie alle persönlich bekehrt waren; sie genossen die Vorrechte des Volkes Gottes, die sonst nirgends gefunden wurden, und wenn sie untreu waren, konnte ihre Untreue doch die Treue Gottes nicht aufheben. (Ebenso verhält es sich jetzt mit der bekennenden Christenheit). Die Verheißungen Gottes werden durch Seine Treue dem Volke Israel erfüllt werden, obwohl es alles Anrecht darauf verloren hat. Doch davon redet der Apostel erst später (in Kapitel 11).
Aber, könnte man sagen, dann läßt ja die Untreue des Menschen die unfehlbare Treue Gottes nur um so glänzender hervortreten! Und hebt nicht diese Tatsache, daß die Untreue des Menschen die Treue Gottes in noch hellerem Lichte erscheinen läßt, das Recht Gottes, den Menschen zu richten, auf? Keineswegs; denn nach diesem Grundsatz könnte Er niemanden richten, weil auch die Bosheit der Nationen Seine Treue in ein klareres Licht stellt. Die Juden sind ebenso verantwortlich für ihre Untreue wie die anderen; und daß diese gerichtet werden würden, bezweifelte der Jude nicht. Trotz ihrer Vorrechte sind also auch die Juden dem Gericht Gottes verfallen.
Der Apostel läßt sich nicht herab, eine Antwort zu geben auf die boshafte Äußerung etlicher: „Lasst uns das Böse tun, auf daß das Gute komme!“ und sagt bloß: „deren Gericht gerecht ist“. Die Christen wurden nämlich von der Welt angeklagt, als ob sie so sprächen. Die Gnade ist immer ein Gegenstand der Anklage, so lange die Seele nicht von der Sünde überführt ist; sobald aber das Gewissen zum Bewusstsein der Sünde kommt, wird die Gnade ein Gegenstand herzlicher Dankbarkeit. Wenn nun der Jude solche Vorrechte hatte, war er dann nicht besser als die aus den Nationen? Keineswegs. Der Apostel hatte schon bewiesen, daß beide, der Jude wie der Heide, der Sünde überführt waren. Und jetzt führt er eine ganze Anzahl von Stellen an, um zu beweisen, daß die Juden in ihren eigenen Schriften als solche betrachtet werden, die unter der Sündenschuld und unter der Kraft der Sünde stehen. Hinsichtlich der Heiden konnte hierüber kein Zweifel sein; sie waren ganz von Gott entfernt, waren in Abgötterei und Götzendienst versunken, beteten die Götzen an und lebten in Gesetzlosigkeit. Der Jude dachte von sich aber ganz anders. Er war nahe gebracht und aller Vorrechte teilhaftig geworden. Der Apostel selbst hatte es als das größte Vorrecht der Juden anerkannt, daß ihnen das Wort Gottes, die Aussprüche Gottes, anvertraut seien. Was aber sagten nun diese Aussprüche, die sich auf die Juden bezogen, und deren sie sich rühmten, als ihnen allein gehörig? Sie sagten: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer“. Eine ganze Reihe von Stellen aus den Psalmen und aus Jesajas, die der Apostel anführt, beweist den in allen Beziehungen durchaus sündhaften Zustand derer, von denen die Rede ist. Und daß von den Juden die Rede ist, müssen diese nach ihrem allgemeinen Grundsatz selber zugeben, denn: „wir wissen aber, daß alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind“. So ist denn jeder Mund verstopft und die ganze Welt schuldig vor Gott. Die Nationen sind ganz ohne Gott; die Juden aber sind von dem Worte Gottes selbst, dessen sie sich rühmen, verurteilt. Durch Gesetzeswerke also kann kein Fleisch vor dem Angesicht Gottes gerechtfertigt werden, „denn durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“. Das Gesetz, das man als Regel der Gerechtigkeit annahm, bewies, daß der Mensch ein Sünder war; es überführte und verdammte ihn, und zwar ausdrücklich in seinem Gewissen, und brachte zugleich das Bewusstsein hervor, daß die Sünde in ihm sei.
