Es geht hier offensichtlich um eine praktische Warnung an die Frommen auf der Erde, bereit zu sein. Sie waren angesichts von Not und Gewalt getröstet worden; sie waren auf ihre Wachsamkeit gegen die religiösen Betrügereien der alten Schlange vorbereitet worden; sie waren ernstlich der Beständigkeit der Worte des Herrn versichert worden, gerade in dem Punkt, wo heidnische Einbildung sogar wahre Gläubige irregeführt hat; jetzt werden sie zur Wachsamkeit und Bereitschaft für ihren kommenden Herrn ermahnt, damit sie nicht nur den Vogelfängern entgehen, sondern auch vor dem Sohn des Menschen bestehen können. Für die Welt wird Er wie ein unerwarteter Dieb kommen, der in ihre vermeintliche Sicherheit einbricht.
Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den sein Herr über sein Gesinde gesetzt hat, ihnen die Nahrung zu geben zur rechten Zeit? (24,45)
Von Vers 45 bis Kapitel 25,30 kommen wir zu den Gleichnissen, die sich nur auf die Christenheit beziehen und nicht auf den jüdischen Überrest. Wir können sie als einen Anhang zu dem jüdischen Aspekt betrachten, von dem der Herr bis hierher gesprochen hatte. Daher haben wir hier ein so deutliches Bild der wahren und falschen Berufung. Wann immer wir das berühren, was wirklich christlich ist, handelt Gott mit dem Herzen und dem Gewissen. Er beruft und formt die, die die Gefährten seines Sohnes in der himmlischen Herrlichkeit sein werden. Deshalb wird nichts übergangen; alles wird von Gott in seinem wahren Licht beurteilt. Daher gibt es hier auch keine Begrenzung, weder des Ortes noch der Menschen. Das Christentum steht über der Zeit und ist vom und für den Himmel, auch wenn es während des Einschubs in den Haushaltungen Gottes, die durch die Verwerfung Israels für eine Zeit entstanden ist, tatsächlich auf der Erde offenbart werden mag. Das Christentum ist eine Offenbarung der Gnade, die von Ihm fließt, der jetzt nicht von der Erde, sondern vom Himmel spricht. Damit wird das Böse nicht übergangen, was ich kaum betonen muss. Kein Irrtum kann tiefgreifender und fataler sein, als dass Gnade Leichtfertigkeit gegenüber der Sünde in sich schließt. Im Gegenteil, die Gnade ist die schärfste Verurteilung alles Bösen, denn sie ist in der Tat nicht die bloße Behauptung dessen, was der Mensch Gott gegenüber sein sollte, sondern die Offenbarung dessen, was Gott dem Menschen im Gericht über seine Sünde im Kreuz Christi ist. Daher ist es die vollste Entfaltung des göttlichen Hasses und des Gerichts über das Böse. Das geschieht jedoch in Christus, auf Kosten seines eigenen geliebten Sohnes, um die Schuldigsten, die glauben, zu retten. Als Er mit seinem irdischen Volk unter dem Gesetz handelte, wurden viele Dinge erlaubt, wegen ihrer Herzenshärte, die niemals seine Zustimmung hatten. Aber wenn die völlige Entfaltung der Gnade aufleuchtet, wie es jetzt der Fall ist, wird das Böse nicht ertragen, sondern gerichtet. So ist das Christentum im Grundsatz und in der Tat. Und daher ist es so, dass für den wahren Christen die ganze Zeit seines Aufenthalts auf der Erde eine Zeit der Selbstbeurteilung ist; oder wenn er darin versagt, ist die Versammlung verpflichtet, seine Wege zu richten; und wenn sie versagen, richtet der Herr ihn und sie, heilig, aber in Gnade, damit sie nicht mit der Welt verurteilt werden. Er mag hier und jetzt ein falsches Bekenntnis entlarven, wenn Er es für richtig hält, aber das entsprechende Ende sehen wir in allen diesen drei Gleichnissen. Die Gnade duldet niemals das Böse. Wenn allerdings das Böse die Gnade für seine eigenen Zwecke ausnutzt, ist das Ergebnis schrecklich, und es wird bei der Ankunft des Herrn offensichtlich so sein.
