Behandelter Abschnitt Mt 13,34-36
Das nächste Gleichnis deutet an, dass das Böse nicht nur die Vermischung eines falschen Bekenntnisses sein würde, sondern etwas ganz anderes würde sicher folgen. Es könnte mit dem Unkraut verbunden sein und aus ihm hervorwachsen; aber es war ein weiteres Gleichnis nötig, um das darzustellen. Ausgehend von dem kleinsten, für diese Welt bescheidensten Keim, sollte etwas entstehen, das auf der Erde riesige Ausmaße annehmen würde, das seine Wurzeln tief in die Institutionen der Menschen schlagen und zu einem System großer Macht und irdischen Einflusses aufsteigen würde. Das ist das Senfkorn, das zu einem großen Baum emporwächst, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels sich niederlassen. Letztere hatte der Herr bereits als den Bösen oder seine Abgesandten erklärt (vgl. V. 4.19). Wir dürfen niemals von der Bedeutung eines Symbols in einem Kapitel abweichen, es sei denn, es gibt einen neuen und ausdrücklichen Grund dafür, was in diesem Fall nicht der Fall ist. So haben wir das kleinste aller Samenkörner, das zu etwas wie einem Baum heranwächst; und aus diesem sehr kleinen Anfang entsteht ein Stamm mit Ästen, die groß genug sind, den Vögeln des Himmels Schutz und Heimat zu bieten. Was für eine Veränderung für das christliche Bekenntnis! Der Zerstörer ist jetzt in seinem Schoß untergebracht!
Ein anderes Gleichnis redete er zu ihnen: Das Reich der Himmel ist gleich einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Maß Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war (13,34).
Dann folgt das dritte Gleichnis, wieder von einer anderen Art. Es ist nicht ein Same, gut oder schlecht. Es ist nicht das Kleine, das jetzt hoch und groß wird, eine Schutzmacht in der Erde, und wozu? Aber hier finden wir, dass sich die Lehre darin ausbreiten würde –„Sauerteig“, der hier, wie auch anderswo, für Lehre verwendet wird. Wir haben zum Beispiel „die Lehre der Pharisäer und Sadduzäer“ (Mt 16,12), die unser Herr „Sauerteig“ nannte. Der Gedanke ist hier, das zu symbolisieren, was sich ausbreitet und das durchdringt, was ihm ausgesetzt ist.
Die drei Maß Mehl bedeuten nicht die ganze Welt, wie viele das verstanden haben und immer noch tun.9 Es ist nicht üblich, die Wahrheit auf diese Weise zu finden. Wir wissen, was das Herz ist, und wir dürfen daraus schließen, dass die Lehre, die unter dem Namen Christi so gründlich verbreitet wird, sehr weit von ihrer ursprünglichen Reinheit entfernt sein muss, wenn sie den Massen der Menschen willkommen ist. Wir haben außerdem gesehen, wie sich das Unkraut – das nichts Gutes bedeutet – mit dem Weizen vermischt hat. Wir haben gesehen, wie das Senfkorn zu einem Baum herangewachsen ist und seltsamerweise die Vögel des Himmels beherbergt, die zuvor den Samen, den Christus gesät hat, gefressen haben. Wann immer „Sauerteig“ symbolisch im Wort Gottes vorkommt, wird er nie anders verwendet, als um eine Verderbnis zu charakterisieren, die dazu neigt, aktiv zu wirken und sich auszubreiten; so dass man nicht annehmen darf, dass es sich um die Ausbreitung des Evangeliums handelt.
Die Bedeutung ist, daran zweifle ich nicht, ein System der Lehre, das eine bestimmte gegebene Masse von Menschen erfüllt und den Ton angibt. Andererseits ist das Evangelium der Same – der unbestechliche Same – des Lebens, da es das Zeugnis Gottes für Christus und sein Werk ist. Sauerteig hat nirgends etwas mit Christus oder der Vermittlung des Lebens zu tun, sondern ist ausdrücklich das Gegenteil. Daher gibt es nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen der Wirkung des Sauerteigs und dem Empfang des Lebens in Christus durch das Evangelium.
