Behandelter Abschnitt Amos 5,26-27
Hier haben wir dieses Prinzip auf das Gericht über Israel angewandt. Es geht nicht nur um die Kälber, die Jerobeam zu politisch-religiösen Zwecken in Dan und Bethel aufstellte. Sie werden daran erinnert, wann und wo ihr Götzendienst begann, nämlich in der Wüste. Falsche Götter waren dort Objekte der Anbetung, der Moloch und der Chiun, die sie die ganze Zeit in Anspruch nahmen, während die Leviten die Lade der Stiftshütte trugen und die Söhne Israels ihnen so sittsam folgten. Damals waren sie die Götter Ägyptens noch nicht losgeworden. Sie brachten diese Eitelkeiten mit in die Wüste; und das wird ihnen nun zur Last gelegt. „Ja, ihr habt den Sikkut, euren König, und den Kujin,6 eurer Götzenbilder, getragen, das Sternbild eures Gottes, die ihr euch gemacht hattet“ (V. 26). Beachte die Umstände. „So werde ich euch über Damaskus hinaus wegführen“ (V. 27). Das ist die Deportation in die Städte der Meder. Stephanus sagt über Babylon hinaus (und so war es tatsächlich), vielleicht um sich von der babylonischen Gefangenschaft zu unterscheiden (Apg 7,43). Dies war das Ergebnis der alten Sünde in der Wüste. Zweifellos war die Sünde am Ende noch krasser; der dunkle Strom sammelte immer weitere Beiträge zu seinem Volumen. Die Wassermassen flossen an seiner Mündung mächtiger hinab als am Anfang seines Laufes. Dennoch geht Gott immer wieder zur Quelle zurück und erklärt schließlich, dass durch den ersten Ausbruch der endgültige Schlag kam. Die Gefangenschaft Israels war die Folge der Sünde ihrer Vorväter in der Wüste, und nicht nur der Sünden, die sie in dem Land, das Gott ihnen zugewiesen hatte, hinzugefügt hatten. Natürlich gab es viele und bittere Verschlimmerungen im Land; aber die Übel, die im Land herrschten, waren die Folge eines Versäumnisses, die Schlechtigkeit in der Wüste zu richten. So ist es auch praktisch mit jedem Christen.
Zweifellos kann und wirkt die Gnade auch jetzt bei einem Christen, auch dort, wo er vielleicht ernstlich abgeglitten ist, wo aber eine tiefe und gründliche Reue folgte und das Gefühl der Vergebung, die der Geist gewährt. Das wäre sozusagen der letzte Ansatzpunkt, und die Gnade würde, wenn sie darüber hinausgeht, ihn zum Guten gebrauchen. Er ist nicht nur treu und gerecht, um zu vergeben und zu reinigen (1Joh 1,9), sondern Er liebt es, denjenigen, der versagt hat, wenn er wiederhergestellt ist, in einen besseren Zustand zu bringen, als er ihn je zuvor gekannt hatte. Das sehen wir bei Simon Petrus am Ende der Evangelien und am Anfang der Apostelgeschichte. Und so wird es mit Israel an einem zukünftigen Tag sein. Aber Selbstgericht, wo immer es gründlich ist, wo immer es eine Rechtfertigung Gottes gegen die eigene Sünde gibt, bringt einen im Maß der Reue immer in ein entsprechendes Maß an Tiefe in Gottes Gnade, das man nie zuvor besaß. Es gibt wenige Dinge, die häufiger vorkommen, als eine Person zu sehen, die sich auf eine Art und Weise bekehrt, die man als oberflächlich bezeichnen könnte. Wo das der Fall ist, kommt es gewöhnlich zu einem Sturz in offenes Versagen der einen oder anderen Art, manchmal zu einem beschämenden Zusammenbruch, durch den der Mensch wirklich zu nichts Geringerem wird als zu einem Sack voller gebrochener Knochen, der in seinen eigenen Augen gründlich zu nichts mehr taugt. Danach, wenn die Gnade ihn aufgerichtet hat, wird er unvergleichlich demütiger sein und ein dankbareres sowie ein deutliches Empfinden dafür haben, was Gott ist, als er es bei seiner ersten Bekehrung hatte. Obwohl es also eine Schande für ihn ist, dass er einen solch demütigenden Prozess benötigte, ist es der Triumph der göttlichen Gnade, seine Torheit zu benutzen, um den, der wiederhergestellt wird, in einen besseren Zustand zu versetzen, als den, bevor er in die Irre ging.