Und das führt mich zu der Bemerkung, dass das Kommen des Herrn einen zweifachen Charakter hat. Erstens ist da sein Kommen voller Gnade, völlig unabhängig von jeder Frage unseres Dienstes und folglich von besonderen Belohnungen im Reich, in dem wir zusammen mit Christus offenbar werden. Aber wir müssen bedenken, dass diese Offenbarung vor der Welt im zukünftigen Reich weit davon entfernt ist, der höchste Teil seiner oder gar unserer Herrlichkeit zu sein, da sie nicht die tiefste Ausübung seiner Gnade hervorruft. Indem Er uns zu sich aufnimmt, ist dagegen alles ausschließlich von Ihm selbst. Es ist seine eigene Liebe, die uns so bei sich selbst haben will. So finden wir, dass Johannes das Kommen Christi in seinem Evangelium (Joh 14,1-3) darstellt; und mir ist auch nicht bekannt, dass es dort jemals anders behandelt wird.
In Buch der Offenbarung finden wir beide Wege. Im ersten Kapitel lautet das Zeugnis: „Siehe, er kommt mit den Wolken „und so weiter. Offensichtlich gibt es keine Spur von den dort entrückten Heiligen, sondern „jedes Auge wird ihn sehen, auch die, die ihn durchstochen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes. Ja, Amen“ (Off 1,7).Die Braut erscheint nirgends in dieser Beschreibung, sondern das, was öffentlich ist und die ganze Welt betrifft, und besonders die Juden, die an seinem Blut schuldig sind; und alle trauern. Aber das letzte Kapitel konnte nicht schließen, ohne uns zu zeigen, dass es trotz allem Übel und Weh und Gericht eine solche gibt, wie die Braut, die ihren himmlischen Bräutigam erwartet. Kaum hat Er sich als Wurzel und Spross Davids, als heller Morgenstern angekündigt, sagen der Geist und die Braut: „Komm.“ Hier haben wir die innige Beziehung der Liebe des Herzens zwischen dem Herrn und der Versammlung. Es ist unmöglich für irgendjemanden, der nicht aus Gott geboren ist, „Komm“ zu sagen, obwohl es solche geben mag, die so geboren sind und doch nichts von ihrem vollen Vorrecht der Vereinigung mit Christus wissen. Und für sie, daran zweifle ich nicht, ist eine gnädige Bestimmung in dem Wort gemacht: „Wer es hört, der spreche: Komm!“ Aber in keinem Fall kann die Welt oder ein Mensch, der nicht die Vergebung seiner Sünden hat, einem solchen Rufnachkommen. Für solche wäre es in der Tat der Wahnsinn der Anmaßung, denn für sie muss sein Kommen sicheres und nie endendes Verderben bedeuten. Wiederum ist es nicht nur die Rettung des Fleisches oder die Erlösung aus Elend und Gefahr durch den Sturz ihrer Feinde: Der Heilige Geist stellt den Aspekt des Kommens Christi für uns niemals in ein solches Licht. Wir werden Ruhe haben, und die, die uns bedrängen, werden Drangsal haben am Tag seiner Erscheinung; aber wir gehen dem Heiland entgegen und werden für immer bei Ihm sein; und in der Zwischenzeit ist es unser wunderbares irdisches Vorrecht, jetzt um seinetwillen zu leiden. Wir werden für eine Weile in einer Welt zurückgelassen, in der alles gegen uns ist, weil alles gegen Ihn ist, und wir gehören Ihm an. Aber wir wissen, dass Er darauf wartet, für uns zu kommen, und wir warten auf Ihn, der vom Himmel herabkommt; und während das Warten andauert, sollen wir, wenn wir dem Herrn treu sind, nichts anderes als Leiden von der Welt erwarten. Dabei sind wir jedoch glücklich in der Gewissheit, dass die Herrlichkeit im Himmel und das Kreuz auf der Erde zusammengehören. Der Kelch der Prüfung, der Vorwürfe und des Spottes der Menschen, ist vielleicht zu einer Zeit weniger als zu einer anderen. Es ist unserem Vater vorbehalten, es so zu geben, wie Er es für richtig hält. Aber wenn wir nach etwas anderem als unserem natürlichen Anteil hier als Christen suchen, sind wir unserer Berufung untreu. Die Ablehnung ist unser, weil wir sein sind: „Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat“ (1Joh 3,1).
