Behandelter Abschnitt Joh 14,5-8
Thomas spricht zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich. Wenn ihr mich erkannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater erkannt haben; und von jetzt an erkennt ihr ihn und habt ihn gesehen. Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns (14,5–8).
Nein, die Gedanken des Thomas beschränkten den Herrn auf jenen irdischen Horizont, der die Grenze seiner eigenen Hoffnungen auf die Schar Israels um ihren Messias bildete. Er konnte sich ebenso wenig wie die anderen vorstellen, wohin sich der Herr zurückzog, jetzt, da Er zu dem Volk und dem Land gekommen war, von dem er wusste, dass Er versprochen hatte, es reichlich und für immer zu segnen. Wie sollte er den Weg erkennen? Sein Verständnis war noch irdisch. Wie er keinen Gedanken an den Himmel für den Herrn Jesus hatte, so sah er auch den Weg nicht. Das aber bot dem Herrn die Gelegenheit, in ebenso einfachen wie tiefgründigen Worten zu verkünden: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (V. 6). Vieles, was darin zum Ausdruck kommt, hätte man aus Zeugnissen über Ihn entnehmen können, das meiste aus seinen eigenen früheren Reden, wie sie in diesem Evangelium gegeben werden, aber nirgends wurde so viel mit einem so kurzen Ausdruck vorgestellt wie hier. Es war seiner würdig, und vor allem in diesem Augenblick.
Ein Weg ist eine große Wohltat, besonders durch eine Wüste, die eben keinen Weg hat. Auch Eden, die nicht gefallene Schöpfung, hatte keinen Weg; doch sie brauchte auch keinen. Denn alles war überall gut, und solange der Mensch nicht von dem verbotenen Baum aß, gab es kein Verirren. Alles andere konnte er genießen, indem er Gott dankte. Aber die Sünde kam hinein und der Tod, der Vorbote des Gerichts; und alles wurde in eine Wüste verwandelt, und die Menschen irrten in alle Richtungen, alle leider weg von Gott und unwiederbringlich falsch: eine Welt, bestehnd aus Wüste, wirklich ein leerer Ort, wo es keinen Weg gibt. Nicht, dass die Verheißung nicht mehr oder weniger die Hoffnung auf bessere Dinge in Aussicht gestellt hätte; nicht, dass das Gesetz nicht zu gegebener Zeit gedonnert und erhellt hätte; aber Gottes Weg war nicht bekannt, wie seine Gnade allein ihn zeigen konnte. Jetzt ist Er es; denn Christus ist der Weg, der einzig sichere Weg, für die irrenden Sünder, und zwar für die Verlorenen, die zu suchen und zu retten Er gekommen ist; und Er ist der Weg zum Vater, nicht zu Gott, der sich in Macht und Herrlichkeit auf der Erde zeigt, wie es der Jude für den kommenden Tag erwartet, wenn der verworfene Messias als der verherrlichte Sohn des Menschen zurückkehrt. Aber Er ist viel mehr und über alle Zeit oder Veränderung erhaben, die tiefste Verwerfung bringt nur das hervor, was immer da war, seine eigene persönliche Herrlichkeit als der Sohn Gottes, die über jeder Haushaltung steht. Und im vollsten Bewusstsein dessen sagt Er zu dem schemenhaft sehenden Thomas: „Ich bin der Weg.“
Warum sollte man auf die Zeit warten, in der die Wüste durch seine Gegenwart und Macht gesegnet werden wird? Dann wird zweifellos „die Luftspiegelung zum Teich werden und das dürre Land zu Wasserquellen werden … Und dort wird eine Straße sein und ein Weg, und er wird der heilige Weg genannt werden; kein Unreiner wird darüber hinziehen, sondern er wird für sie sein. Wer auf dem Weg wandelt – selbst Einfältige werden nicht irregehen (Jes 35,8). Aber dies und mehr ist Er nun für alle, die an Ihn glauben; und der Glaube freut sich, alles, was Er ist, als Gott zu erkennen, wenn der Unglaube Ihn verachtet, verleumdet und ablehnt. Er ist demnach der eine göttliche Weg; und wie es keinen anderen gibt, so reicht Er aus für den, der keine Kraft der Weisheit oder des Wertes in irgendeiner Art hat. Christus aber ist nun der Weg für die Schritte derer, die Ihn kennen, die Weisheit Gottes in einer bösen Welt – Er selbst ist der höchste und vollkommene Ausdruck dieser Weisheit, und daher dem Jüngsten im Glauben nicht weniger zugänglich als einem Apostel.
