Wer glaubt, hat das ewige Leben (vgl. 1Joh 5,13). „Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1Joh 5,12). Ich beweise, dass ich es habe, durch die ganz einfache, sichere und wunderbare Tatsache, dass ich die Stimme des Sohnes Gottes höre. Nur so habe ich das Leben, nur so bin ich sicher, dass ich mit Christus lebendig gemacht und auferweckt worden bin. Merke dir: Was den christlichen Charakter des Lebendigmachens ausmacht, ist es die Vereinigung mit Christus, nachdem Er für unsere Sünden in den Tod gegangen war. Es wird auch gesagt, dass wir in himmlischen Örtern sitzen, weil wir das Leben Christi haben, der dort ist, und es wird von uns gesagt, dass wir in himmlischen Örtern sind, die Er, der unser Leben ist, bereits betreten hat. Die Schrift macht also nicht nur deutlich, dass wir nach Gottes Ratschluss oder Gedanken so sind, wenn sie sagt, dass Er uns auferweckt hat und uns in himmlischen Örtern sitzen lässt. Der Hinweis bezieht sich nicht auf unsere zukünftige Auferstehung, sondern ausdrücklich auf die gegenwärtige Verbindung des Gläubigen durch die Vereinigung mit Christus, der in der Gegenwart Gottes ist. Und in Anspielung auf diesen ersten Teil sagt der Apostel:
Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es (2,8).
Das ist die Quelle allen Segens. Daher ist der Ausdruck sehr stark. Denn die Form des Wortes deutet an, dass die Errettung vollständig war, und dass sie sich jetzt ihres gegenwärtigen Ergebnisses erfreuten. Die Erlösung wird in der Schrift nicht immer so behandelt. Es gibt ganze Briefe, in denen nie auf diese Weise davon gesprochen wird. So wird besonders im Philipperbrief die Erlösung als etwas Zukünftiges betrachtet – als nicht vollendet, bis wir Christus in der Herrlichkeit sehen. Die Erlösung ist dort ein ernster, aber nicht kritischer Prozess, der jetzt abläuft, denn es ist klar, dass wir nicht mit Christus in der Herrlichkeit sind, sondern in unserem natürlichen Körper. Und dementsprechend wird Christus darin als Erlöser gesehen, nicht nur, weil Er gestorben und auferstanden ist, sondern weil Er zu meiner völligen Befreiung und Freude wiederkommen wird. Das erklärt die Bedeutung des Textes, der einige so sehr verwirrt hat: „bewirkt euer eigenes Heil mit Furcht und Zittern“ (Phil 2,12); denn in dem dort gemeinten Sinn werden wir das Heil erst bekommen, wenn wir mit Christus verherrlicht sind. Bis dahin bewirken wir es mit Furcht und Zittern und denken daran, dass Satan uns hasst, weil wir mit Christus in Herrlichkeit sein werden. Wir werden als Menschen in dieser Welt betrachtet, die wissen, dass es nicht den geringsten Zweifel daran gibt, dass wir den Preis bekommen werden, aber wir müssen darum kämpfen und laufen, obwohl wir die Gewissheit festhalten sollen, dass wir ihn bekommen werden, wenn wir Christus aus der Höhe für uns kommen sehen.
Doch wenn wir die Sprache des Epheserbriefes aufgreifen, ist alles anders. Dort wird die Errettung als eine absolut vergangene Sache betrachtet: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet“ – nicht nur, dass das Heil bewirkt wird und nach und nach vollendet werden wird. Wir sind vielmehr errettet und können in Christus nicht mehr sein, als wir sind. Wohingegen Paulus selbst nach dem Philipperbrief seine Errettung noch nicht hatte: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei“ (Phil 3,12). Die Vollkommenheit, von der dort gesprochen wird, bezieht sich ganz und gar auf die Zeit, in der wir in das herrliche Ebenbild Christi verwandelt werden. Dann, und nicht vorher, werden wir errettet sein. Wenn wir denselben Sinn der Errettung auf beide Briefe anwenden, machen wir die Lehre widersprüchlich. Nimm wiederum den Hebräerbrief. Auch dort wird die Errettung immer als etwas Zukünftiges vorgestellt. So heißt es: „Daher vermag er diejenigen auch völlig zu erretten, die durch ihn Gott nahen“ (Heb 7,25). Das Volk Gottes ist gemeint, nicht die Unbekehrten, die durch Christus zu Gott kommen. Für wen ist der Herr Jesus ein Priester? Nur für die Gläubigen. Im Hebräerbrief muss daher der Gläubige errettet werden; denn die Errettung bezieht sich dort auf alle Schwierigkeiten unserer Reise durch die Wüste. Die ganze Lehre beruht auf dem Vorbild, dass wir jetzt, wie das alte Israel, durch die Wüste gehen und noch nicht in Kanaan eingezogen sind; wohingegen die charakteristische Lehre des Epheserbriefs ist, dass Christus in Kanaan eingezogen ist und dass wir dort in Ihm sind. Wenn wir uns mit einem Teil des Wortes Gottes beschäftigen und nicht mit dem Ganzen, wenn wir eine Wahrheit überhöht sehen und nicht die Wahrheit im Allgemeinen, kommen wir zu verwirrten und fehlerhaften Ansichten, die zu falscher Praxis führen.