Als Bräutigam hat der Herr also nichts als Liebe in seinem Herzen zu seiner Braut. Es geht auch nicht um irgendetwas anderes als um die Seinen. Er hat ihnen gesagt, dass Er kommt; und je größer die Kraft des Geistes in der Seele ist, desto eifriger sagt die Braut: „Komm!“ In dieser himmlischen Begegnung des Herrn mit der Braut, wie unpassend wäre es, wenn andere Augen das sehen würden, oder dass jammernde Scharen bei solch einer Begegnung anwesend oder Zeugen sein sollten! Die Heilige Schrift spricht nicht so.
Der Jude, die Welt, die den wahren Christus abgelehnt haben, werden
den Antichrist empfangen. Die Menschen werden ihm anheimfallen; und
inmitten ihrer Verblendung und ihres scheinbaren Triumphes wird der Herr
zum Gericht kommen. Aber wenn Er so kommt, kommt Er nicht allein.
Andere, seine himmlischen Heiligen, werden zusammen mit Ihm in
Herrlichkeit erscheinen. Das sehen wir in Kolosser 3,4;
Daraus ergibt sich wiederum, dass sein Kommen einen doppelten Charakter hat, jeweils nach dem Ziel der einzelnen Schritte oder Stufen. Er kommt, um alle seine Heiligen, ob gestorben oder lebendig, zu sich zu sammeln und sie im Haus des Vaters darzustellen, damit sie dort, wo Er ist, ebenfalls sein können. Zu gegebener Zeit danach bringt Er sie mit sich und richtet das Tier und den falschen Propheten, die Juden und die Heiden, sowie jeden falschen Bekenner seines Namens. Dies ist immer noch sein Kommen, wodurch Er dann gegenwärtig ist. Jetzt geht es allerdings um sein „Erscheinen“ (so wird das Kommen zur Entrückung nie genannt), die „Erscheinung seiner Ankunft“ (2Thes 2,8), seine „Offenbarung“ und sein „Tag“.
Mit diesem zweiten Kommen des Herrn oder seinem „Tag „steht die Beurteilung unseres Dienstes und das Austeilen von Lohn für die geleistete Arbeit in Verbindung: „Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, damit jeder empfange, was er in dem Leib getan hat, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2Kor 5,10).
Manche finden es schwierig, sich beiden Wahrheiten zu beugen; aber wenn wir uns dem Wort unterwerfen, werden wir weder die gemeinsame Glückseligkeit der Heiligen in der vollen Gnade des Erlösers bei seinem Kommen übersehen, noch die Anerkennung der individuellen Treue oder des Mangels daran in den Belohnungen des Reiches. Wenn wir von den vielen Wohnungen lesen, sollen wir nicht davon träumen, dass eine herrlicher ist als die andere. Die Wahrheit, die vermittelt wird, ist, dass wir durch die vollkommene Liebe und das Werk des Sohnes in der Gegenwart des Vaters so nahe sind und geliebt werden, wie Söhne es sein können. Unter diesem Gesichtspunkt sehe ich überhaupt keinen Unterschied. Alle werden absolut nahegebracht, alle werden mit der Liebe geliebt, mit der Christus geliebt wurde, und haben daran Anteil wie Er, soweit es einem Geschöpf möglich ist. Aber soll ich deshalb leugnen, dass jeder seinen Lohn entsprechend seinem eigenen Handeln empfängt; in manchen Fällen bleibt das Werk bestehen, in anderen verbrennt es. So lehrt uns auch das Gleichnis, dass der eine Knecht über zehn Städte herrscht und ein anderer über fünf.
