Wir haben im vorhergehenden Kapitel einen Anblick größter Bedeutung und Interesses gehabt. Gott entfaltete sozusagen das Innere des Himmels – seine Gedanken und sein Handeln, bevor ein einziger Schlag des Gerichts auf die Erde fällt, kommt vor uns. Aber das Bild wäre unvollständig gewesen, wenn der Heilige Geist nicht die Szene hinzugefügt hätte, die uns in diesem Kapitel offenbart wird. Denn wenn es auch eine göttliche Offenbarung gab und die Ältesten mit geistlicher Einsicht in die Anbetung Gottes eintraten und seine Herrlichkeit in der Schöpfung und in der Regierung seiner Vorsehung anerkannten, so hatten sie doch kein Lied dabei, noch viel weniger sangen sie „das neue Lied.“
Nun ist es das große Ziel dieses Kapitels vor uns, diese andere und umfassendere Art und Weise zu zeigen, in der die Ältesten sich vor dem Lamm niederwerfen und es anbeten. Der Heilige Geist gibt sich besondere Mühe, darauf hinzuweisen, dass Gott, so wie Er sich offenbart, der Gegenstand, die Quelle und die Grundlage aller folgenden Anbetung durch das Geschöpf sein muss. Es ist kein Bild, das der menschliche Verstand erdacht hat; das wäre ein Götze. Wir müssen eine göttliche Offenbarung haben, um göttliche Wahrheit und annehmbare Anbetung zu haben. Die Bilder in Kapitel 4 ließen Gott in einer Art geheimnisvoller Größe und Majestät erscheinen. Dementsprechend ging die Anbetung der Ältesten nicht über die Anerkennung hinaus, dass Gott alle Dinge erschaffen und erhalten hat. Es war seine Herrlichkeit in der Schöpfung und in der Vorsehung, und ihr war ein einsichtiger Lobgesang angemessen.
In diesem Kapitel haben wir eine liebliche Szene. Und warum? Weil wir das Lamm haben. Welchen Segen bringt Er nicht! Es hat die Sünde ausgelöscht, hat den Stachel des Todes entfernt, hat uns Gott nahegebracht und ein Lied in unseren Mund gelegt, das für seine Gegenwart in der Höhe geeignet ist. In diesem gesegneten Teil des Wortes haben wir als Hauptthema die Bedeutung der Erlösung für die Berufung oder die Anbetung des Himmels und ihre Verbindung mit den Ratschlüssen und Wegen Gottes auf der Erde. Solange es nur um die Schöpfungsherrlichkeit Gottes ging, hatten wir überhaupt kein Buch. Nun aber schaut der Prophet, und er sieht in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, eine Buchrolle, innen und auf der Rückseite beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt:
Und ich sah in der Rechten dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, mit sieben Siegeln versiegelt (5,1).
In der Antike war ein Buch eine handgeschriebene Rolle, die in der Regel nur im Inneren beschrieben war. Aber hier gibt es eine Fülle von Offenbarung. Sie fließt gleichsam über und ist sowohl auf der Rückseite als auch innen geschrieben und insgesamt durch sieben Siegel gesichert.
Doch beachte, dass Gott, wenn Er mit diesem Buch in seiner Hand gesehen wird, es nur das Lamm ist, das öffnet, und dass in Verbindung mit dem Lamm der Inhalt des Buches erscheint. Wie klar, dass es niemals eine Öffnung der Gedanken Gottes in Bezug auf die zukünftigen Dinge geben kann, ohne die Erkenntnis Christi und seiner Herrlichkeit! Jeder Christ weiß, dass es ohne Christus keine Errettung gibt. Doch viele erkennen nicht, dass es ohne Christus kein richtiges Verständnis der Prophetie gibt, noch eine richtige Erkenntnis dessen, was die Versammlung ist.
So schaffen die Menschen leicht religiöse Gemeinschaften, und nennen sie Versammlungen. Aber ich zögere nicht zu sagen, dass es leichter wäre, Himmel und Erde zu machen, als die Versammlung Gottes zu machen. Aber die Anmaßung der Menschen hat sich zu einer solchen Höhe erhoben, dass die höchsten und heiligsten Dinge Gottes zum Werk (um nicht zu sagen zum Sport) von Menschenhänden gemacht werden, weil sie die Versammlung praktisch von Christus getrennt haben. Sie behandeln das Thema als optional und äußerlich, anstatt zuzugeben, dass es das besondere Gebiets des tiefsten und reinsten Wirkens des Geistes ist, das liebste Objekt der Zuneigung und das Zeugnis der wichtigsten Herrlichkeiten Christi. Die Ordnung der Versammlung und die Wege Gottes darin bringen die Tiefen und Höhen der göttlichen Weisheit und Gnade zum Vorschein.