Nachdem der Apostel auf diese Weise bewiesen hat, daß alle Menschen sündhaft sind, kommt er wieder auf das zurück, was er schon in Vers 17 von Kapitel 1 als Grundsatz des Evangeliums hingestellt hat, nämlich die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes. Alles, was von Vers 18 des ersten bis Vers 21 des dritten Kapitels gesagt ist, bildet einen Zwischensatz, um zu beweisen, daß eine Gerechtigkeit Gottes notwendig ist, weil es in der Menschheit keine Gerechtigkeit gibt. Nachdem dies geschehen ist, geht der Apostel auf diese Gerechtigkeit Gottes und ihre Anwendung auf die Menschen näher ein. Diese Gerechtigkeit steht nicht in Beziehung zum Gesetz, das nur die vollkommene Richtschnur für die Menschen war. Gott kann aber Seine Gerechtigkeit nicht nach dem Maßstabe der menschlichen Gerechtigkeit oder ihrer Verantwortlichkeit messen. Nach diesem Maßstab richtet Er die Menschen, die das Gesetz gehabt haben. Seine Gerechtigkeit muß nach Seiner eigenen Natur gemessen werden, und Seine Natur offenbart sich in dem, was Er tut. Er muß Sich Selbst verherrlichen, das ist offenbaren; denn bei Gott ist Seine Offenbarung auch Seine Verherrlichung. Wenn Er richtet, so richtet Er die Menschen nach ihrer menschlichen Verantwortlichkeit; wenn Er tätig ist, so ist Er es nach Seiner eigenen Natur. Das Gesetz weiß nichts von dieser Natur. Es sagt, daß wir Gott lieben sollen; aber was ist Er? Das Gesetz ist dem Menschen und seinem Verhältnis zu Gott angepasst. Die Gerechtigkeit Gottes steht ganz und gar außerhalb der Frage des Gesetzes, selbst jedes Gesetzes, was für ein Gesetz es auch sein möge; es sei denn, daß die Natur Gottes Selbst als solches angesehen wird. Er ist ein Gesetz für Sich Selbst, vollkommen in Seiner Natur. Seine Gerechtigkeit ist jetzt erwiesen in dem, was Er getan hat hinsichtlich der Person Christi, indem Er Ihn infolge Seines vollbrachten Werkes zu Seiner Rechten gesetzt hat. Das Gesetz und die Propheten haben Zeugnis davon gegeben. Die Gerechtigkeit Gottes Selbst ist ausgeübt worden in der Annahme und Verherrlichung Christi um Seines Werkes willen. Und an dieser Annahme haben auch wir teil durch den Glauben, weil Er dieses Werk für uns getan hat. Eben weil es die Gerechtigkeit Gottes ist, gegründet auf das Werk Christi, indem Er für alle gestorben ist, bezieht sie sich auf die ganze Welt und auf alle Menschen: alle, die an Christum glauben, ob Juden oder Heiden, haben teil daran und auch teil an allen Vorrechten, welche die Folge davon sind. Wäre es menschliche Gerechtigkeit, so müsste sie nach dem Gesetz sein, und wäre sie nach dem Gesetz, so würden nur die Juden teil daran haben, weil nur sie das Gesetz hatten. Da es aber die Gerechtigkeit Gottes ist, so ist sie für alle geoffenbart, und die Gerechtigkeit ist allen, die da glauben, zugerechnet. So ist also die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Christum Jesum für alle Sünder geoffenbart; sie ruht auf allen, die an Ihn glauben. „Denn es ist kein Unterschied, denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“.
