Behandelter Abschnitt Mt 27,54-55
Unser Herr starb als williges Opfer. Der Mensch konnte seinen Tod wollen und das Werkzeug dafür sein. Er wurde Mensch, damit Er als Mensch sterben konnte: aber in jedem Umstand ist es so deutlich, dass Er da war, der ebenso leicht eine Welt hätte wegfegen können, wie Er einst durch sein Wort die Fundamente von Himmel und Erde legte. Er gab den Geist auf. Die Natur wurde dazu gebracht, ihr Zeugnis oben und unten abzulegen; und die Finsternis über dem Land war keine bloße Verfinsterung. Auch das jüdische System gab sein ernstes Zeugnis im zerrissenen Schleier ab – die Schatten waren vergangen: Ihre Erfüllung, die große Wirklichkeit, war gekommen. Unvermindert war es das Symbol dafür gewesen, dass der Mensch sich Gott nicht nähern konnte. Unter dem Gesetz war das nicht möglich. Gott wohnte damals in der dichten Finsternis. Aber durch den Tod Jesu ist die Fülle der Gnade gekommen. Gott und Mensch können sich nun von Angesicht zu Angesicht begegnen. Das Blut ist auf und vor den Sühnungsdeckel gesprengt, und der Mensch ist eingeladen, mit heiliger Freimütigkeit hinzuzutreten. Das ist dem überaus wertvollen Blut zu verdanken. Gott ist in Ihm vom Himmel herabgestiegen, um die Sünde durch das Opfer seiner selbst wegzunehmen. Für jeden Menschen, der glaubt, ist es vollbracht. Das jüdische System mochte weiterbestehen, wie ein Leichnam, der so viele Tage auf sein Begräbnis wartet, doch das Zerreißen des Schleiers war die Trennung der Seele vom Körper. So gab es Zeugen von allen Seiten – von der Erde, dem Himmel, dem Gesetz und der unsichtbaren Welt. Jesus hat die Schlüssel des Hades und des Todes. Die Gräber selbst wurden geöffnet, als Jesus starb, wenn auch die Leiber der Heiligen erst nach seiner Auferstehung auferstanden. Er selbst war die Erstlingsfrucht, und die Kraft des Lebens wurde durch seine Auferstehung eingebracht. Welches Zeugnis könnte vollständiger sein?
Als aber der Hauptmann und die, die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und das, was geschehen war, fürchteten sie sich sehr und sprachen: Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn! Es waren aber viele Frauen dort, die von weitem zusahen, solche, die Jesus von Galiläa nachgefolgt waren und ihm gedient hatten (27,54.55).
Der Hauptmann, der die Wache, heidnisch, wie er zweifellos war, anerkannte, dass Er „der Gottes Sohn war.“ Die Frauen schauten von fern zu. Doch wo waren die Jünger? Oh, welch vernichtende Verurteilung allen prahlerischen Mutes! Sie hatten Jesus verlassen und waren geflohen; aber hier waren diese Frauen, trotz ihrer natürlichen Schüchternheit, sie gewannen „aus Schwachheit Kraft“, und sahen zu, wenn auch aus der Ferne. In Josef von Arimathia sehen wir einen Mann, der viel zu verlieren hatte: ein reicher Mann und ein Ratgeber, und dazu ein heimlicher Jünger Jesu. Nun bringt Gott ihn an einen Punkt, an dem man es am wenigsten erwarten würde. Mit dem Tod Jesu am Kreuz –„den Übeltätern zugezählt“– geht er zu Pilatus, bittet um seinen Leichnam, und nachdem er ihn in sein eigenes neues Grab gelegt hat, rollt er einen großen Stein vor die Tür des Grabes und erfüllt damit unwissentlich Jesaja 53,9 –„aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod“. Wenn die Apostel und Jünger geflohen sind, kann Gott ein Zeugnis um seines Namens willen aufrichten und tut es auch.
Wir haben in diesem Kapitel die Geschichte des Menschen beschrieben. Wenn wir all den Reichtum, die Gelehrsamkeit, die Macht dieser Welt hätten, könnte uns nichts davon glücklich machen, auch nicht das Geringste. Jesus kann es, und Er tut es. Aber lasst uns daran denken, dass wir uns in Feindesland befinden. Der Feind hat seinen Verrat an unserem Meister gezeigt. Wenn wir das nicht empfinden, wenn wir durch das Lager derer gehen, die Jesus gekreuzigt haben, sind wir in Gefahr, in einen Hinterhalt des Feindes zu geraten. Der Herr gewähre uns jene Gelassenheit des Glaubens, die nicht mit sich selbst beschäftigt ist, sondern mit dem, „der selbst unsere Sünden an seinem eigenen Leib auf dem Holz getragen hat“! (1Pet 2,24).