Eine Hauptschwierigkeit ist auch jetzt, wie immer, dass diejenigen, die der Heilige Geist um den Namen des Herrn versammelt, dazu neigen, eine Last von Vorstellungen aus dem Land, aus dem sie kommen, mit sich zu tragen – die lang gehegten Gedanken und Gewohnheiten, die sie erst verlernen müssen. Sie haben auch dasselbe Fleisch wie andere – dieselbe Eitelkeit, Eile, Einbildung und dergleichen. Wir müssen daran denken, dass wir selbst nicht weniger in Gefahr sind, das zu tun, was andere Menschen getan haben. Wenn die Versammlung so bald versagte, nachdem Gott seine neuen und gesegneten Ratschlüsse der himmlischen Gnade hier auf der Erde verwirklicht hatte, ist es jetzt (wo die Christenheit ihre besten Vorrechte aufgegeben und fast vergessen hat) viel leichter, wieder in denselben Irrtum und die Untreue zu fallen. Die große Wurzel des Unheils ist die Tendenz, die Versammlung als unsere und nicht als die Christi zu betrachten. Man kennt nie die volle Wahrheit von irgendetwas, das entweder Gott oder uns selbst betrifft, getrennt von Christus. Es bleibt immer wahr, dass „das Gesetz durch Mose gegeben wurde“ (und er war ein höchst geehrter Diener Gottes), aber „die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17).
Genauso verhält es sich mit prophetischen Deutungen. Wenn ich die Prophezeiung mit mir selbst, mit meinem Land oder meiner Zeit in Verbindung bringe, kann ich in der siebten Schale die letzte französische Revolution finden, oder die Kartoffelkrankheit, oder die asiatische Cholera, oder den Krimkrieg, oder die neueren Kämpfe in Deutschland, Italien und Frankreich. Ich kann das Land „mit Flügeln“ von Großbritannien und seinen Kolonien lesen; ich kann in den Schiffen aus Papyrus (Jes 18) die eisernen Dampfschiffe von heute sehen. Hältst du das für zu abwegig? Christen denken so, und dies, weil sie die Dinge mit sich selbst statt mit Christus verbinden. In dem Augenblick, in dem jedoch alles in Beziehung zu Christus gesehen wird, ist Er das Licht, und wir sind von diesen Gedanken der Menschen befreit. Denn was ist unser Land oder unsere Zeit? Weder das eine noch das andere ist Christus. Wenn ich die Gemeinschaft mit Ihm suche, werde ich sofort frei von dem Wunsch, etwas, das mit mir selbst zu tun hat, zum Mittelpunkt meines Systems zu machen. Wenn die Menschen den Untergang des Römischen Reiches oder den Aufstieg des Papsttums, das finstere Mittelalter oder die vorangegangenen Einfälle der Barbaren mit historischem Auge betrachten, finden sie das alles sehr interessant und nehmen an, dass Gott diese nicht in seinem Buch ausgelassen haben kann, dass Er etwas über einen so wichtigen Übergang gesagt haben muss.
So wird sogar die Erfindung des Schießpulvers in Kapitel 9, die Entdeckung Amerikas in Kapitel 10 und die politische Bedeutung des Protestantismus in Kapitel 11 als vorausgesagt angesehen. Kurzum, was ist den Menschen zu wild, um zu glauben, dass sie es nicht in der Offenbarung herausgefunden haben? Und diese Dinge werden sogar von gottesfürchtigen Menschen vorgebracht. Warnt uns Gott nicht durch all dies? Mögen wir vor der gleichen Schlinge bewahrt werden, die Menschen verführt hat, die von Natur aus so nüchtern (oder so schwach) sind wie wir! Er zeigt uns, dass keine Menge an Informationen, Gelehrsamkeit oder Einfallsreichtum – nein, dass nicht einmal Frömmigkeit – uns befähigen wird, Gott oder sein Wort zu verstehen. Was kann es dann? Christus allein.
Das Lamm ist der Schlüssel zu den Dingen Gottes, nicht unser eigener Verstand. Es gibt viele, die denken, dass sich alle Prophetie auf die Versammlung beziehen muss, weil sie der besondere Gegenstand der Liebe Gottes ist. Eine höchst irrige Vorstellung! Das Gegenteil ist der Fall. Es wäre wahrer zu sagen, dass die Versammlung niemals das Thema ist, mit dem sich die Prophetie beschäftigt. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, irdische Ereignisse zu behandeln; aber die Versammlung hat ihren Platz in der himmlischen Herrlichkeit. Wenn wir dieses Buch wirklich verstehen, finden wir, dass das Gericht das Thema ist; und der ausdrückliche Zweck dieser beiden Kapitel ist es, zu zeigen, dass die Versammlung, bevor eines der Gerichte vom Thron kommt, von der Szene entfernt wird, und wir können sagen, in der himmlischen Herrlichkeit untergebracht wird. Da die Miterben dann bei Christus sind, bereitet sich Gott darauf vor, den erstgeborenen Erben in die Welt einzuführen. Wenn dies nicht gesehen wird, kann die Offenbarung als Ganzes nicht verstanden werden. Eine Person mag aus einzelnen Teilen Trost schöpfen, aber das ist nicht das Verstehen des Buches. Um den Umfang der Prophezeiung zu verstehen, muss ich Christus zum Thema machen und nicht die Versammlung; sonst bin ich außerhalb der Blickrichtung, in der der Geist sie geschrieben hat. Nicht die Versammlung, sondern Christus ist das Zentrum des Reiches Gottes. Die Astronomen dachten früher, dass die Erde der Mittelpunkt sei, um den sich die anderen Himmelskörper drehten, indem sie oberflächlich nach dem urteilten, was sich den Sinnen darbot. Christus ist die wahre Sonne und das Zentrum des Systems Gottes.