Ein fruchtleerer Weinstock
Hos 10,1: Israel ist ein wuchernder {fruchtleerer} Weinstock, der seine Frucht ansetzte; nach der Menge seiner Frucht hat er die Altäre vermehrt, nach der Güte seines Landes haben sie die Bildsäulen verschönert.
Wir wurden bereits an die erste Frische Israels erinnert, als es für Gott wie Trauben in der Wüste war. In jenen glücklichen Tagen ihrer Befreiung trugen sie ein wenig Frucht für den HERRN (Hos 9,10). Doch nun müssen wir sein ernstes Urteil über sie zur Kenntnis nehmen: Israels Zeugnis ist vollkommen misslungen. Oder wie es in Vers 1 heißt [KJV]: „Israel ist ein fruchtleerer Weinstock, der für sich selbst Frucht bringt.“ Die Lektion des Weinstocks ist wichtig, und wir tun gut daran, uns durch beide Testamente hindurch mit dem Thema zu beschäftigen. In Psalm 80,9-12 finden wir eine höchst bedeutsame Aussage: „Einen Weinstock zogst du {Gott} aus Ägypten, vertriebst Nationen und pflanztest ihn. Du machtest Raum vor ihm, und er schlug Wurzeln und erfüllte das Land; die Berge wurden bedeckt von seinem Schatten, und seine Äste waren wie Zedern Gottes. Er streckte seine Reben aus bis ans Meer und bis zum Strom hin seine Schösslinge.“ Das sollte Israel nach dem Willen Gottes sein: ein Zeugnis auf der Erde für Gott. Das hätten sie immer sein sollen – wenn da Demut und Unterwürfigkeit des Herzens gewesen wären, was zu Vertrauen in und Abhängigkeit von Ihm geführt hätte.
Doch es geschah – wie uns bekannt sein wird und wie die Heilige Schrift recht deutlich macht – das Gegenteil. Denn wir lesen in demselben Psalm: „Es zerwühlt ihn {den Weinstock} der Eber aus dem Wald, und das Wild des Feldes weidet ihn ab“ (Ps 80,14). Gemäß Jesaja 5 kam Gott, um Frucht zu suchen. Doch als Er auf seinen Weinstock herabblickte und nach Trauben suchte, da fand Er nichts als schlechte Beeren. Es war, wie es Hosea beschreibt, „ein fruchtleerer Weinstock“. Es gab keinerlei Frucht für den HERRN. Es drehte sich alles nur um sie selbst.
Deshalb wurde der Weinstock der Erde schließlich beiseitegesetzt, die ihn umgebende Mauer abgebrochen, und deshalb wird in der zukünftigen furchtbaren Weinlese ein vollkommenes Gericht über sie kommen (Off 14,18-20). In der Zwischenzeit, nach der Verwerfung des fruchtleeren Weinstocks, pflanzt Gott einen Weinstock, der Frucht tragen wird – einen, an dem Er immer Frucht finden wird. Deshalb erzählt der Herr Jesus, der Mann nach der Auswahl Gottes, seinen Jüngern in Johannes 15 von „dem wahren Weinstock“, der Er selbst ist. Er nimmt den Platz Israels ein, um auf dieser Erde ein Zeugnis für Gott zu sein.
Mit unvergleichlicher Gnade verbindet Er so seine Erlösten mit sich selbst: „Ich bin der
Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Fruchtleere Reben, die ursprünglich keine lebendige Verbindung mit dem Weinstock haben, können an dem Weinstock als Reben eingefügt werden. Bei all jenen hingegen, die keine lebendige Verbindung mit dem Weinstock haben, kann es auch keine Frucht geben. Es sind falsche Bekenner, die abgeschnitten und als verdorrte Reben hinausgeworfen werden und deren Ende das Feuer sein wird. Die fruchttragenden Reben hingegen werden gereinigt, damit sie mehr Frucht tragen können. Ja, Gott der Vater wird verherrlicht, wenn sie viel Frucht bringen!
Hieran wird deutlich, dass sich der Weinstock auf die Erde bezieht. Es geht um das Zeugnis Gottes in dieser Welt. Was einst Israel anvertraut worden war, wird jetzt von Christus durch sein geliebtes Volk aufrechterhalten. Der fruchtleere Weinstock ist im Gericht beiseitegesetzt worden. Sein Platz ist von dem wahren Weinstock eingenommen worden, der niemals beiseitegesetzt werden wird, denn er spricht von Christus und von seinem Volk, das in Christus ist. Deshalb stellt sich der Herr der Versammlung in Laodizea – auch wenn der Einzelne versagt – als „der treue und wahrhaftige Zeuge“ vor (Off 3,14).
Das vor uns liegende Kapitel 10 schließt die Beweisführung ab, dass Israel tatsächlich in den traurigen Zustand gefallen ist, der im ersten Vers beschrieben wurde. Alle Hoffnungen auf Besserung ist für die Gegenwart dahin. Sie müssen – bevor sie erneut aufgenommen werden können – durch Bedrängnis und Drangsal und die daraus resultierende Umkehr gehen. Wenn das geschehen wird, werden sie Reben am lebendigen Weinstock sein – mit ihrem einst abgelehnten Messias verbunden als ein Zeugnis Gottes im Tausendjährigen Reich. Doch dann wird es nicht mehr wie unter dem Alten Bund sein. Denn dann wird es nicht mehr auf der Grundlage ihrer Verantwortung geschehen – worin sie von Anfang an versagt haben –, sondern unter dem Neuen Bund der ihnen erwiesenen reinen Gnade Gottes, unverdient und souverän.