Unrevidierte Elberfelder 1871
Versliste
Warum hast du mich doch aus Mutterleibe hervorgehen lassen? Ich hätte verscheiden, und kein Auge hätte mich sehen sollen!
Als ob ich nicht gewesen wäre, so hätte ich sein sollen, vom Mutterschoße zu Grabe getragen!
Sind meiner Tage nicht wenige? Er lasse ab, wende sich von mir, daß ich ein wenig mich erheitere,
ehe ich hingehe (und nicht wiederkomme) in das Land der Finsternis und des Todesschattens,
in das Land, düster wie das Dunkel, das Land des Todesschattens und der Unordnung, und wo das Hellwerden dem Dunkel gleich ist!
Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.
Und Hiob hob an und sprach:
Es verschwinde der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, welche sprach: Ein Knäblein ist empfangen!
Jener Tag sei Finsternis! nicht frage Gott nach ihm droben, und nicht erglänze über ihm das Licht!
Finsternis und Todesschatten mögen ihn einlösen, Gewölk lagere sich über ihm, es schrecken ihn Tagesverfinsterungen!
Jene Nacht, Dunkel ergreife sie; sie freue sich nicht unter den Tagen des Jahres, in die Zahl der Monde komme sie nicht!
Siehe, jene Nacht sei unfruchtbar, es trete kein Jubel in sie ein!
Verwünschen mögen sie die Verflucher des Tages, die fähig sind, den Leviathan aufzureizen!
Verfinstert seien die Sterne ihrer Dämmerung; sie harre auf Licht, und da sei keines; und nicht schaue sie die Wimpern der Morgenröte!
Denn sie hat die Pforte meines Mutterschoßes nicht verschlossen und Mühsal nicht verborgen vor meinen Augen. -
Warum starb ich nicht von Mutterleibe an, kam aus dem Schoße hervor und verschied?
Weshalb kamen Knie mir entgegen, und wozu Brüste, daß ich sog?
Denn jetzt würde ich liegen und rasten, ich würde schlafen: dann hätte ich Ruhe, -
mit Königen und Räten der Erde, welche sich verödete Plätze erbauten,
oder mit Fürsten, die Gold hatten, die ihre Häuser mit Silber füllten;
oder, gleich einer verborgenen Fehlgeburt, wäre ich nicht da, gleich Kindern, die das Licht nicht erblickt haben.
Dort lassen die Bösen ab vom Toben, und dort ruhen die an Kraft Erschöpften,
rasten die Gefangenen allesamt, hören nicht die Stimme des Treibers.
Der Kleine und der Große, dort sind sie gleich, und der Knecht ist frei von seinem Herrn.
Warum gibt er dem Mühseligen Licht, und Leben denen, die bitterer Seele sind;
die auf den Tod harren, und er ist nicht da, und die nach ihm graben, mehr als nach verborgenen Schätzen;
die sich freuen bis zum Jubel, Wonne haben, wenn sie das Grab finden; -
dem Manne, dessen Weg ihm verborgen ist, und den Gott eingeschlossen hat ringsum?
Denn gleich meinem Brote kommt mein Seufzen, und wie Wasser ergießt sich mein Gestöhn.
Denn ich fürchtete einen Schrecken, und er traf mich, und vor dem mir bangte, das kam über mich.
Ich war nicht ruhig, und ich rastete nicht und ruhte nicht, da kam das Toben.
Doch du bist es, der mich aus dem Mutterleibe gezogen hat, der mich vertrauen ließ an meiner Mutter Brüsten.
Und ich pries die Toten, die längst gestorben, mehr als die Lebenden, welche jetzt noch leben;
und glücklicher als beide pries ich den, der noch nicht gewesen ist, der das böse Tun nicht gesehen hat, welches unter der Sonne geschieht.
Tue mir kund, Jehova, mein Ende, und das Maß meiner Tage, welches es ist, daß ich wisse, wie vergänglich ich bin!
Höre mein Gebet, Jehova, und nimm zu Ohren mein Schreien; schweige nicht zu meinen Tränen! Denn ein Fremdling bin ich bei dir, ein Beisasse wie alle meine Väter.
Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.