Diese sind es, die sich absondern, natürliche Menschen, die den Geist nicht haben (V. 19).
Judas erklärt hier, was für Menschen das sind. Es ist wichtig, diesen Vers zu verstehen, denn es gibt verschiedene Arten von Absonderungen, die im Neuen Testament erwähnt werden. Manchmal ist es eine Absonderung nach innen, manchmal nach außen; manchmal nimmt sie den Charakter von Parteiungen an, die noch mit den anderen äußerlich verbunden sind, aber deren Geist entfremdet ist. Das sind die Personen, auf die sich der Apostel in Römer 16 bezieht: Personen, „die Zwiespalt und Ärgernis anrichten, entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt“ (V. 17). Diese Lehre bestand darin, dass wir nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich in echter Liebe miteinander wandeln sollen. Es ist wahr, dass sie nicht immer gutheißt, was jeder tun und sagen mag, aber mit dem aufrichtigen Wunsch, dass die Dinge gut laufen mögen und dass auch die, die in irgendeiner Weise vom Feind gefangen sind, befreit werden.
Nun, die Personen in Römer 16 sollten nicht weggetan, sondern man sollte sich abwenden, sie also meiden; und der Zweck dieses Abwendens war, sie empfinden und darüber nachdenken zu lassen, worum es ihnen ging. Angenommen, es handelte sich um Prediger oder Lehrer, dann würde das Abwenden bedeuten, sie nicht einzuladen, oder wenn sie sich selbst einladen, ihr Ersuchen nicht anzunehmen. Natürlich können wir verstehen, dass ihnen das nicht gefällt, es sei denn, sie wären wirklich zerbrochen im Geist. In diesem Fall würde alles glücklich enden, aber wenn sie darauf aus sind, ihren eigenen Willen zu tun, sollte man sich von ihnen abwenden, wie der Apostel sagt, und wenn sie dieses Abwenden nicht mögen und darunter bitter werden, würde die Wirkung sein, dass sie eine Trennung draußen machen würden, wenn sie könnten, anstatt drinnen. Sie würden selbst hinausgehen und versuchen, andere mitzuziehen.
Es gibt diese Wesensart. Erstens haben solche einen entfremdeten Geist im Innern und sind selbstsüchtig; und weil das von allen getadelt wird, denen das Wohl der Gläubigen am Herzen liegt und die die Herrlichkeit des Herrn vor Augen haben, nehmen sie es sehr übel, anstatt zusammenzubrechen und sich selbst zu richten, sondern werden noch schlimmer, und dann ist es nicht eine Spaltung im Innern, sondern außerhalb, die sie machen. Das erstere nennt man Schisma, das letztere Häresie. Denn ich stelle es besonders jedem hier vor, der es vielleicht nicht beachtet hat: Häresie bedeutet in der Schrift durchaus nicht schlechte Lehre. Es kann natürlich auch schlechte Lehre dabei sein; aber das ist eher Heterodoxie – fremde Lehre. Für alle Formen des Bösen gibt es eigene Begriffe: Lüge, Betrug, Gotteslästerung und dergleichen. Aber Häresie bedeutet Eigenwille, der sich nicht im Geringsten um die Gemeinschaft der Versammlung kümmert und so sehr auf sein eigenes Ziel fixiert ist, dass er hinausgeht. Das ist es, was man Ketzerei nennt und wovon der Apostel in 1. Korinther 11 sagt: „es seien Spaltungen [Schismen] unter euch ... Denn es müssen auch Parteiungen [Sekten] unter euch sein, damit die Bewährten unter euch offenbar werden“ (V. 18.19).
Aber es gibt kein muss in Bezug auf die Heterodoxie. Die Leute können bei ihrer Heterodoxie bleiben und wollen es auch, aber Ketzerei bedeutet nicht schlechte Lehre, obwohl diese vielleicht damit einhergeht. Es bedeutet, dass Menschen in ihrem Eifer zu heiß werden können, und wenn sie wegen ihres Parteigeistes zurechtgewiesen werden, weigern sie sich, es länger zu ertragen, und gehen dann weg. Sie brechen aus der Gemeinschaft aus und bilden etwas Neues, das nicht die Billigung des Wortes Gottes hat. Das wird in der Schrift als Häresie bezeichnet. Die Lehre mag im Allgemeinen gut genug sein. Es mag streng genommen kein Lästern geben noch Heterodoxie, aber das Herz ist völlig böse und sucht seine eigenen Dinge statt die Dinge Jesu Christi.
