Behandelter Abschnitt Joh 5,2-9
Es ist aber in Jerusalem bei dem Schaftor ein Teich, der auf Hebräisch Bethesda genannt wird und fünf Säulenhallen hat. In diesen lag eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer, Dürrer, [die auf die Bewegung des Wassers warteten. Denn zu gewissen Zeiten stieg ein Engel in den Teich herab und bewegte das Wasser. Wer nun nach der Bewegung des Wassers zuerst hineinstieg, wurde gesund, mit welcher Krankheit irgend er behaftet war.] Es war aber ein gewisser Mensch dort, der achtunddreißig Jahre mit seiner Krankheit behaftet war. Als Jesus diesen daliegen sah und wusste, dass es schon lange Zeit so mit ihm war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, dass er mich, wenn das Wasser bewegt worden ist, in den Teich wirft; während ich aber komme, steigt ein anderer vor mir hinab. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett auf und geh umher! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett auf und ging umher. Es war aber an jenem Tag Sabbat (5,2‒9).
Diese Begebenheit war ein eindrucksvolles Bild des Menschen, des Juden unter dem Gesetz. Da lagen sie ohne Kraft, und obwohl die Gnade Gottes von Zeit zu Zeit eingriff, konnten die Menschen seine Barmherzigkeit umso weniger in Anspruch nehmen, je größer die Not war. Es war, „das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war“ (Röm 8,3). Der ohnmächtige Mensch war selbst Zeuge davon, bis Jesus kam und ihn ungefragt suchte. Kein Engel, der das Wasser bewegte, konnte einem Menschen helfen, der unfähig war, hinabzusteigen und ohne Hilfe in den Teich zu gelangen. Der Stärkere konnte dem Hilflosen immer zuvorkommen. Aber nun schaut die Gnade in Jesus, dem Sohn Gottes, auf den, der so lange gelitten hatte; die Gnade spricht zu ihm; die Gnade wirkt für ihn, mit einem Wort, und das ohne weiteres Zögern, denn das Wort hatte Kraft. „Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett auf und ging umher. Es war aber an jenem Tag Sabbat“ (V. 9).
Aber wie konnte der Sabbat an diesem Tag des Elends des Menschen gehalten oder angeordnet werden? Jesus war gekommen, um zu wirken, nicht um zu ruhen; was auch immer die Pharisäer verlangen mochten, Er würde den Menschen nicht in einer Ruhe lassen, die vor Gott durch Sünde und Verderben gebrochen war.
So macht das Zeichen, das an jenem Sabbat gewirkt wurde, deutlich, was der Herr in diesen Kapiteln des Evangeliums durchgehend tut: Er tritt selbst an die Stelle all dessen, worauf man vertrauen könnte oder jedes Mittels des Segens, der zu früherer Zeit oder an jenem Tag, außerhalb Israels und innerhalb, gegeben wurde. Sogar Engel verneigen sich vor dem Sohn; dennoch war Er Mensch geworden, wirkte in Erniedrigung und ging direkt zum Kreuz. Das Gesetz konnte nicht von der Schuld oder der Macht oder den Wirkungen der Sünde erlösen; kein außerordentliches Eingreifen Gottes durch das höchste aller Geschöpfe konnte der Not angemessen begegnen; nichts und niemand außer Jesus, dem Sohn Gottes. Und doch haben wir auch den deutlichsten Beweis dafür, dass die Juden in ihrem Elend durch einen Missbrauch des Gesetzes, der sie sowohl für ihre Sünde als auch für den Sohn blind machte, so selbstzufrieden waren, dass sie sich damit begnügten, mit einem solchen Sabbat fortzufahren, erzürnt über den, der ein Zeichen tat, das nicht sicherer seine Gnade verkündete als ihr Verderben. Hoffnungslos war es auch wegen ihrer Ablehnung des Heilmittels und ihrer Selbstgefälligkeit in ihrer eigenen Rechtschaffenheit.
Beachte jedoch, dass der Herr den Kranken seine Ohnmacht mehr denn je spüren ließ, bevor Er das Wort sprach, das ihn aufrichtete. Er weckte zwar den Wunsch in ihm, geheilt zu werden, da Er mit unendlichem Erbarmen auf ihn schaute und den Fall in seinem ganzen Umfang kannte; aber der dann empfundene Wunsch drückte sich in der Überzeugung des Mannes über seine eigene Erbärmlichkeit aus. Es war wie der Ausspruch der Seele in Römer 7,24: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erretten“ und so weiter. Wie wenig wusste er, wer sich herabgelassen hatte, sein Nächster zu sein und das zu tun, was der barmherzigen Samariter tat – ja, Er tat hier unvergleichlich mehr, weil die Not noch größer war. Hier ist der, der die Toten auferweckt. „Er sprach, und es geschah“, Sabbat hin oder her; aber welchen Sabbat können, der Gott wohlgefällig war, konnte Sünde und Elend halten? Gott sei Dank! Jesus hat gewirkt; aber sie empfanden, dass es, wenn Er Recht hatte, mit ihnen vorbei war. Daher richteten sie Ihn, wie wir sehen werden, und nicht sich selbst, zu Gottes Unehre und zu ihrem eigenen Verderben.