Ich glaube, dass der Sauerteig hier die Ausbreitung von Dogmen und Verordnungen darstellt, nachdem das Christentum zu einer großen Macht auf der Erde geworden war (in Anlehnung an den Baum – was historisch zur Zeit Konstantins des Großen der Fall war). Wir wissen, dass das Ergebnis dieser Entwicklung ein schreckliches Abweichen von der Wahrheit war. Als das Christentum in der Welt in Ansehen wuchs, wurden, anstatt verfolgt zu werden und ein Schandfleck zu sein, Scharen von Menschen hereingebracht. Ein ganzes Heer wurde auf das Wort des Befehls hin getauft. Nun wurde das Schwert eingesetzt, um das Christentum zu verteidigen oder durchzusetzen.
Beachte auch, dass die Auslegung auf diese Weise harmonisch weitergeht. Wir haben Gleichnisse, die verschiedenen Dingen gewidmet sind, die ein gewisses Maß an Entsprechung zueinander haben können und dennoch verschiedene Wahrheiten in einer Reihenfolge darlegen, die einer geistlichen, unvoreingenommenen Einsicht nur empfohlen werden kann. Vieles hängt von einem richtigen Verständnis dessen ab, was mit „dem Reich der Himmel“ gemeint ist. Lasst uns nicht vergessen, dass es einfach die Autorität des Herrn im Himmel ist, die auf der Erde anerkannt wird. Wenn es zu einer Sache wird, die die Welt als zivilisierende Macht auf der Erde wahrnimmt, ist es nicht mehr nur das Feld, das mit gutem Samen gesät ist, den der Feind mit schlechtem verderben kann, sondern der hoch aufragende Baum und der weit und intensiv wirkende Sauerteig. Das ist die sehr unerwartete Enthüllung, die unser Herr macht. Die Menge mag es bewundern, aber die Weisen werden es verstehen. Die Jünger mussten darüber belehrt werden, dass es einen Zustand der Dinge geben würde, der ganz anders war als das, was sie erwartet hatten: Der Messias zwar gekommen war, aber Er ging weg; während Er in den Himmeln sein würde, würde das Reich in Geduld, nicht in Macht, eingeführt werden– geheimnisvoll und noch nicht sichtbar. Dem Teufel würde erlaubt sein, darin genauso zu wirken wie zuvor, nur dass er seinen üblichen Vorteil nutzen würde, um die neue Wahrheit und den neuen Zustand, die eingeführt werden sollten, auf besondere Weise zu verderben.
Bis hierher zeigen diese Gleichnisse also das allmähliche Wachstum des Bösen. Zuerst vermischt sich ein wenig Böses mit viel Gutem, wie im Fall des Weizenfeldes. Dann das Emporkommen dessen, was bedeutend und einflussreich ist, aus dem geringen Ursprung des frühen Christentums. Anstatt Trübsal in der Welt zu haben, wird die christliche Körperschaft zu einem Gönner oder Wohltäter, der in ihr Autorität ausübt, und die Strebsamsten der Welt suchen bei ihr, was sie wollen. Danach folgt eine große Ausbreitung der Lehre, die den weltlichen Verhältnissen angepasst ist, da die Torheit des Heidentums und die Enge des Judentums den Menschen immer offensichtlicher wurde, und da ihre Interessen sie mit dem neuen weltlichen System trugen.
Beachte nun eine Veränderung. Der Herr hört auf, sich an die Menge zu wenden, die bis jetzt im Blickfeld war. Wie es heißt:
Dies alles redete Jesus in Gleichnissen zu den Volksmengen, und ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen, damit erfüllt würde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: „Ich werde meinen Mund auftun in Gleichnissen; ich werde aussprechen, was von Grundlegung der Welt an verborgen war.“ Dann entließ er die Volksmengen und kam in das Haus (13,34‒36).
Aber nun schickt Jesus die Menge fort und geht in das Haus. Ich möchte die Aufmerksamkeit darauf lenken, weil es die Gleichnisse in zwei Gruppen einteilt. Die folgenden Gleichnisse waren nicht so, dass die Menge sie sehen oder verstehen konnte. jeder kann die vorhergehenden verstehen. Es ist weltliche Weisheit, dass das Christentum eine Einrichtung ist, auf die man stolz sein kann. Doch das Bekenntnis schließt keine moralische Verantwortung in sich. Es ist Sauerteig, der tatsächlich das in sich aufnimmt, und zwar sowohl von Geburt an, dann die Gewohnheiten und Ausbreitung und so weiter.