In dem Vers, der vor uns steht, bedeutet „Diese sind es, die sich absondern“ also die, die sich innerlich absondern, keineswegs äußerlich. Das geht aus dem ersten Teil dieses Briefes sehr deutlich hervor: „Denn gewisse Menschen haben sich nebeneingeschlichen, die schon längst zu diesem Gericht zuvor aufgezeichnet waren, Gottlose, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen“ (V. 4).
Diese Menschen, die sich nebeneingeschlichen haben, sind dieselben Menschen, von denen Judas die ganze Zeit über spricht. Ohne es zu wissen, hatten sie sich „nebeneingeschlichen“ und waren nicht hinausgegangen. Das ist es, was die wahre Kraft der Worte ausmacht: „Diese sind es, die sich absondern“. Wir können es leicht verstehen, wenn wir uns die Pharisäer vor Augen halten. Die Pharisäer trennten sich nie von Israel, aber schon der Name eines Pharisäers bedeutet ein Abgesonderter. Sie waren Abgesonderte innerhalb Israels. Sie waren Abgeordnete innerhalb der Versammlung, und in beiden Fällen gingen sie nicht hinaus, sondern sie machten eine Partei des Stolzes und der Selbstgerechtigkeit im Inneren. Und wer sind sie? Gottlose Menschen; das waren die Menschen, die stolz auf sich selbst waren und diese bösen Begierden hatten. Sie waren die Personen, die sich anmaßten, überaus treu zu sein. Ich denke, dass man im Allgemeinen feststellen kann, dass es so ist: Menschen, die diesem Wahn verfallen sind, haben immer eine sehr hohe Meinung von sich selbst. Egal wie gewalttätig sie sein mögen, egal wie böse in ihrem Geist, sie behaupten, besonders treu zu sein, und sie sind maßlos in der Verurteilung all derer, die ihnen im Weg stehen. Das ist genau die Klasse, wie sie hier beschrieben wird. „Diese sind es, die sich absondern“. Und was für eine Art von Menschen waren sie? „Natürliche Menschen“. Es ist wichtig, das Wort „natürlich“ gut zu verstehen. Jeder Mensch hat eine Seele, ob bekehrt oder nicht. Wenn wir nun gläubig werden, bekommen wir eine Natur, die wir vorher nicht hatten, nämlich Leben in Christus. Diese Männer, die hier beschrieben werden, hatten nichts als ihre natürliche Seele. Sie hatten kein Leben in Christus, sie waren lediglich „natürliche“ Menschen. „Natürlich“ wird in unserem Sprachgebrauch sehr oft als Bezeichnung für Menschen verwendet, die auf unmoralischen Wegen gehen. Diese Menschen mögen so gewesen sein, aber das ist nicht die Bedeutung des Wortes. Die Bedeutung des Wortes ist, dass sie einfach nur „natürliche“ Menschen waren. Es ist dasselbe Wort, das in 1. Korinther 2,14 mit natürlicher Mensch übersetzt wird und dem geistlichen Menschen gegenübergestellt wird. Deshalb fügt er hier hinzu: „die den Geist nicht haben“.
Den Geist nicht zu haben, bedeutet, das große Vorrecht eines Christen nicht zu haben. Das ist der große Unterschied zwischen einem Gläubigen, der jetzt die Erlösung kennt, und einem alttestamentlichen Gläubigen. Sie warteten auf den Geist in den Tagen des Messias. Obwohl der Messias verworfen wurde, ist der Heilige Geist auf uns ausgegossen worden, aber nicht auf die, die noch auf den Messias warten. Die Juden warten immer noch und haben den Geist nicht.
Diese Männer, obwohl sie ihren Platz in der Versammlung einnahmen, hatten den Geist nicht. Sie waren natürliche Menschen. Deshalb wird uns diese weitere Entwicklung des schrecklichen Übels gegeben, das schon damals hineingekommen war, obwohl die große Menge der Gläubigen, da können wir sicher sein, es sehr wenig verstand, sehr wenig wahrnahm. Deshalb war es von größter Wichtigkeit, dass die Apostel es sahen. Gott gab inspirierte Männer oder jedenfalls inspirierte Belehrung, auf die die Menschen sonst nicht im Geringsten vorbereitet gewesen wären und es als ein sehr boshaftes und schreckliches Bild ohne jeden guten Grund dafür angesehen hätten. Sie hätten gedacht, es würde das Schlimmste aus allem machen, statt das Beste. Aber der Geist Gottes gibt die Wahrheit so, wie sie ist.