Der Hinweis auf den Platz Christi in der Höhe außerhalb der Welt ist sehr schön (vgl. Joh 17,19). So ist sein fester Friede in der Herrlichkeit unser Leitmotiv. Nicht, dass hier gesagt wird, wir säßen dort in Ihm. Im Epheserbrief wird diese Seite der Wahrheit weiterverfolgt und verstärkt. Aber der Kolosserbrief trägt den Gläubigen nie so hoch! Er zeigt Christus dort, aber er setzt uns sozusagen nicht dorthin. Die Auferstehung Christi, oder besser gesagt, unser Auferstehen mit Ihm, wird als Grund für unser Streben nach den höheren Dingen angeführt.
Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist (3,2).
Wer kann geteilte Zuneigungen haben und gleichzeitig treu sein? Wie unser Herr selbst sagte: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24). Der Herr hat es als eine moralische Unmöglichkeit formuliert. Aber hier wird es als eine Ermahnung hingestellt, die sich auf die unermessliche Gnade gründet, die uns mit dem auferstandenen Christus lebendiggemacht hat. Es ist vergebliche Mühe, gleichzeitig mit himmlischen und irdischen Dingen beschäftigt zu sein. Unsere Berufung ist, unsere Gedanken auf die himmlischen Dinge zu richten, und zwar nicht nur ab und zu, sondern zu jeder Zeit. Angenommen, jemand hat eine Firma; soll er sich nicht darum kümmern? Sicherlich, aber er soll es nicht zum Inhalt seines Lebens machen, sondern einfach alles als eine Pflicht gegenüber dem Herrn erledigen. Sollte er es nicht besser machen als ein anderer Mensch, der Christus nicht hat? Ich bin sicher, dass dies die Frucht dessen wäre, den Herrn vor Augen zu haben, während dieselbe Einfalt und derselbe Glaube ihn vor den Fallstricken der Habsucht, wie auch vor eitlem Ruhm bewahren würde.
Ein Christ, der so unterwiesen ist und wandelt, hat einen Gegenstand vor sich, der allein geeignet ist, einen Menschen über sich selbst und die Welt zu erheben. Wenn er so Tag für Tag für den Herrn arbeitet, wird ihn das Bewusstsein der Gnade, in der er steht, natürlich vor Nachlässigkeit, Eigenliebe oder Spekulationen bewahren, die dazu verleiten, sich zu verschulden oder auf andere unehrenhafte Weise zu handeln. Denn so würde er noch unter das Niveau sinken, das in der Welt als anständig gilt. Doch wenn ein Christ nicht mit einem zarten Gewissen vor dem Herrn wandelt, steht er in Gefahr, Schlimmeres zu tun und weiter in die Irre zu gehen als ein gewöhnlicher Mensch. So demütigend und schmerzlich das auch sein mag, es ist nicht überraschend. Das Hauptziel Satans ist darauf ausgerichtet, Christus durch die zu entehren, die sich zu seinem Namen bekennen, und die Kraft des Geistes ist nur bei denen, deren Herz auf Christus gerichtet ist. Es heißt also nicht: Sinnt teils auf das, was droben ist, und teils auf das, was auf der Erde ist, sondern sinnt überhaupt nicht auf die Dinge, die auf der Erde sind.
Was immer der Herr dir zu tun gibt, du kannst es als Dienst für den Herrn ansehen; aber auch hier gilt es, genau hinzusehen und nicht die geistliche Arbeit im Evangelium oder in der Versammlung hintenanzustellen. Es gibt keine Sicherheit außerhalb dessen, der zur Rechten Gottes sitzt. Nehmen wir zum Beispiel das Studium der Heiligen Schrift. Man könnte in die Feinheiten der Sprache, der Prophezeiungen, der Poesie, der Geschichte, der Lehre und dergleichen vertieft sein. Jedes oder alles davon kann zu einer Falle werden. Wo ist Sicherheit für uns, wenn nicht in Christus selbst – Christus, wie Er droben ist?
Darüber hinaus gibt es eine bemerkenswerte Aussage dazu, warum wir unseren Sinn auf die Dinge droben richten sollten:
Denn ihr seid gestorben (3,3a).
Es geht nicht darum, wie die Menschen, sogar die Heiden, zu moralisieren, dass wir sterben müssen, sondern um die grundlegende christliche Wahrheit, dass wir tot sind. Mystiker haben zu aller Zeit gelehrt, dass der Mensch sterben muss. Daher beschäftigt sich die Mystik mit der inneren Erfahrung und menschlicher Anstrengung, bei dem Bestreben, sich selbst zu kreuzigen und nicht: „Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,19.20). „Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und den Begierden“ (Gal 5,24). Was für einen Juden angemessen war, ist für einen Christen noch lange nicht notwendig, es liegt diesseits des Kreuzes; unsere Grundlage ist Christus, der gestorben und auferstanden ist. Die Tatsache, dass eine Sache in der Bibel steht, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass sie Gottes Wille für den Christen ist. Wir müssen versuchen, das Wort der Wahrheit recht zu teilen. Was früher für die Juden richtig war, ist für uns nichts als die Elemente der Welt. Diese Formen wiesen auf eine Wirklichkeit hin, die jetzt gekommen ist; der Körper ist des Christus. Das gesegnete Teil eines Christen ist, dass er selbst für die besten Dinge der Welt tot ist und für die höchsten Dinge in der Gegenwart Gottes lebt; denn Christus ist sein Leben.
Wir sind also dazu aufgerufen, unseren Sinn auf die Dinge zu richten, die mit Christus in der Herrlichkeit übereinstimmen – zuerst Christus selbst, dann das mächtige Erlösungswerk Christi in seinen himmlischen Auswirkungen. Das sind die Dinge, die wir immer vor Augen haben müssen! „Das, was droben ist“ umfasst auch die Hoffnungen, dass wir mit Christus, den wir erkannt haben, verbunden sind, die geistliche Weisheit, die geweckten Zuneigungen, kurz, alle Früchte des Werkes Christi in Bezug auf den Himmel.