Der Grund für diese Unterschiede ist höchst interessant. Wir haben in jedem Brief genau das, was zu dessen eigenem Charakter passt. Im Epheserbrief geht es nicht um die Offenbarung Christi als dem, der für uns bei Gott Fürsprache einlegt: Das finden wir im Hebräerbrief. Warum ist Er ein Priester? Damit Er sich der Unwissenden erbarmt und derer, die vom Weg abgekommen sind. Genau das ist unsere Gefahr, wenn wir hier auf der Erde unterwegs sind: Wir sind unwissend und immer der Versuchung ausgesetzt, durch ein böses Herz des Unglaubens abzugleiten. Deshalb brauchen wir den Hebräerbrief. Die Lehre des Epheserbriefs allein würde nicht ausreichen, um mir in meiner Schwachheit, meinen Schwierigkeiten und Sorgen zur Hilfe zu kommen. Angenommen, ich hätte mich verirrt, was gibt es im Epheserbrief, das mich zurückruft und tröstet? Dort lese ich, „dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe“ (Eph 1,4). Nein, aber ich bin in die Irre gegangen, und ich kann dort keine Erleichterung für meine Qualen finden. Ich kann versuchen, mein Herz auf die Auserwählung Gottes und den hohen Ratschluss zu stützen, aber wenn ich ein zartes Gewissen habe, werden diese allein mich noch elender machen. Wenn Gott mich wirklich so sehr geliebt hat, wie kommt es dann (wird das Herz denken), dass ich Ihn so entehren konnte? Im Hebräerbrief finde ich überhaupt nichts über mein Sitzen in den himmlischen Örtern, sondern Christus zur Rechten Gottes, der für mich eintritt, nachdem Er durch sich selbst die Reinigung von meinen Sünden bewirkt hat (Heb 1,3). Das erste Kapitel beginnt gerade mit der herrlichen Wahrheit, dass Christus seinen Platz in der Höhe erst dann einnahm, als Er dorthin gehen konnte, weil Er unsere Sünden vollständig ausgelöscht hatte, und zwar „durch sich selbst“, das heißt unter Ausschluss aller anderen Hilfe. Es war seine eigene Aufgabe, und Er hat sie vollbracht, und Er würde nicht einmal in der Ihm vertrauten Herrlichkeit ruhen, außer unter dieser Voraussetzung. Dadurch haben wir ein sehr sicheres Fundament. Aber obwohl wir die Reinigung von den Sünden durch Christus haben, befinden wir uns an einem Ort der Versuchung, wo wir durch Unwissenheit und Schwachheit und tausend Dinge, die auftauchen können, in ständiger Gefahr sind, uns abzuwenden und abzugleiten. Was soll dann aus uns werden? Was soll uns stützen und aufrechthalten? Gott offenbart den wunderbaren Priester, der sich um die Seinen kümmert und der das volle Vertrauen Gottes, des Vaters, hat, der Ihm die vollste Genugtuung gegeben hat und der zur Rechten Gottes sitzt und sich dort unaufhörlich mit unserer Not beschäftigt, weil wir zu Gott gehören und schon erlöst sind und kein Gewissen von Sünden mehr haben (Heb 10,2). Wir können vielleicht kaum begreifen, wie es sein kann, dass Menschen, die von Gott so gesegnet sind, so schwach und erbärmlich sein könnten; dass sie so wenig dem ähnlich sind, der uns auf seine Kosten den Segen erkauft und gesichert hat. Aber der Glaube empfängt alles von Gott und bittet Ihn, dass Er inmitten unserer Schwachheit und Gefahren unsere Stärke und unser Trost sein möge. Seine Antwort ist, dass Christus da ist, um für unsere Sache einzutreten, so sicher wie der Geist da ist, um uns das bewusst zu machen. Durch die Fürsprache Christi zur Rechten Gottes werden wir dazu gebracht, dass wir uns unserer Not und unseres Versagen bewusst sind. Denn wir urteilen nie, ohne durch dieses Urteil moralischen Segen zu erhalten. Alle Macht Christi, die auf uns ruht, steht im Verhältnis zu der Tiefe der moralischen Einschätzung, die der Geist Gottes als Antwort auf die Fürbitte Christi in uns hervorbringt; und es ist