Alle Menschen befinden sich also von Natur in demselben Zustande, weil sie alle gleich sind in der Sünde; ebenso aber ist auch die Gnade gleich für alle, weil die Gerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit und für alle Gläubige dieselbe ist, und infolgedessen stehen alle Gläubige, in dieser Gerechtigkeit angenommen, auf demselben Boden vor Gott. Gott hat Jesum Christum öffentlich dargestellt als Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut, und hat dadurch Seine Gerechtigkeit erwiesen in betreff der Sünden der Heiligen des Alten Testaments, die Er in Seiner Nachsicht hatte hingehen lassen. Jetzt aber ist Seine Gerechtigkeit in diesem Hingehenlassen erwiesen, indem Christus für sie gestorben ist; auf Grund dieses Versöhnungstodes, den Gott vor Seinen Augen hatte, konnte Er jene Sünden hingehen lassen. Ferner ist die Gerechtigkeit auch in der jetzigen Zeit geoffenbart; sie erklärt nicht nur die früheren Wege Gottes, sondern ist auch für die gegenwärtige Zeit eine Offenbarung des Grundes der Rechtfertigung der Gläubigen durch ein vollbrachtes Werk; sie ist deshalb eine gegenwärtige, verwirklicht in der Rechtfertigung aller Gläubigen nach der Gerechtigkeit des gerechten Gottes. Gott ist gerecht und rechtfertigt um des Werkes Christi willen; ja, Er erweist Seine Gerechtigkeit, indem Er dies tut. Nicht als ob wir dessen würdig wären, sondern Gott erkennt den Wert des Werkes Christi an, indem Er uns rechtfertigt. Also ist die Rechtfertigung eine geoffenbarte, bekannte Sache, weil das Werk vollbracht ist.
Der Mensch kann sich seiner selbst nicht rühmen, auch der Jude nicht, trotz aller seiner Vorrechte. Aller Ruhm ist ausgeschlossen. Auf welchem Grundsatz? Durch welches Gesetz? Der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens. Der Mensch, wer er auch sein mag, nimmt den Platz eines Sünders ein. Die Gnade, und die Gnade allein, gilt für alle in gleicher Weise. Denn wir sind zu dem Schluss gekommen, daß man durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke. „Ist Gott der Gott der Juden allein? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen“. Ein solcher muß Er sein, ein solcher war Er, selbst im Alten Testament, obwohl Er, als alle Geschlechter der Erde in Götzendienst versunken waren, Israel in der Person Abrahams aus ihrer Mitte erkor, um die Erkenntnis des einen Gottes auf der Erde zu bewahren. Jetzt aber hat Er nach der Gnade Seinen Platz genommen als Gott über alle Menschen, nach der Wahrheit Seines unveränderlichen Rechts, indem es ein und derselbe Gott ist, der die Beschneidung aus Glauben und die Vorhaut durch Glauben rechtfertigt. Die Verschiedenheit der hier gebrauchten Ausdrücke „aus Glauben“ oder „auf dem Grundsatz des Glaubens“ und „durch Glauben“ erklärt sich dadurch, daß die Juden wohl die Gerechtigkeit suchten, aber auf einem falschen Grundsatz, nämlich auf dem Grundsatz der Werke; sie müssen die Gerechtigkeit haben, und zwar eine göttliche Gerechtigkeit, aber auf einem anderen Grundsatz, auf dem des Glaubens. Und weil die göttliche Gerechtigkeit auf dem Grundsatz des Glaubens beruht, so wird auch der glaubende Heide ihrer teilhaftig durch den Glauben, der durch die Gnade in ihm gewirkt ist. Macht denn dieser Grundsatz das Gesetz ungültig? Keineswegs. Die Autorität des Gesetzes ist vollkommen festgestellt und bestätigt worden, aber zur Verdammnis aller derer, die sich unter seiner Autorität befanden. Nichts könnte seine Autorität so vollkommen feststellen wie die Tatsache, daß der Herr Selbst den Fluch des Gesetzes auf Sich genommen hat.