Man wird also feststellen, dass es in der Schrift einen engen Zusammenhang zwischen dem Tag oder der Erscheinung Christi und den gegenwärtigen Ermahnungen zur Treue gibt. So wird Timotheus ermahnt, das Gebot unbefleckt zu bewahren, unsträflich „bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“ (1Tim 6,14). So spricht der Apostel in 2. Timotheus 4,8 von der „Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag; nicht aber allein mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben.“ Die Ergebnisse der Treue oder der Untreue werden erst dann offenbart. Es ist der Tag der Erscheinung vor der Welt: „Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Daher spricht der Apostel in Erwartung der Offenbarung unseres Herrn Jesus von den Gläubigen in Korinth, dass sie in keiner Gnadengabe Mangel litten, und erwähnt sogleich die Gedanken an seinen Tag. Der Tag Christi ist also das gesegnete Ende und die ernste Prüfung von allem, wenn er an die Philipper schreibt. Von den Briefen an die Thessalonicher brauche ich umso weniger zu sagen, da sie diese beiden Wahrheiten am deutlichsten beschreiben.
Wenn ich nun zum ersten der drei Gleichnisse (V. 45) zurückkehre, die sich auf die christliche Berufung beziehen, möchte ich aufgrund dessen, was wir untersucht haben, die allgemeine Bemerkung machen, dass, während die Worte Erscheinung, Tag und so weiter etwas Besonderes sind (und meines Erachtens nie verwendet werden, außer wenn es um Verantwortung geht), das Wort Kommen allgemeiner ist; und obwohl es, wenn der Zusammenhang es erfordert, auf die Seite der Verantwortung anwendbar ist, hat es an sich einen umfassenderen Charakter und wird daher verwendet, um die Wiederkunft unseres Herrn in purer Gnade auszudrücken. Mit anderen Worten, die Erscheinung, der Tag oder die Offenbarung Christi ist immer noch sein Kommen oder seine Gegenwart; aber sein Kommen bedeutet nicht notwendigerweise seine Erscheinung, seine Offenbarung oder sein Tag. Er kann kommen, ohne zu erscheinen, und ich glaube, dass es einen Beweis aus der Schrift gibt, dass es so ist, wenn Er uns zu sich in den Himmel aufnimmt; aber seine Erscheinung ist jene weitere Stufe seiner Wiederkunft, wenn jedes Auge ihn sehen wird.
Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den sein Herr über sein Gesinde gesetzt hat, ihnen die Nahrung zu geben zur rechten Zeit? (24,45).
Es geht hier nicht um die Verkündigung des Evangeliums, sondern um die Sorge für das Gesinde. Der Grundsatz, außerhalb mit den Gaben des Meisters zu wirken, wird nach und nach kommen (Mt 25,14ff.). Hier geht es vielmehr darum, dass der Herr, so wie Er die Seinen liebt („deren Haus wir sind“), so viel Wert auf treuen oder untreuen Dienst innerhalb dieses Bereichs legt. Denn ich brauche nicht zu sagen, dass die Treue zum Herrn keine Verleugnung des Dienstes beinhaltet, den Er leistet. Ein echter Dienst ist von Gott, auch wenn die Art und Weise, in der er ausgeübt wird, oft falsch und unbiblisch ist. Der Dienst ist nicht jüdisch, sondern charakteristisch für das Christentum. Aber es ist eine Sache, die sehr dazu neigt, ihren wahren Charakter zu verlieren. Anstatt Christi Diener in seinem Haushalt zu sein, verkommen viele zu Erfüllungsgehilfen einer bestimmten Körperschaft. In einem solchen Fall geht er immer von der Versammlung oder dem Bekenntnis aus. Der wahre Dienst kommt von Christus und von Ihm allein. Deshalb sagt der Apostel, dass er der Diener oder Knecht Jesu Christi war und niemals seinen Auftrag von der Versammlung ableitete oder ihr gegenüber für sein Werk verantwortlich war. Das Evangelium und die Versammlung waren die beiden Bereiche seines Dienstes (Kol 1); aber sein Geber und sein Herr war ausschließlich Christus selbst. Es scheint mir, dass dies notwendig ist, damit der Dienst als von Gott kommend anerkannt wird; und nichts anderes als solcher Dienst wird in der Schrift vorgestellt, er geht nicht von Gottes Volk aus. Das ist also das Erste, worauf unser Herr besteht, dass der treue und weise Diener, den der Herr zur Führung über sein Haus macht, bei der Verrichtung seines Werkes gefunden wird, indem er sich um das kümmert, was Christus so nahe ist.