ein Teil der Fürbitte Christi für uns, dass uns bewusst wird, wenn wir in Geist und Tat in die Irre gegangen sind. Im Hebräerbrief kann von der Errettung nicht als von einer vergangenen Sache gesprochen werden. Wir wissen, dass wir völlig gerettet werden sollen und dass Christus dafür kommen wird. Aber obwohl es den Menschen bestimmt ist, zu sterben, ist es für die Gläubigen nicht unbedingt so. Wir wissen, dass sie vielleicht nie entschlafen werden, wie sie auch mit Sicherheit niemals gerichtet werden, obwohl alles, was sie getan haben, sicher vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden wird. Aber Er ist für sie gestorben, und deshalb gibt es keine Notwendigkeit, dass sie sterben. Und Er hat das Gericht getragen, wie kein anderer es konnte, und wir haben sein eigenes Wort dafür, dass wir jedenfalls niemals ins Gericht kommen werden. „Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht“ (Joh 5,24). Die Konsequenz ist, dass wir, obwohl wir auf sein Kommen warten, wissen, dass Er, wenn Er zum zweiten Mal erscheint, ohne Sünde zur Errettung kommen wird (Heb 9,28). Er hat die Sünde durch das Opfer seiner selbst so vollkommen weggetan, dass, wenn Er so zum zweiten Mal von denen gesehen wird, die Ihn erwarten, es „ohne Sünde“ sein wird (getrennt von jeder Frage der Sünde, soweit es sie betrifft), „zur Errettung“ und nicht zum Gericht. Errettung und Gericht sind die beiden Dinge, die am meisten im Gegensatz zueinander stehen. Man kann nicht Gericht und Errettung an ein und demselben Menschen ausüben. Im Hebräerbrief ist also die Errettung mit dem zweiten Erscheinen unseres Herrn verbunden.
Im Epheserbrief hingegen sind wir bereits errettet, und dort wird nicht auf die Wiederkunft Christi hingewiesen, wenn Er sein Volk aufnimmt. In den Briefen, in denen von der Errettung gesagt wird, dass sie nach und nach vollendet wird, da wird Christus als der vorgestellt, der kommt, um sie zu vollenden. Im Philipperbrief heißt es: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen“ (3,20.21). Dort haben wir unseren Herrn, der diesen Leib der Niedrigkeit zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit umgestalten und sich damit als der Erlöser erweisen wird; denn es ist keine teilweise Befreiung, sondern eine vollständige Erlösung für den ganzen Menschen. Aber im Epheserbrief, wo das Kommen unseres Herrn nie erwähnt wird, hängt das damit zusammen, dass die Erlösung bereits als eine vollendete Tatsache gesehen wird, die wir jetzt genießen. Dies ist eine Art, die Errettung zu betrachten, die in der Schrift selten ist. Sie wird im Allgemeinen als etwas betrachtet, das noch zukünftig ist. Die Menschen verwechseln die Erlösung mit der Rechtfertigung oder der Versöhnung mit Gott; aber im Römerbrief wird die offensichtliche Unterscheidung gemacht: „Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden“ (Röm 5,10). Wir haben also die Versöhnung, aber nicht die Errettung, in dem Sinn, von dem dort die Rede ist: Wir werden gerettet werden. Er lebt für uns, und deshalb werden wir gerettet. Die Errettung geht weiter. Und wenn Christus in Herrlichkeit wiederkommt, wird die Errettung vollständig sein. Daher haben wir in Römer 13 die Lehre wieder angewandt: „denn jetzt ist unsere Errettung näher als damals, als wir gläubig wurden“ (V. 11). Wir haben sie noch nicht bekommen, doch sie kommt immer näher. Wir werden sie nach und nach völlig haben. Bevor wir glaubten, waren wir Feinde und verloren; dann, als wir glaubten, wurden wir mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes. Jetzt lebt Er für uns; und bald wird Er für uns wiederkommen, und dann wird alles vollkommen sein.
