In Kapitel 11 hatte sich unser Herr auf sie bezogen und gesagt, dass es für Tyrus und Sidon am Tag des Gerichts erträglicher sein würde als für die Städte, in denen Er seine mächtigen Werke getan hatte. Sie waren sprichwörtlich als die Denkmäler der Rache Gottes unter den Heiden bekannt.11 Dort begegnet Ihm eine Frau aus Kanaan. Wenn es ein Volk gab, das besonders unter dem Gericht Gottes stand, dann war es Kanaan. „Verflucht sei Kanaan! Ein Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern“, sagte Noah (1Mo 9,25). Der junge Kanaan scheint besonders der Anführer seines Vaters in seiner Bosheit gegen seinen Großvater Noah gewesen zu sein. Und als Israel das Land in Besitz nahm, sollten die Kanaaniter, die in tiefes Verderben versunken waren, ohne Gnade ausgerottet werden. Ihre Abscheulichkeiten waren zum Himmel hinaufgestiegen; sie schrien nach der Rache Gottes. Hier kam diese Frau aus den Grenzen Kanaans und schreit zu Ihm und sagt:
Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen (15,22).
Wenn wir uns einen Fall vorstellen könnten, der dem, was wir zuvor hatten – Schriftgelehrte und Pharisäer aus Jerusalem, voller Gelehrsamkeit und äußerer Verehrung für das Gesetz –, am meisten widerspricht, dann haben wir ihn in dieser armen Frau aus Kanaan.
Auch die Umstände waren furchtbar. Nicht nur, dass sie in Tyrus und Sidon war, was an die Gerichte Gottes erinnerte, sondern der Teufel hatte von ihrer Tochter Besitz ergriffen. Alle diese Umstände zusammen machten den Fall so beklagenswert, wie man ihn nur finden konnte. Wie sollte der Herr mit ihr umgehen? Der Herr zeigt, indem Er ihrem Fall begegnet, eine große Veränderung in seinen Wegen. Die Juden hatte Er zu Heuchlern erklärt; ihre Anbetung war für Gott unerträglich, und Er hatte es durch ihre eigenen Propheten verkündet; denn indem Er sie zu Heuchlern erklärte, tat Er es aus dem Mund ihres eigenen Propheten Jesaja. Nun kommt jemand, der nicht die geringste Verbindung zu Israel hatte. Wie würde der Messias mit ihr umgehen? Sie schreit zu Ihm und sagt: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort“ (V. 22.23).
Warum war das so? Sie befand sich auf einem völlig falschen Boden. Was hatte sie mit dem Sohn Davids zu tun? Wenn der Herr nur der Sohn Davids gewesen wäre, hätte Er ihr dann den Segen geben können, den Er in seinem Herzen hatte? Sie wandte sich an Ihn, als würde sie zu dem auserwählten Volk gehörten, das Anspruch auf Ihn als ihren Messias hatte. War es jemals verheißen, dass der Messias die Kanaaniter heilen würde? Kein einziges Wort darüber. Wenn der Messias als Sohn Davids kommt, werden die Kanaaniter nicht dabei sein. Schau dir Sacharja 14 an, wenn unser Herr König über die ganze Erde sein wird: „Und es wird an jenem Tag kein Kanaaniter mehr im Haus des Herrn der Heerscharen sein“ (Sach 14,21). Die Gerichte, die von Israel nicht gründlich ausgeführt wurden, weil sie im Vertrauen auf den Herrn untreu waren, sollen ausgeführt werden, wenn der Sohn Davids sein Erbe antreten wird. Diese Frau war darüber völlig verwirrt. Sie hatte die Überzeugung, dass Er viel mehr war als der Sohn Davids, aber sie wusste nicht, wie sie das zum Ausdruck bringen sollte. Ich denke, dass viele Menschen, die sich um ihre Sünden sorgen, das Vaterunser ausprobiert haben und den Vater gebeten haben, ihnen ihre Sünden zu vergeben, so wie sie anderen vergeben. Sie wenden sich an Gott als ihren Vater und bitten ihn, mit ihnen wie mit Kindern zu handeln. Aber genau das ist noch nicht geklärt. Sind sie Kinder? Können sie sagen, dass Gott ihr Vater ist? Sie würden davor zurückschrecken. Das ist es, was sie sich am meisten wünschen, aber sie fürchten, dass es nicht so ist; das heißt, sie haben kein Recht, sich Gott auf der Grundlage einer Beziehung zu nähern, die nicht besteht. Und wenn Menschen so verwirrt sind, bekommen sie nie gründlichen Frieden in ihre Seelen. Manchmal hoffen sie, dass sie Kinder Gottes sind, manchmal fürchten sie, dass sie es nicht sind, niedergeschlagen durch das Empfinden des Bösen in ihnen. Tatsache ist, dass sie die Sache überhaupt nicht verstehen. Sie haben ganz recht, wenn sie sich zu Gott wenden wollen, aber sie wissen nicht, wie sie es tun sollen. Sie fürchten sich davor, zu Gott zu gehen, genauso wie sie jeden Gedanken an Versprechen oder irgendetwas anderes aufgeben. Das zeigt, wie falsch es ist, wenn eine ängstliche Seele auf der Grundlage von Verheißungen Gott sucht. Es wird viel davon gesprochen, dass Sünder „die Verheißungen ergreifen“: aber die Verheißungen im Alten Testament waren für Israel, im Neuen für die Christen. Aber sie sind weder ein Israelit noch ein Christ. Eine Seele, die an diesen Punkt gebracht wird, ist verwirrt.
11 Der in Jesaja 23 und Hesekiel 26 vorausgesagte Fall von Tyrus wurde nur teilweise durch Nebukadnezar vollzogen, der Juda nach Babylon wegführte. Diese alte und fürstliche Handelsstadt am Meer wurde danach von Alexander nicht nur erobert, sondern völlig zerstört, wie Hesekiel 26,3.4 berichtet, der den Rest ihrer Bewohner in die Sklaverei verkaufte. [Ed].↩︎