Behandelter Abschnitt Apg 7,20-29
Aber nun behandelt Stephanus Mose sehr ausführlich, wie zuvor Joseph in
aller Kürze. So brachte er ihnen neben dem allgemeinen Zeugnis der
Wahrheit für ihr Gewissen noch ein weiteres und besonders
hervorstechendes persönliches Vorbild des Messias vor Augen:
In dieser Zeit wurde Mose geboren, und er war schön für Gott; und er wurde drei Monate im Haus des Vaters aufgezogen. Als er aber ausgesetzt worden war, nahm ihn die Tochter des Pharaos zu sich und zog ihn auf, sich zum Sohn. Und Mose wurde unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter; er war aber mächtig in seinen Worten und Werken. Als er aber ein Alter von vierzig Jahren erreicht hatte, kam es in seinem Herzen auf, sich nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, umzusehen. Und als er einen Unrecht leiden sah, verteidigte er ihn und rächte den Unterdrückten, indem er den Ägypter erschlug. Er meinte aber, seine Brüder würden verstehen, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung gebe; sie aber verstanden es nicht. Und am folgenden Tag zeigte er sich ihnen, als sie sich stritten, und drängte sie zum Frieden, indem er sagte: Männer, ihr seid Brüder, warum tut ihr einander unrecht? Der aber dem Nächsten unrecht tat, stieß ihn weg und sprach: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt? Willst du mich etwa umbringen, wie du gestern den Ägypter umgebracht hast?“ Mose aber floh bei diesem Wort und wurde ein Fremder im Land Midian, wo er zwei Söhne zeugte (7,20–29).
Der Feind hatte ein geeignetes Werkzeug vorbereitet, einen anderen König über Ägypten, der Joseph nicht kannte. Das Leiden wurde zum Teil Israels und ein tödlicher Schlag wurde auf die Verheißung in der Person ihrer Säuglinge gerichtet. Denn der Befehl des Königs lautete, sie zu töten, damit sie nicht am Leben blieben. In jenem kritischen Augenblick wurde Mose geboren, gottesfürchtig, mit einer großartigen Laufbahn vor sich, wie dunkel ihre Anfänge auch sein mochten. Auch er kam unter das Todesurteil und wurde, nachdem er drei Monate im Haus seines Vaters aufgezogen worden war, wie die anderen verstoßen. Aber wir haben die höchste Autorität für die Behauptung, dass es „durch den Glauben“ war, ungeachtet der natürlichen Zuneigung seiner Eltern, dass er von ihnen diese drei Monate verborgen wurde. „Und sie fürchteten das Gebot des Königs nicht“ (Heb 11,23). Gott griff für ihn vorsehend ein; und die Unwahrscheinlichste von allen in Ägypten, die Tochter des Pharao, nahm ihn auf und erzog ihn wie ihren eigenen Sohn. Es war ganz offensichtlich ein Eingreifen Gottes.
Aber die göttliche Vorsehung ist kein Führer für den Glauben, sondern nur das Wort. Die Vorsehung hat ihn hineingeführt, der Glaube hat ihn herausgeführt. „Durch Glauben weigerte sich Mose, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter des Pharaos zu heißen, und wählte lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als den zeitlichen Genuss der Sünde zu haben, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung“ (Heb 11,24-26).
Niemand kann leugnen, dass Mose in der Lage war, die Situation richtig einzuschätzen. Er war in aller Weisheit der Ägypter unterrichtet, und er war mächtig in seinen Worten und Werken. Er schaute jedoch nicht auf die Dinge, die man sieht, sondern auf die Dinge, die man nicht sieht. Sein Auge war auf das Reich Gottes gerichtet, er erwartete den Messias, er wusste, dass die Absichten Gottes, wie sie sich in Christus zentrieren, Israel als ihren inneren Kreis auf der Erde hatten. Seine Zuneigung galt daher nicht dem ägyptischen Hof und auch nicht den glänzendsten Aussichten, die er einem Mann seiner Fähigkeiten eröffnen konnte. Er liebt das arme, erniedrigte Israel, und er liebte es nicht so sehr, weil es sein Volk war, sondern als das Volk Gottes, das jedoch für Christus abgesondert war, dessen Schmach inzwischen ihre Erniedrigung war.