Ferner ist Er die Wahrheit, der volle Ausdruck eines jeden und aller Dinge, wie sie sind. Er sagt uns in seiner eigenen Person, was Gott ist; Er zeigt uns den Vater, da Er selbst der Sohn ist. Aber Er, nicht Adam, zeigt uns den Menschen. Adam zeigt uns zweifellos den versagenden oder gefallenen Menschen; Christus allein ist der Mensch nach Gott, sowohl moralisch, wie einst hier auf der Erde, als auch im Ratschluss, wie jetzt auferstanden und im Himmel. Wie Er uns die Heiligkeit und Gerechtigkeit zeigt, so bringt Er auch die Sünde in ihren wahren Schattierungen zum Vorschein, wie Er selbst sagt: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie keinen Vorwand für ihre Sünde. Wer mich hasst, hasst auch meinen Vater. Wenn ich nicht die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen und doch gehasst sowohl mich als auch meinen Vater“ (15,22–24). Damit stellt Er, und Er allein, seinen Widersacher ins rechte Licht, den Teufel persönlich, den Fürsten dieser Welt, aber den ständigen Feind des Sohnes.
Auch das Gesetz, so heilig, gerecht und gut das Gebot auch sein mag, ist nicht die Wahrheit; denn es ist vielmehr von Seiten Gottes die Forderung dessen, was der Mensch tun soll; Christus aber sagt nicht bloß, was er sein soll, sondern was er ist. Das Gesetz fordert seine Pflicht; Christus erklärt, dass alles vorbei ist, und der Mensch ist verloren. Aber Christus zeigt uns auch einen Erlöser in seiner eigenen Person, und dies von Gott und mit Gott. Nicht, dass Er nicht der Richter wäre, denn Er wird die Lebenden und die Toten richten, so sicher, wie Er erscheinen und sein Reich aufrichten wird. Jetzt ist Er jedoch der Retter, und das bis zum Äußersten. In der Tat wäre es unmöglich zu sagen, was an Gutem und Herrlichem Er nicht ist, noch von welchem Bösen Er nicht befreit. Er ist die Wahrheit, die Offenbarung der wahren Beziehung aller Dinge zu Gott, und folglich auch des Abfalls aller von Gott. Er, und Er allein, konnte auf die Herausforderung antworten: „Wer bist du? Jesus sprach zu ihnen: Durchaus das, was ich auch zu euch rede“ (8,25). Er ist das, was Er auch redet; Er ist, wie kein anderer Mensch es war, die Wahrheit; und dies, wie Er in demselben Kapitel 8 unseres Evangeliums andeutet, weil Er nicht allein Mensch, sondern Gott ist.
