Unrevidierte Elberfelder 1871
Versliste
Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch anzuheben, und sprach:
So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Seele bitter gemacht hat, -
so lange mein Odem in mir ist, und der Hauch Gottes in meiner Nase: -
wenn meine Lippen Unrecht reden werden, und wenn meine Zunge Trug aussprechen wird!
Fern sei es von mir, daß ich euch recht geben sollte; bis ich verscheide, werde ich meine Unsträflichkeit nicht von mir weichen lassen.
An meiner Gerechtigkeit halte ich fest und werde sie nicht fahren lassen: mein Herz schmäht nicht einen von meinen Tagen.
Und Hiob antwortete und sprach:
Wie hast du dem Ohnmächtigen geholfen, den kraftlosen Arm gerettet!
Wie hast du den beraten, der keine Weisheit hat, und gründliches Wissen in Fülle kundgetan!
An wen hast du Worte gerichtet, und wessen Odem ist von dir ausgegangen?
Die Schatten beben unter den Wassern und ihren Bewohnern.
Der Scheol ist nackt vor ihm, und keine Hülle hat der Abgrund.
Er spannt den Norden aus über der Leere, hängt die Erde auf über dem Nichts.
Er bindet die Wasser in seine Wolken, und das Gewölk zerreißt nicht unter ihnen.
Er verhüllt den Anblick seines Thrones, indem er sein Gewölk darüber ausbreitet.
Er rundete eine Schranke ab über der Fläche der Wasser bis zum äußersten Ende, wo Licht und Finsternis zusammentreffen.
Die Säulen des Himmels wanken und entsetzen sich vor seinem Schelten.
Durch seine Kraft erregt er das Meer, und durch seine Einsicht zerschellt er Rahab.
Durch seinen Hauch wird der Himmel heiter, seine Hand hat geschaffen den flüchtigen Drachen.
Siehe, das sind die Säume seiner Wege; und wie wenig haben wir von ihm gehört! und den Donner seiner Macht, wer versteht ihn?
Ich habe mit meinen Augen einen Bund gemacht, und wie hätte ich auf eine Jungfrau geblickt!
Denn was wäre das Teil Gottes von oben gewesen, und das Erbe des Allmächtigen aus den Höhen?
Ist nicht Verderben für den Ungerechten, und Mißgeschick für die, welche Frevel tun?
Sieht er nicht meine Wege und zählt alle meine Schritte?
Wenn ich mit Falschheit umgegangen bin und mein Fuß dem Truge zugeeilt ist, -
er wäge mich auf der Waage der Gerechtigkeit, und Gott wird meine Unsträflichkeit erkennen, -
wenn mein Schritt von dem Wege abgebogen, und mein Herz meinen Augen gefolgt ist, und an meinen Händen ein Makel kleben blieb:
so möge ich säen, und ein anderer essen, und meine Sprößlinge mögen entwurzelt werden!
Wenn mein Herz zu einem Weibe verlockt worden ist und ich an der Tür meines Nächsten gelauert habe:
so möge mein Weib für einen anderen mahlen, und andere mögen sich über sie beugen!
Denn das ist eine Schandtat, und das eine Missetat für die Richter.
Denn ein Feuer ist es, das bis zum Abgrund frißt, und das meinen ganzen Ertrag entwurzeln würde.
Wenn ich das Recht meines Knechtes und meiner Magd mißachtete, als sie mit mir stritten:
was wollte ich dann tun, wenn Gott sich erhöbe; und wenn er untersuchte, was ihm erwidern?
Hat nicht er, der mich im Mutterleibe bereitete, auch ihn bereitet, und hat nicht einer im Schoße uns gebildet?
Wenn ich den Armen ihr Begehr versagte, und die Augen der Witwe verschmachten ließ,
und aß meinen Bissen allein, so daß der Verwaiste nicht davon gegessen hat-
ist er doch von meiner Jugend an bei mir aufgewachsen, wie bei einem Vater, und von meiner Mutter Leibe an habe ich sie geleitet; -
wenn ich jemand umkommen sah aus Mangel an Kleidung, und den Dürftigen ohne Decke,
wenn seine Lenden mich nicht gesegnet haben, und er mit der Wolle meiner Lämmer sich nicht erwärmte;
wenn ich meine Hand geschwungen über eine Waise, weil ich im Tore meinen Beistand sah:
so falle meine Schulter aus ihrem Blatt, und mein Arm werde abgebrochen von der Röhre!
Denn das Verderben Gottes war mir ein Schrecken, und vor seiner Erhabenheit vermochte ich nichts.