Als Mose also etwa vierzig Jahre alt war, kam es in seinem Herzen auf, seine Brüder, die Söhne Israels, zu besuchen. Leider waren sie gefallen, nicht nur in ihren Verhältnissen, sondern auch in ihrem Inneren. Der Glaube ließ nur wenige von ihnen einen Erlöser erwarten oder solche schätzen, die an Gott glaubten. Unter solchen Umständen ist der schlimmste moralische Zustand anzutreffen. Ein ungläubiger Israelit sinkt unter einen Ägypter herab; und Mose muss dies lernen, wie Joseph es zuvor gelernt hatte; wie jemand, der unendlich größer ist als Joseph oder Mose, es sogar vor dem Tod am Kreuz bewies. „Und als er einen Unrecht leiden sah, verteidigte er ihn und rächte den Unterdrückten, indem er den Ägypter erschlug. Er meinte aber, seine Brüder würden verstehen, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung gebe; sie aber verstanden es nicht“ (V. 24.25). Sie waren finster und tot vor Gott. Die Härte des Menschen spürten sie. Die Hoffnung, die Gott Israel gegeben hatte, war fast aus ihren Seelen verschwunden. Es gab gewiss keine Erwartung einer nahen Erlösung; und doch hätten sie sie erwarten sollen. Die vierte Generation lebte nun, in der sie nach dem Wort des Herrn das so lange bedrängte Ägypten verlassen und wieder in das verheißene Land kommen sollten (1Mo 15,13-16).
Aber Gott war nicht in ihren Gedanken, und Mose wurde missverstanden. Nein, schlimmer noch: „Und am folgenden Tag zeigte er sich ihnen, als sie sich stritten, und drängte sie zum Frieden, indem er sagte: Männer, ihr seid Brüder, warum tut ihr einander unrecht? Der aber dem Nächsten unrecht tat, stieß ihn weg und sprach: „Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt? Willst du mich etwa umbringen, wie du gestern den Ägypter umgebracht hast?“ (V. 26–28). Die schärfste Wunde, wie der niederträchtigste Schlag, kommt vom Volk Gottes: Wenn der Mensch darin herrscht und nicht Gott, wirkt der Satan darunter und in seiner schlimmsten Form.
Und doch war das alles eine nützliche Erziehung für Mose wie wir lesen: „Mose aber floh bei diesem Wort und wurde ein Fremder im Land Midian, wo er zwei Söhne zeugte“ (V. 29). Er musste von Gott allein in der Wüste lernen. Die Weisheit Ägyptens musste er sozusagen verlernen: Gott gebraucht sie nicht für seine Errettungen. Die Weisheit, die er benutzt, muss von oben herab kommen. Wir werden sehen, wie Gott wirkte, als der richtige Augenblick gekommen war. Inzwischen ist Mose der Verworfene Israels, wie zuvor Joseph von seinen Brüdern. Nur wie Joseph uns die Erhöhung über die Heiden zeigt, wenn er von seinen Brüdern getrennt wird, so gibt uns Mose, in einer anderen Richtung, die Schwierigkeiten durch die beleidigte Macht und den Zorn der Heiden.