Nimm nun den Korintherbrief, und du wirst dort die gleiche Lehre finden. Die Erlösung wird dort nicht als vollendet betrachtet. Daher sagt der Apostel, dass er seinen Leib zerschlägt und ihn in Knechtschaft führt (1Kor 9,27). Er will nicht zulassen, dass irgendeine böse Begierde die Herrschaft über ihn gewinnt. Er predigte der ganzen Welt, doch wenn das Böse die Oberhand über ihn hätte, wie sollte er selbst gerettet werden? Er drückt es auf die stärkste Art und Weise in Bezug auf sich selbst aus. Er zeigt, dass das Predigen (von dem einige anscheinend mehr hielten als von Christus) nichts damit zu tun hat, dass ein Mensch gerettet wird, sondern das Leben in Christus; denn die Gnade Christi zeigt sich in der heiligen Unterwerfung unter Gott und im Selbstgericht wegen des Bösen. Das sind die untrennbaren Folgen davon, dass Leben in Christus durch die Kraft des Heiligen Geistes im Gläubigen vorhanden ist. „Ich zerschlage meinen Leib“, sagt er, „und führe ihn in Knechtschaft, damit ich nicht etwa, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verwerflich werde“ (1Kor 9,27). Dieses letzte Wort nehme ich in der stärksten, und in der Tat, der einzigen biblischen Bedeutung – abgeleitet von „verworfen“. Ein Verworfener bedeutet im Neuen Testament nicht nur, dass ein Mensch etwas verlieren würde, sondern dass er seine eigene Seele und Christus verlieren würde. Es gibt keine Stellen in den Briefen, an denen das Wort in einem abgewandelten Sinn verwendet wird: Es bedeutet immer „für immer verloren“; und es ist weder Glaube noch Einsicht, die Aussagekraft zu verändern. Es war nicht so, dass Paulus Angst hatte, verlorenzugehen; aber er bezieht diesen Fall auf sich selbst, um ihn zu unterstreichen, indem er davon spricht, dass er Christus und die Heiligkeit verleugnen könnte. Was ist die Folge? Er hätte ein solcher Prediger gewesen und doch ein Verworfener sein können; aber kein Mensch, der je wiedergeboren war, kann ein Verworfener sein; und so sagt er nicht: Wenn ich auch aus Gott geboren wäre, könnte ich ein Verworfener sein. So etwas konnte und durfte nicht angenommen werden. Aber er veranschaulicht sehr mit großem Nachdruck, was leider viel zu häufig vorkommt, dass ein Mensch anderen predigt und selbst ein Verworfener ist. Wir wissen, dass einer der Apostel predigte und Wunder wirkte; aber der Herr kannte ihn nicht.
Das wird zeigen, wie wichtig es ist, der Erlösung in jeder Hinsicht, in der die Heilige Schrift sie betrachtet, Raum zu geben. Im größten Teil der Schrift wird sie nicht wie im Brief an die Epheser gesehen, sondern so, wie ich es im Römerbrief und so weiter beschrieben habe. Wenn der Apostel von der Erlösung in diesem Sinn spricht, ist nicht die Rede vom Abfallen; aber Tatsache ist, dass das ganze Ergebnis des Segens – die ganze Fülle der Befreiung – noch nicht unser Teil ist. Und wer kann sagen, dass es so ist? Hier leiden wir noch; dann werden wir ganz dem Schauplatz der Versuchung enthoben sein. Im Epheserbrief, wo es um den Charakter unseres Lebens geht, sagt er, es ist völlig außerhalb aller Gefahr, aller Versuchung und all dessen. „Denn durch die Gnade seid ihr errettet“ (V. 8). Damit meint er, dass wir errettet wurden und werden, das heißt, wir haben den gegenwärtigen Genuss dessen, was bereits vergangen und vor Gott vollendet ist. Es ist eine vollendete Tatsache, weil es in Christus ist, und alles wird hier als in Christus seiend betrachtet, wie zum Beispiel unser Friede. Daher wird Er weiter unten „unser Friede“ genannt. Und auch das Heil wird daher so wahrhaftig als in Christus seiend angesehen, dass, da der Heiland in der Höhe sitzt, gesagt wird, wir seien (nicht im Prozess des Heils, sondern) völlig gerettet, so dass wir in dieser Hinsicht nichts mehr brauchen. In völliger Übereinstimmung damit wird hinzugefügt: und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus. Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es (2,6–8).
