Und der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke von oben bis unten (15,38).
Das jüdische System war dem Untergang geweiht, und das Gericht wurde an seinem charakteristischen und zentralen Merkmal vollstreckt. Der Schleier war das, was das Heiligtum vom Allerheiligsten trennte; es gab keinen einzigen Punkt im jüdischen System, der nachdrücklicher war als der Schleier. Der Schleier zeigte als Bild an, dass Gott anwesend war, aber der Mensch stand außerhalb. Gott handelte mit dem Volk, aber das Volk war nicht in der Lage, sich Gott zu nähern, dass es Ihn in der Welt bei sich hatte. Es war nicht zu Ihm gebracht und daher nicht in der Lage, seine Herrlichkeit anzuschauen; es wurde unter dem Gesetz von Ihm ferngehalten (vgl. Heb 9,8; 10,19.20). Das Zerreißen des Vorhangs hingegen verkündete sofort, dass mit dem Judentum alles vorbei war.
Wie die übernatürliche Finsternis vor seinem Tod ein Zeugnis war, so verkündete dies bei seinem Tod die Macht des Blutes Christi. Es war nicht nur Gott, der zum Menschen herabkam, sondern der Mensch war nun durch das Blut Christi berechtigt, sich Gott zu nähern – ja, alle, die den Wert dieses Blutes kennen, durften ins Allerheiligste eintreten.
Aber was die jüdische Haushaltung betraf, so war hier die Abschaffung derselben im Prinzip gekommen. Das Niederreißen dieses wichtigsten Zeichens und Merkmals war die faktische Entweihung des Heiligtums, so dass nun jeder in das Heiligste hineinschauen konnte. Es war nicht mehr der Hohepriester allein, der sich einmal im Jahr hineinwagte, und das nicht ohne Blut; sondern jetzt wurde der Schleier wegen seines Blutes, das sie vergossen hatten, ohne seinen unendlichen Wert zu kennen, von oben bis unten zerrissen. Das war im ersten Monat des Jahres. Das Fest, in das der Hohepriester eintrat, war im siebten Monat. Umso deutlicher war jetzt die Zerstörung des Vorhangs. Die Wahrheit ist, dass die wirkliche Anwendung des Versöhnungstages und des folgenden Laubhüttenfestes darin besteht, dass Gott beginnt, das jüdische Volk aufzunehmen. Man sagt, dass wir Christus als unser Passah haben; aber der Versöhnungstag, als prophetisches Vorbild betrachtet, erwartet Israel nach und nach.
Und das war noch nicht alles. Es gab ein Zeugnis, nicht nur in der Natur, im Gegensatz zu der Verachtung der Menschen und den Schmähungen der Gekreuzigten, die bei Ihm waren – nicht nur gab es diese Dunkelheit der Natur und das Zerreißen des Schleiers für das Judentum, sondern ein Heide kam zum Vorschein, der von Gott gezwungen wurde, das Wunder anzuerkennen, das da war und damals vollbracht wurde. „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“ (V. 39).
Aller Wahrscheinlichkeit nach war er ein Heide und meinte nicht mehr, als zuzugeben, dass Christus kein bloßer Mensch war, dass er irgendwie das war, wovon der chaldäische Monarch in Daniel 2 und 4 gehört und gesprochen hatte. Der Hauptmann aber ging weiter als die Babylonier. Er fühlte, dass Er, obwohl Er im Fleisch wohnte, doch ein göttliches Wesen war und nicht nur der Sohn des Menschen. Ich glaube nicht, dass Nebukadnezar, als er sagte, er habe einen gesehen, der dem Sohn Gottes glich, die volle Wahrheit meinte, die wir kennen; denn die Lehre von der ewigen Sohnschaft war damals noch nicht offenbart, und es konnte nicht angenommen werden, dass Nebukadnezar das wusste, denn er war zu jener Zeit ein Götzendiener. Aber es war ein Zeugnis seines vollen Vertrauens, dass es sich um eine Art übernatürliches Wesen handelte, „den Sohn Gottes“. Zugleich konnte der Geist Gottes den Worten des Hauptmanns oder des Königs eine Form geben, die über das hinausging, was beide wussten. „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“