Obwohl diese Gleichnisse verschiedene Aspekte und Zustände vorstellen, so dauert doch die Verkündigung des Wortes vom Reich allezeit an. Das ist eine Sache für sich. Ebenso gab es unter den Juden viele Feste, doch der Sabbat war eine beständige Einrichtung, die Woche für Woche wiederholt wurde. In der gesonderten Stellung dieser letzten drei Gleichnisse von den vorhergehenden vier haben wir eine Analogie zu den Festen in 3. Mose 23, wo nach dem Passah und den ungesäuerten Broten, dem Erstlingsopfer und dem Fest der Wochen eine Unterbrechung folgt; danach kommen die Feste der Posaunen, der Versöhnung und schließlich das Laubhüttenfest. Der Apostel lehrt uns, dass Christus, unser Passah, für uns geschlachtet worden ist, so dass wir das Fest der ungesäuerten Brote feiern müssen, das untrennbar damit verbunden ist. Dann haben wir die Auferstehung Christi – die Garbe der Erstlingsfrüchte, gefolgt von Pfingsten, wie wir in Apostelgeschichte 2,1 lesen: „Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war“. Das sind die Feste, die sich vorbildlich auf uns Christen beziehen und ihre Erfüllung gefunden haben. Es wäre jedoch unsinnig, das Fest der Posaunen, den Versöhnungstag und das Laubhüttenfest, die auf die ersten vier folgen, auf die Versammlung anzuwenden; sie beziehen sich auf die Juden.
Wie also in der Mitte von 3. Mose 23 die Unterbrechung eine neue Reihenfolge der Themen anzeigt, so ist es in diesem Kapitel, wo sie ebenso deutlich ist. Während die ersten Gleichnisse sich auf das äußere Bekenntnis zum Namen Christi beziehen, gehören die letzten in Sonderheit und aufs Engste verknüpft zu dem, was echte Christen betrifft. Die Menge konnte sie nicht verstehen. Sie waren die Geheimnisse der Familie, und deshalb ruft der Herr die Jünger in das Innere des Hauses, und dort offenbart er ihnen alles.
9 Wenn wir uns nur an die Schrift als ihren eigenen Ausleger wenden, würden uns die „drei Maß Mehl“ in dem Gleichnis natürlich auf die im Gesetz vorgeschriebenen Speiseopfer hinweisen. Sie sollten eine Speise für die Priester sein, die an heiliger Stätte gegessen wurde, ohne Sauerteig (siehe 3Mo 6,14-17, 1Kor 5,8). „Alles Speisopfer, das ihr dem Herrn darbringt, soll nicht aus Gesäuertem gemacht werden“ (3Mo 2,11) – die Frau hier im Gleichnis tut, was das Gesetz streng verbietet. Da Sauerteig in der Schrift immer ein Bild des Bösen ist, bedeutet das Hinzufügen von Sauerteig in das Mahl, dass man eine böse Lehre in das Brot Gottes einführt – die Nahrung seines Volkes (siehe Joh 6,32.33).
Auch die Frau in diesem Gleichnis sollte uns an Eva erinnern, die „in die Übertretung“ führte; und noch mehr an jene Frau Isebel, „die sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt und verführt meine Knechte, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen“ und so weiter (Off 2,20) – wieder das zu tun, was verboten ist (siehe 1Tim 2,12-14). Warum sollten die Ausleger den Sauerteig als das Gute interpretieren, das sich ausbreitet, oder das Evangelium, das sich die ganze Welt unterwirft? Es ist wie bei den Zwölfen in Lukas 18,31-34, zu denen der Herr von seiner Verwerfung, seinen Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung sprach; aber „sie verstanden nichts von diesen Dingen.“ In ihrer Vorstellung war das Königreich im Begriff, Israel wiederhergestellt zu werden; deshalb konnten sie die einfachsten Worte über die Verwerfung des Messias nicht verstehen. Vorurteilsbehaftete Vorstellungen verhindern die Annahme der am einfachsten ausgedrückten Wahrheit [Herausgeber der englischen Ausgabe].↩︎