Doch während dieses erzwungenen Exils Israels bekommt Mose eine Familie. So heißt es von dem Sohn der Jungfrau, Emmanuel, in Jesaja 8,5-18. Auch dort ist Israel ungläubig; auch dort ist ein feindliches Bündnis der Nationen; aber: „Siehe, ich und die Kinder, die der Herr mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern in Israel vor dem Herrn der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt.“Der Glaube wartet auf dem Herrn, der sein Angesicht vor dem Haus Jakob verbirgt, und er sucht Ihn. In der schlimmsten Zeit ist Er für sie ein Heiligtum, im richtigen Augenblick wirkt Er eine nicht zu übersehende Befreiung. Wie feierlich traf dies alles auf die tatsächlichen Verhältnisse der Juden zu! Sie verstanden nicht, dass Jesus ihr Erlöser war. Sie fingen allmählich an, seine Worte zu hassen, weil seine Worte sie im Geheimen richteten und seine Gleichnisse den sicheren Untergang für ihren Stolz und Unglauben voraussagten. Daher verstießen sie Ihn sogar bis zum Tod, aber Gott hat Ihn auferweckt und offenbart nun die Kinder, die Er Ihm gegeben hat, noch nur aus Israel, aber bald auch aus den Heiden. Die Stunde der Verwerfung des Messias ist nur der Anlass für eine höhere Herrlichkeit und eine innigere Beziehung zu denen, die inzwischen glauben, so wie der Fremde im Land Midian zum Vater zweier Söhne wird, die er nicht hatte, als er in Ägypten bei den Söhnen Israels war.
Hatte Stephanus diese bemerkenswerten Tatsachen und noch bemerkenswertere Vorahnungen erfunden? Kein Jude, wie voreingenommen er auch sein mochte, konnte leugnen, dass sie der kurze, wahre und helle Widerschein des Wort Gottes in ihren eigenen Händen waren. Die unleugbare Wahrheit, die vom Heiligen Geist inspiriert war, leuchtete feierlich auf das, was sie dem angetan hatten, den Gott ihnen durch Taten der Macht und Wunder und Zeichen bezeugt hatte, die Gott durch Ihn in ihrer Mitte gewirkt hatte, wie sie selbst nur zu gut wussten. So ist der Mensch auf der einen Seite, und so ist Gott auf der anderen Seite: Es ist so überraschend, dass Er den Unglauben und den Unwillen aller hervorruft, die sich seiner Offenbarung nicht beugen, sowie die bittere Überzeugung ihrer eigenen Bosheit. Für den Gläubigen ist es die alte, aber immer neue Lektion, den ersten Menschen und den zweiten kennenzulernen: Wo dies gelernt ist, sucht das Herz und gesteht, dass es nicht anders sein kann, dass der Mensch ist, was er ist, wie auch Gott das ist, was Er ist, denn Er kann sich selbst nicht verleugnen, obwohl der Mensch in seiner Blindheit ständig sowohl sich selbst als auch Gott verleugnet.
Aber die Korrektur kommt, wenn Christus durch den Heiligen Geist im Evangelium dem Menschen nahegebracht wird: Jemand tut Buße und glaubt. So jemand liest sein eigenes Böses in dem, was der Mensch getan hat und ist: Alles, was an Ungerechtigkeit in einem Juden oder einem Heiden ist, ist nicht übermäßig verwunderlich, er kann eine Übereinstimmung mit dem Pharao oder mit Israel in seiner eigenen Brust finden, wenn nicht in seinem eigenen Leben, oder in beiden. Aber größere Gnade, gewiss, als je Joseph oder Mose gezeigt hat, erkennt er im Sohn Gottes, der vom Himmel herabkam, nicht um seinen eigenen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der Ihn gesandt hat – in dem Sohn des Menschen, der nicht kam, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben. So macht der Glaube alles Vergangene oder Zukünftige zur Gegenwart; wie der Unglaube eines Menschen allen Segen von allen Seiten verliert und eher sich selbst vernichten wird, als Gott und seinem Sohn wirklich Ehre zu geben.
So war Mose viele Jahre lang ein Ausgestoßener, nicht mehr des erzürnten Königs von Ägypten, sondern von seinen eigenen unwürdigen Brüdern, die ihn umso weniger liebten, je mehr er sie liebte, und die so wenig an die verheißenen Befreiung dachten wie den, der alles um ihretwillen verwirkt hatte. Israel verleugnete ihn, der zu jener Zeit das Vorbild des Heiligen und Gerechten war. Das war keine neue Sache.