Was ist deutlicher als die Vollkommenheit der Errettung? Wie offenkundig ist der Charakter der Verbindung mit Christus, der völlig jenseits aller menschlichen Vorstellung ist! Es ist leicht vorstellbar, dass eine solche Glückseligkeit einmal kommen würde; aber das Wunderbare ist, dass dies jetzt von armen, schwachen Christen in der Welt gesagt werden kann. Wenn wir uns viel mit menschlichen Dingen beschäftigen, werden sie billig und gewöhnlich, und wir hören auf, uns zu wundern; aber bei diesem herrlichen Werk Gottes in seinem geliebten Sohn ist es ganz anders: Je mehr wir daran denken, desto mehr stehen wir staunend davor. Beachte auch, dass es genau diesem Zweck dient, „damit er in den kommenden Zeitaltern den überragenden Reichtum seiner Gnade in Güte an uns erwiese in Christus Jesus“ (V. 7). Das heißt, es ist nicht nur Gott, der auf uns schaut und uns gibt, was wir brauchen, sondern Gott handelt zur Freude seiner eigenen Zuneigung durch seinen Sohn. Gott sagt sozusagen: Ich will zeigen, was ich bin, nicht nur das geben, was ihr wünscht. Es ist also Gott, der sich zur Höhe seiner eigenen Güte erhebt und von da aus handelt, was Er ist, völlig unabhängig davon, was wir sind, außer dass wir für Gott zum Anlass werden, seine unvergleichliche Liebe zu zeigen; und das nicht nur jetzt, sondern „in den kommenden Zeitaltern“, oder, wie ich annehme, für unbegrenzte Zeit.
Und das ist noch nicht alles. Es gibt einen neuen Schutz gegen gewisse Missverständnisse, indem der Ausdruck, „denn durch die Gnade seid ihr errettet“ aufgegriffen oder wiederholt wird, mit dem Zusatz „mittels des Glaubens“, eine starke Bestätigung dessen, was bereits gesagt wurde. Wir werden nicht durch den auserwählten Vorsatz Gottes gerettet, so wahr und erhaben er auch ist, sondern durch den Glauben in unseren Herzen, durch jene göttliche Überzeugung, die der Heilige Geist in dem Herzen eines einst ungläubigen Menschen wirkt. „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“ (V. 8). Es ist nicht so, dass Gott einen Menschen ohne das Wirken seines Herzens und seines Gewissens in die Beziehung eines Kindes einführt. Der Heilige Geist gibt einem solchen Menschen das Empfinden, seinen eigenen Zustand vor Gott zu sehen und doch zu wissen, wie Gott zu ihm in Christus steht. Eine kalte, pergamentartige, mechanische Erlösung gibt es nicht, ebenso wenig wie eine solche Veränderung der alten Natur ein Grund zur Hoffnung auf Gott sein könnte. Aber wenn man dem menschlichen Gefühl nicht trauen kann, dann auch nicht einer noch so orthodoxen Anerkennung der Anordnungen Gottes. Wenn Gott in und von seinem Sohn spricht, so ist das eine wirkliche Sache, und der, der es hört, muss sich des Ernstes bewusst sein. Er ist nicht mehr unwillig und gleichgültig gegenüber Christus. Er kann die Sünde empfinden und sich selbst hassen, wie er es nie getan hat, nur weil er unter der Hand Gottes und unter der Lehre Gottes steht. So ist gerade das, was du als Beweis dafür anführst, dass du nicht zu Gott gehörst, eher ein Beweis dafür, dass du es bist. Wenn du für Gott tot wärest, würdest du dann empfinden, was Ihn betrübt? Erst wenn Christus in der Seele zu dämmern beginnt, fängst du an zu erkennen, dass du in allem, was dunkel und abscheulich ist, gelegen hast, auch wenn ein Hoffnungsschimmer durch die Wolken brechen mag. Du wirst dir ernsthaft böser Dinge bewusst, für die du vorher unempfindlich warst. Dies ist eine Auswirkung des mächtigen und gnädigen Wirkens Gottes; aber es gibt kein Leben ohne Glauben oder ohne Bewusstsein. Es wird immer etwas geben, das neue Gedanken und Empfindungen über Gott weckt, eine Furcht und ein Verlangen nach Gott, einen Schrecken vor der Sünde und einen Hass auf sich selbst. Alle diese Dinge und mehr werden den Geist dessen durchdringen, der aus Gott geboren ist, und das, was all diese Empfindungen durch den Geist Gottes hervorbringt, ist Christus – nichts anderes. Sonst besucht ein Mensch vergeblich eine Kirche oder Kapelle – er geht zum besten oder zum schlechtesten Zeugnis; aber er ist dort nach diesem Prinzip – er denkt, es sei seine Pflicht, vielleicht jeden Tag hinzugehen – es ist die Vorstellung eines religiösen Dienstes, den er meint, Gott zu leisten, und dass, wenn er es fleißig tut, Gott sich an seinem Totenbett und am Tag des Gerichts an ihn erinnern wird. Das ist ein Teil der Pflicht, die der Mensch in der Hoffnung erfüllt, der Hölle zu entgehen. Aber all das beruht darauf, dass der Mensch sich selbst Gott eine Art Verpflichtung auferlegt. Der Mensch tut etwas, von dem er denkt, dass Gott ihm Barmherzigkeit erweisen werde. Was kann beides, Sünde und Gottes Gnade, schamloser verleugnen?