Wenn ich das Gold zu meiner Zuversicht gestellt, und zu dem feinen Golde gesagt habe: Mein Vertrauen! -
wenn ich mich freute, daß mein Vermögen groß war, und daß meine Hand Ansehnliches erworben hatte;
wenn ich die Sonne sah, wie sie glänzte, und den Mond in Pracht dahinwandeln,
und mein Herz im Geheimen verführt wurde und mein Mund meine Hand geküßt hat:
auch das wäre eine gerichtlich zu strafende Missetat; denn Gott droben würde ich verleugnet haben.
Wenn ich mich freute über das Unglück meines Hassers und aufjauchzte, als Böses ihn traf-
nie habe ich ja meinem Gaumen erlaubt, zu sündigen, durch einen Fluch seine Seele zu fordern; -
wenn die Leute meines Zeltes nicht gesagt haben: Wer wäre nicht von dem Fleische seines Schlachtviehes satt geworden! -
der Fremdling übernachtete nicht draußen, ich öffnete dem Wanderer meine Tür;
wenn ich, wie Adam, meine Übertretungen zugedeckt habe, verbergend in meinem Busen meine Missetat,
weil ich mich fürchtete vor der großen Menge, und die Verachtung der Familien mich erschreckte, so daß ich mich still hielt, nicht zur Türe hinausging…
O daß ich einen hätte, der auf mich hörte, -hier ist meine Unterschrift; der Allmächtige antworte mir! -und die Klageschrift, welche mein Gegner geschrieben!
Würde ich sie nicht auf meiner Schulter tragen, sie mir umbinden als Krone?
Ich würde ihm kundtun die Zahl meiner Schritte, würde ihm nahen wie ein Fürst.
Wenn mein Acker über mich schreit, und seine Furchen allesamt weinen;
wenn ich seinen Ertrag ohne Zahlung verzehrt habe, und die Seele seiner Besitzer aushauchen ließ:
so mögen Dornen statt Weizen, und Unkraut statt Gerste hervorkommen! Die Worte Hiobs sind zu Ende.
Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch anzuheben, und sprach:
So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Seele bitter gemacht hat, -
so lange mein Odem in mir ist, und der Hauch Gottes in meiner Nase: -
wenn meine Lippen Unrecht reden werden, und wenn meine Zunge Trug aussprechen wird!
Fern sei es von mir, daß ich euch recht geben sollte; bis ich verscheide, werde ich meine Unsträflichkeit nicht von mir weichen lassen.
An meiner Gerechtigkeit halte ich fest und werde sie nicht fahren lassen: mein Herz schmäht nicht einen von meinen Tagen.
Mein Feind sei wie der Gesetzlose, und der wider mich auftritt wie der Ungerechte.
Denn was ist des Ruchlosen Hoffnung, wenn Gott abschneidet, wenn er seine Seele herauszieht?
Wird Gott sein Geschrei hören, wenn Bedrängnis über ihn kommt?
Oder wird er sich an dem Allmächtigen ergötzen, Gott anrufen zu aller Zeit?
Ich will euch belehren über die Hand Gottes; was bei dem Allmächtigen ist, will ich nicht verhehlen.
Siehe, ihr selbst habt es alle erschaut, und warum denn schwatzet ihr so eitel?
Dies ist das Teil des gesetzlosen Menschen bei Gott, und das Erbe der Gewalttätigen, welches sie von dem Allmächtigen empfangen:
Wenn seine Kinder sich mehren, so ist es für das Schwert, und seine Sprößlinge, -sie haben nicht satt Brot.
Seine Übriggebliebenen werden begraben durch den Tod, und seine Witwen weinen nicht.
Wenn er Silber aufhäuft wie Staub, und Kleider bereitet wie Lehm:
er bereitet sie, aber der Gerechte bekleidet sich damit; und Schuldlose teilen sich in das Silber.
Er hat sein Haus gebaut wie die Motte, und der Hütte gleich, die ein Wächter sich macht.
Reich legt er sich ihn, und er tut es nicht wieder; er schlägt die Augen auf, und ist nicht mehr.
Schrecken ereilen ihn wie Wasser, des Nachts entführt ihn ein Sturmwind.
Der Ostwind hebt ihn empor, daß er dahinfährt, und stürmt ihn fort von seiner Stätte.
Und Gott schleudert auf ihn ohne Schonung; seiner Hand möchte er flüchtend entfliehen.
Man klatscht über ihn in die Hände, und zischt ihm nach von seiner Stätte aus.
Und Hiob fuhr fort, seinen Spruch anzuheben, und sprach:
Und sie sprach zu ihnen: Nennet mich nicht Noomi, nennet mich Mara; denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht.