Behandelter Abschnitt Lk 13,10-17
Obwohl der Herr das bevorstehende Schicksal der Juden wegen ihres nutzlosen Durchpflügens des Bodens aufzeigte, lehrte er nicht weniger in ihren Synagogen am Sabbat. Es war immer noch die Zeit der Geduld; und außerdem war die Gnade in keiner Weise gehindert, individuell zu wirken. „Und siehe, da war eine Frau, die achtzehn Jahre einen Geist der Schwäche hatte; und sie war zusammengekrümmt und ganz unfähig, sich aufzurichten“ (V. 11). Sie suchte nicht die gnädige Macht Jesu, aber als Er sie sah, „rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist befreit von deiner Schwäche!“ (V. 12). Damit gab Er sich nicht zufrieden, sondern legte ihr die Hände auf. Es lag weit mehr Gnade darin, so zu handeln, als sie einfach durch ein Wort zu heilen. Er konnte das eine ebenso leicht wie das andere tun.
Aber die Gnade, obwohl sie sich zärtlich zu den Elenden herniederbeugt, passt sich nicht dem hartnäckigen Unglauben der Menschen an, besonders der Menschen, deren Religion ein Schein ist, die aber in den Augen Gottes nichts Wirkliches haben. Christus heilte sie am Sabbat und vor den Augen der Volksmenge, wohl wissend, dass dies die Feindschaft des Synagogenvorstehers hervorrufen würde. Es hat keinen Sinn, sich um einen fairen Umgang mit Menschen zu bemühen, die behaupten, Freunde zu sein, aber in Wirklichkeit Feinde Gottes sind. „Und er legte ihr die Hände auf, und sogleich richtete sie sich auf und verherrlichte Gott. Der Synagogenvorsteher aber, unwillig, dass Jesus am Sabbat geheilt hatte“ (V. 13.14a). Hätte er nur einen Augenblick nachgedacht, so hätte er die Torheit und Schlechtigkeit seiner affektierten frommen Entrüstung gesehen; er hätte gesehen, dass er gegen Gott kämpfte. Aber Leidenschaft in religiösen Angelegenheiten reflektiert nie; und da sie völlig unabhängig vom wahren Glauben ist, ist sie anfällig, von gegenwärtigen Interessen regiert zu werden.
So wendet sich dieser Mann, kaum ahnend, dass er einen Krieg mit Gott zu seinem eigenen ewigen Verderben führte, mit den Worten an das Volk: „Sechs Tage sind es, an denen man arbeiten soll; an diesen nun kommt und lasst euch heilen und nicht am Tag des Sabbats“ (V. 14b). Ein eitler und böser Mensch, der sich anmaßte, Gott das Gesetz vorzuschreiben! Er war weit davon entfernt, selbst das Gesetz zu halten, und doch wagte er es, dem ein Gesetz zu geben, der sowohl wahrer Mensch als auch Gott war. Gott soll an seinem eigenen Sabbattag nicht arbeiten! Aber wie der Herr den Juden im Johannesevangelium sagte, ist es eine Torheit, anzunehmen, dass Gott in der Gegenwart einer solchen Welt, der Menschen und Israels, wie sie sind, den Sabbat hält. Moralisch gesehen, könnte Er das nicht tun. Seine Liebe würde Ihm nicht erlauben zu ruhen, wenn die Erde und die Menschen voller Sünde, Bosheit und Elend sind. Daher führte die Gnade sowohl den Vater als auch den Sohn dazu, für den armen, schuldigen Menschen zu wirken: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“ (Joh 5,17).
Die Juden mögen in ihrem Stolz ihren Sabbat halten; aber Gott wirkt für den Menschen! Ach, die Welt hat so wenig Sinn für die Heiligkeit wie für die Liebe Gottes; und so antwortet der Herr hier dem Vorsteher mit strenger Zurechtweisung: „Ihr Heuchler! Löst nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe und führt ihn hin und tränkt ihn?“ (V. 15). Er nimmt seinen Text nicht vom Vater, wie im Johannesevangelium, sondern von den eigenen anerkannten Wegen der Menschen, von dem, was selbst das natürliche Gewissen für richtig hält, was keine Gesetzlichkeit aus dem Herzen des Menschen entfernen kann.
Lukas ist der große Moralist unter den Evangelien. Es wäre grausam gegenüber dem armen Tier, ihm wegen des Sabbats seine notwendige Nahrung oder sein Trinken vorzuenthalten; und wenn es ein Fehler des Geistes Gottes wäre, seinen Ochsen oder Esel so zu behandeln, ihn von dem fernzuhalten, was zu seiner Erfrischung im natürlichen Leben notwendig ist, wie viel mehr war es nicht Gottes würdig, ein Opfer der Macht Satans in Gnade zu erlösen! „Diese aber, die eine Tochter Abrahams ist, die der Satan gebunden hatte, siehe, achtzehn Jahre, sollte sie nicht von dieser Fessel gelöst werden am Tag des Sabbats?“ (V. 16). Er begründet dies mit dem doppelten Grund der Beziehung zu Abraham, dem Freund Gottes, und der Unterwerfung unter die beleidigende Macht des Feindes. Als Tochter Abrahams sollte sie in ihren Augen sicherlich einen zusätzlichen Anspruch haben, und nicht weniger, weil Satan sie so lange gebunden hatte. Es war also klar, dass der Vorsteher unter dem Vorwand des hohen Respekts für Gottes Institutionen in Wahrheit ein Handlanger Satans war. Wenn er ein wahres Herz gehabt hätte, hätte er sich über die Vertreibung des Geistes der Gebrechlichkeit gefreut, durch den die Frau so lange gebunden war. Das Volk spürte die Wahrheit dessen, was Jesus sagte, ebenso wie die Gnade seiner Tat. „Und als er dies sagte, wurden alle seine Widersacher beschämt; und die ganze Volksmenge freute sich über all die herrlichen Dinge, die durch ihn geschahen“ (V. 17). Sogar die offenen Widersacher waren beschämt, wenn nicht gar besiegt; aber das ganze Volk freute sich, denn sie hatten wenigstens ein Empfinden für ihre Not und waren freier, das Gute und Wahre anzuerkennen. Es mochte keine Kraft vorhanden gewesen sein, und ohne Glauben gibt es keine, um die Wahrheit in der Liebe zu ihr zu empfangen (denn das Herz ist Gott entfremdet); aber sie begrüßten mit Freude die göttliche Kraft, die die Elenden rettete. Wo es göttlich verliehenen Glauben gibt, bezweifle ich, dass die erste Handlung des Geistes Gottes Freude ist. Der Eingang des Wortes gibt Licht und das Innere der Sünde, der Schuld und des Verderbens auf. Aber auch ohne bekehrt zu sein, können Menschen, die keine besondere Feindseligkeit gegen die in Christus dargestellte Wahrheit hegen und die den Wert des Lichts spüren, das nirgendwo sonst zu sehen ist, sich durchaus freuen. Sie werden nicht im Sinn ihres eigenen Bösen zerbrochen, sie werden nicht zu Gott gebracht, aber sie freuen sich über das, was zu den Menschen gekommen ist, indem sie die offensichtliche und hervorragende Hand Gottes anerkennen und den Unterschied zwischen Christus, wie wenig auch immer Er gesehen wird; sie empfinden die papierene Theologie des Synagogenvorstehers. „Und die ganze Volksmenge freute sich über all die herrlichen Dinge, die durch ihn geschahen.“