Aber wenn Petrus das wusste und brauchte, so brauchte es Saulus von Tarsus nicht; und ich habe keinen Zweifel, dass bei der frühen Arbeit in der Seele des Letzteren das Eisen unvergleichlich tiefer eingedrungen ist als in irgendeinen der Zwölf. Es ist in der Tat immer ein Grund zur Dankbarkeit, wenn eine Seele am Anfang ein gesundes und schweres Werk durchläuft; das heißt, wenn es nicht nur Freude und Trost ist, sondern das Gewissen befähigt wird, in Bezug auf unsere Sünden voll vor Gott zu stehen, wenn wir alles, was wir gewesen sind, ernsthaft erkennen und in seiner Gegenwart gründlich gesiebt werden. Sicherlich sollte diese innere Arbeit das Vertrauen auf Gott nicht behindern. Das sollte niemals der Fall sein; denn die Gnade wird in der vollsten und absolutesten Weise gepredigt, wenn der Mensch aufgerufen und befähigt wird, zu erforschen und zu bekennen, was er in Gottes Augen ist. Auf der anderen Seite ist es nicht nötig, dass ein Mensch durch eine äußerlich böse Tat zu einem tiefen Empfinden der Verderbtheit und des Verderbens gekommen ist. Paulus war, dessen können wir sicher sein, sein ganzes Leben lang ein gewissenhafterer moralischer Mensch als irgendeiner der Apostel; und doch erkannte keiner die Ungerechtigkeit seines Herzens so wie er. Es ist also sehr wohl möglich, durch die Gnade die beiden Dinge zu verbinden, die in der Tat nach Gott zusammengehören und gefährlich sind, wenn man sie trennt: ein reiches und unerschütterliches Empfinden für die Gnade Gottes in der Erlösung, die in Christus Jesus ist; und ein tiefer (je tiefer, desto besser) moralischer Prozess in der Seele, wenn sie sich selbst, und nicht nur ihre Taten, vor Gott beurteilt. Es sollte offensichtlich sein, dass dies die Art der Bekehrung ist, die Gott moralisch am meisten verherrlicht. Es ist die, die wir im Fall von Saulus von Tarsus als Beispiel sehen. Soweit ich weiß, gab es nie einen Mann, der weniger Selbstgerechtigkeit hatte – nie einen, der die Gnade Gottes in gleicher Weise erkannte. Wo also wurde ein Mensch zu einem so großen Segen für die ganze Versammlung Gottes? Aber wo man anfangs mehr von der Zuneigung als vom Gewissen angezogen wurde, da folgt immer die Arbeit im Gewissen, wo die Bekehrung wirklich ist; selbst da, wo die innere Arbeit verhältnismäßig oberflächlich war, kann es die Notwendigkeit mancher moralischer Behandlung geben, manchmal in Schmerz und Scham, wie wir im Fall von Petrus sehen. Ich glaube nicht, dass es Petrus erlaubt gewesen wäre, seinen Herrn zu verleugnen und das auch noch in aller Öffentlichkeit zu wiederholen und zu schwören, wenn nicht eine gehörige Portion Selbstgerechtigkeit zusammen mit einem Eifer vorhanden gewesen wäre, der ihn leicht in die Gefahr brachte, aber nicht in der Lage war, ihn sicher herauszubringen. Dennoch ist der Herr immer gut, und seine Gnade ist zärtlich und rücksichtsvoll, wie auch heilsam und heilig. Unterschiede gibt es bei den Menschen; aber nie etwas anderes als das, was gut ist in Gott.
6 So ist wahrscheinlich die Bedeutung des schwierigen Wortes Chiun.↩︎