Behandelter Abschnitt Sach 5,1-4
Die fliegende Rolle und das Epha
Auf die Visionen der Herrlichkeit, die wir in den letzten beiden Kapiteln betrachtet haben, folgen nun andere – ganz andere. Wenn Juda und Jerusalem gesegnet werden sollen, dann nur aufgrund souveräner Gnade. Denn es gibt keinerlei Verdienst; das Gegenteil ist der Fall. Das macht die „fliegende Rolle“ deutlich. Sie spricht von einem schonungslosen Gericht „nach ihren Werken“, das über alle kommen muss, die sich weigern, sich selbst nach dem Wort des lebendigen Gottes zu beurteilen und zu richten. Aber sie lässt uns auch wissen, dass Er, der Heilige, gegen den so schwer gesündigt wurde, einen Weg gefunden hat, wie Er alle, die sich an Ihn wenden und seinen Namen anrufen, in Gerechtigkeit erretten kann. Denn sonst wäre es unabwendbar, dass alle ausgerottet würden.
Da ist kein Wort und keine erkennbare Andeutung von irgendetwas anderem als einem gewaltigen Zorn. Und doch erhebt sich – im Licht der vorangehenden Symbole betrachtet – unser Herz in heiligem Jubel zum Lob der Gnade, die uns rettet.
Sach 5,1-4: 1 Und ich erhob wiederum meine Augen und sah: Und siehe, eine fliegende Rolle. 2 Und er sprach zu mir: Was siehst du? Und ich sprach: Ich sehe eine fliegende Rolle, ihre Länge zwanzig Ellen und ihre Breite zehn Ellen. 3 Und er sprach zu mir: Dies ist der Fluch, der über die Fläche des ganzen Landes ausgeht; denn jeder, der stiehlt, wird entsprechend dem, was auf dieser Seite der Rolle geschrieben ist, weggefegt werden; und jeder, der falsch schwört, wird entsprechend dem, was auf jener Seite der Rolle geschrieben ist, weggefegt werden. 4 Ich habe ihn ausgehen lassen, spricht der HERR der Heerscharen; und er wird in das Haus des Diebes kommen und in das Haus dessen, der bei meinem Namen falsch schwört; und er wird in seinem Haus herbergen und es vernichten, sowohl sein Gebälk als auch seine Steine.
Diese Vision ist von höchst ernstem Charakter und sollte recht deutlich zu allen Herzen sprechen, sowohl zu den Sündern aus den Nationen als auch zu denen des Volkes Israel. Doch in erster Linie bezieht sich diese Vision unverkennbar auf Juda. Sie wird ihre Erfüllung finden, wenn das Volk im Unglauben in sein Land zurückkehrt. Wenn wir die siebzehn Bücher studieren, die den letzten Teil des Alten Testaments ausmachen, dann ist es außerordentlich wichtig, dass wir uns an etwas erinnern: Gott hat durchweg Israel als Volk und Palästina als ihr Land vor Augen. Dieser scheinbar unbedeutende Streifen Land ist für Gott das Zentrum der Erde und all seiner Wege mit den Menschen auf der Erde. Gott hat dieses Land Abraham und seinen Nachkommen in einem unverbrüchlichen Bund gegeben. Dort wurde sein gesegneter Sohn geboren; dort lebte und starb Er. Von dort aus ist Er in den Himmel aufgefahren. Und zu ebendiesem Land wird Er höchstpersönlich zurückkehren, um das lange angekündigte Reich aufzurichten.
Dieses Land wurde jahrhundertelang von den Füßen hochmütiger heidnischer Eroberer zertreten, während seine rechtmäßigen Bewohner wegen ihrer Sünden unter die Nationen zerstreut worden waren. Aber sie werden dorthin zurückkehren. Ja, sie kehren sogar jetzt schon in großer Zahl in ihr Land zurück, wenn auch in der Finsternis der Seele und im Unglauben.1 In ebendiesem Land wird Gott sie durch eine unvergleichlich harte Prüfung führen, die „eine Zeit der Drangsal für Jakob“ (Jer 30,7) oder „die große Drangsal“ (Mt 24,21) genannt wird. Dabei wird Er das Wertvolle vom Schändlichen trennen, die Sünder und Übertreter inmitten des Volkes vernichten und die Bußfertigen durch seine Gnade erretten. Diese Menschen werden am Tag seiner Macht den Kern seines Reiches bilden.
Von diesem vorbereitenden Gericht spricht die Vision, die jetzt unsere Aufmerksamkeit verlangt. Sacharja sieht am Himmel eine gewaltige Schriftrolle, die sich majestätisch und doch ziemlich rasch am Himmel fortbewegt, und zwar über das gesamte Land Kanaan. Bei näherer Betrachtung sieht er, dass die Rolle auf beiden Seiten mit Flüchen und Gerichten beschrieben ist. Auf der einen Seite befindet sich Gottes Wort gegen die, die ihrem Nächsten – gemäß der zweiten Gesetzestafel – Unrecht getan haben. Sie wird zuerst erwähnt, weil der Mensch die Bosheit der Sünde gegen seine Mitmenschen am besten nachvollziehen kann. Die andere Seite der Rolle spricht von dem Verderben, das über die beschlossen ist, die sich gemäß der ersten Gesetzestafel schuldig gemacht haben.
Das Gesetz Gottes, das „heilig und gerecht und gut“ ist (Röm 7,12), verurteilt sie: „Denn so viele aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluch; denn es steht geschrieben: ,Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!‘“ (Gal 3,10). Der Jude rühmt sich dieses Gesetzes, und das, obwohl das Gesetz letztendlich nur von seiner Verurteilung redet.
Die fliegende Rolle ist die Antwort auf die Vermessenheit des Volkes, das am Sinai gerufen hatte: „Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun!“ (2Mo 19,8). Nach einer Prüfung, die sich über Jahrhunderte und Jahrtausende hingezogen hat, offenbart das Zeugnis gegen sie eine sehr ernste Tatsache: Das Volk hat in jedem Punkt versagt und muss folglich im Gericht ausgerottet werden.
Der Fluch liegt auf jedem Haus, in dem ein Dieb oder jemand, der bei Gottes Namen falsch schwört, gefunden wird, und bringt völlige Zerstörung mit sich. Das ist alles, was das Gesetz für einen Sünder tun kann; es kann den Übertreter nur verurteilen und verfluchen.
Und wer ist der Mensch, der das Gesetz nicht übertreten hat? Wo immer es verkündet worden ist, habe viele versprochen, es zu halten, doch keiner hat es jemals erfüllt. Kein aufrichtiger Mensch kann von sich behaupten, das Gesetz gehalten zu haben. Weil somit kein Mensch gerecht ist, kann es auch keine Errettung geben.
Doch Gott sei gepriesen, denn Er hat einen Weg gefunden, wie Männer und Frauen erlöst werden können, die jeden Anspruch auf seine Gunst verwirkt haben: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: ,Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!‘)“ (Gal 3,13). Weil das Erlösungswerk vollbracht ist, fließt nun die Gnade zu jedem Gesetzesübertreter, der seinen verlorenen Zustand anerkennt und sein Vertrauen auf den Erretter der Sünder setzt. Auf derselben Grundlage wird die fliegende Rolle in den letzten Tagen von den Häusern des gesamten Überrestes von Juda abgewendet werden. Denn dieser Überrest wird in Buße zu Gott umkehren und – so wie seine Vorfahren in der Passahnacht in Ägypten – unter dem Sühnungsblut Schutz finden. Dies hat bereits die wundervolle Vision in Kapitel 3 deutlich gemacht.