Aber Er ist mehr als der Weg und die Wahrheit; Er ist das Leben, und dies, weil Er der Sohn ist. In der Gemeinschaft mit dem Vater gibt Er Leben. Im Gericht ist es nicht so; denn der Vater richtet niemanden, sondern Er hat dem Sohn jede Art von Gericht gegeben, und dies, weil Er der Sohn des Menschen ist. Und wie die Menschen Ihn entehrten, weil Er sich in Liebe herabließ, Mensch zu werden, so will der Vater, dass Er geehrt wird, nicht nur als Gott, sondern als Mensch im Gericht. Die Gläubigen ehren Ihn auf eine ganz andere und viel vorzüglichere Weise. Sie verneigen sich jetzt vor Ihm; bereitwillig erheben sie Ihn gern, obwohl Er von der Welt verworfen wurde. So sind sie durch die Gnade in Gemeinschaft mit Gott, der Ihn zu seiner Rechten im Himmel gesetzt hat und nach und nach jedes Geschöpf zwingen wird, sich zu seiner Ehre vor Ihm zu beugen und ihn als Herrn anzuerkennen. Die aber, die glauben, haben jetzt in Ihm das Leben, das durch die Kraft des Geistes in der Ausübung des Guten entspringt; und daher werden sie bei seinem Kommen die Auferstehung des Lebens genießen, so wie die, die Böses getan haben, zu einer Auferstehung des Gerichts an ihrem Tag auferweckt werden müssen.
So hat der Gläubige Christus für alle möglichen Bedürfnisse und allen Segen, den unser Gott und Vater schenken kann. Man kann Ihn nicht als den Weg und die Wahrheit haben, ohne Ihn auch als das Leben zu haben, denn in der Tat ist Er die Auferstehung und das Leben; und dieses Leben, das wir in Ihm, dem Sohn, haben, stärkt und übt der Heilige Geist, wie sein Wort es nährt, indem Er Ihn uns immer wieder neu offenbart. Die Gabe Gottes ist ewiges Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn; und wie der Weg in Christus ein Weg der Liebe und Freiheit und Heiligkeit ist, so ist auch das Ende das ewige Leben.
Es gibt kein anderes Mittel zur Segnung: „Niemand kommt zum Vater als nur durch mich“, sagt der Herr. Es gibt die sicherste Garantie, das umfassendste und höchste Gut, aber es ist absolut ausschließlich. Durch niemand als durch den Sohn kann man zum Vater kommen; durch Ihn kann jeder kommen, der stolzeste Jude, der am meisten entwürdigte Heide. Durch Ihn haben wir beide durch einen Geist Zugang zum Vater, wie der Apostel ausdrücklich sagt (Eph 2,18), wenn er das Wesen der Versammlung zeigt, die jetzt den Platz des alten Volkes Gottes einnimmt. Und es sei bemerkt, dass es nicht nur um Gott in souveräner Gnade gegenüber der Sünde geht, der die Schuldigsten und Elendigsten errettet, sondern um den Vater; es ist jene Beziehung der Gnade, die der Sohn ewig in seinem eigenen Recht und Anspruch kannte, und nicht weniger, aber umso mehr zur Ehre seines Vaters, als Er Ihn auf der Erde als den vollkommen abhängigen und gehorsamen Menschen verherrlichte. Wie wunderbar, dass wir zum Vater kommen, seinem und unserem Vater, seinem und unserem Gott! Alle Ehre sei Ihm und seinem Erlösungswerk, durch das allein es uns, die wir glauben, zuteilwerden konnte!
Als Nächstes lässt der Heiland sie wissen, dass die Erkenntnis des Vaters untrennbar mit der des Sohnes verbunden ist. „Wenn ihr mich erkannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater erkannt haben; und von jetzt an erkennt ihr ihn und habt ihn gesehen“ (V. 7). Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes; im Sohn wird der Vater erkannt; und das sollen die Jünger nun objektiv erfahren.
Aber es gibt keine Fähigkeit in dem hellen und aktiv denkenden Jünger, in die göttlichen Dinge einzudringen, ebenso wenig wie in dem verschlossenen oder düsteren Jünger. „Philippus spricht zu ihm: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns“ (V. 8): Das ist ein ausgezeichneter Wunsch, so mag es vielen erscheinen, die seine Worte lesen, für jemand, der sowohl Jesus gesehen hatte als auch anderen in ihrem Wunsch half, Jesus zu sehen. Aber es war trauriger Unglaube in Philippus, besonders nach den geduldigen, gnädigen Worten, die der Herr gerade gesagt hatte, um sie weiterzuführen.