Nun, es heißt „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“ (V. 8). Und die Bedeutung von „durch die Gnade errettet“ ist, was Gott mir gegenüber in seinem Sohn ist, ohne eine einzige Sache in mir, die dies verdiente. Bist du bereit, im Blick auf deine Errettung allein auf Gott zu vertrauen, dass Er sie in seinem geliebten Sohn gewirkt hat? Das ist Glaube. „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“. Wenn ich nur das Geringste von mir dazutue, ist es eigentlich weder Gnade noch Glaube; denn der Glaube verzichtet auf das Ich für Christus, und die Gnade ist die reine Gunst Gottes zu mir, einem Sünder auf dem Kreuz. Wenn ich auf Christus höre, dann fängt das Wort Gottes an, sich mit allem in mir zu befassen, was selbstsüchtig und im Gegensatz zu Gott ist, und ich darf nicht versuchen, das Wort Gottes zu verändern oder meinen eigenen Gedanken anzupassen und so für eine kleine Nachsicht des Fleisches zu sorgen.
Ich behaupte daher, dass das Heil, von dem im Epheserbrief die Rede ist, für den, der glaubt, bereits vollständig ist; so absolut, dass niemand etwas hinzufügen kann, denn das hieße, Christus und dem, was Er getan hat, etwas hinzuzufügen. Und das darf nicht sein, kann nicht sein, denn es ist alles die freie, unverdiente, unvermischte Barmherzigkeit Gottes. Und das ist der entscheidende Punkt für einen Menschen. Bin ich in der Lage, ohne zu fragen, was ich bin oder was ich zu sein hoffe oder was ich für Gott tun sollte, Ihm jetzt zu vertrauen? Kann ich alles, was ich war und bin, auf Christus ruhen lassen, ohne irgendwelche Versprechen oder Gelübde meinerseits – ohne irgendeine Hoffnung oder einen Gedanken daran, was ich tun könnte, weil Gott mich in einem Augenblick wegnehmen könnte? Verlasse ich mich ganz und gar auf Ihn? Denk an den Fall des sterbenden Schächers, der ein lebendiges und bemerkenswertes Zeugnis der Errettung durch Gnade durch alle Zeitalter ist. Andere mögen danach noch ein Werk zu tun haben; aber hier haben wir jemanden, der in den letzten Stunden seines Lebens durch die Gnade gerettet wurde. Und es gibt keinen anderen Weg. Hätte er danach noch tausend Jahre gelebt, er wäre keinen Deut sicherer durch die Gnade gewesen, als er es damals war. Es ist von großer Bedeutung, unser Inneres von Zeit zu Zeit auf den Prüfstein zu bringen – ob wir allein auf der Gnade Gottes uns gegenüber ruhen, nicht auf dem, was die Menschen Gnade in uns nennen, das heißt unsere Treue Ihm gegenüber. Denn dies ist eine gängige Vorstellung von Gnade. Sie meinen eine große Veränderung, die im Herzen in Bezug auf Gott stattgefunden hat. Das aber ist nicht das, was Gott Gnade nennt, sondern das, was Er unentgeltlich in dem Werk gegeben hat, das Christus für die Sünde getan hat. „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“.