Behandelter Abschnitt Hos 3,3-5 „Und ich sprach zu ihr: Du sollst mir viele Tage so bleiben“, sagte der Prophet zu ihr; „du sollst nicht huren und keinem Mann angehören [d.h. weder in Sünde noch in rechtmäßigem Eheleben]; und so werde auch ich dir gegenüber tun“ (V. 3) – sein Herz und seine Sorge hier, nicht zu ihr als ihrem Ehemann, sondern zu ihr in Zuneigung als einem Freund. Die Auswirkung davon auf Israel wird als nächstes erklärt: „Denn die Kinder Israel werden viele Tage ohne König bleiben und ohne Fürsten und ohne Schlachtopfer und ohne Bildsäule und ohne Ephod und Teraphim. Danach werden die Kinder Israel umkehren und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen; und sie werden sich zitternd zu dem Herrn und zu seiner Güte wenden am Ende der Tage“ (V. 4.5).
Hier gibt es viele wichtige Punkte, die wir weder aus Kapitel 1 noch aus Kapitel 2 hätten entnehmen können. Wir haben in Kapitel 1 die allgemeine Lage bis zum Ende gesehen; wir haben in Kapitel 2 gewisse Einzelheiten über Israel erfahren; aber Kapitel 3 stellt uns den ernsten Beweis vor, dass die Erniedrigung Israels eine höchst ausgeprägte und besondere Isolierung mit sich bringen würde, und dass sie nicht eine vorübergehende Heimsuchung, sondern ein anhaltender Zustand sein würde, während die Gnade am Ende mehr denn je segnen würde. „Denn die Kinder Israel werden viele Tage ohne König bleiben.“ Das hätte man aus der Sprache der vorangegangenen Kapitel nicht schließen können. Deshalb wäre das Bild ohne diesen Satz nicht vollständig gewesen. Daher gibt uns der Geist Gottes, getreu der Absicht Gottes, in diesen wenigen Worten genug, um den Einwänden dessen zu begegnen, der sich darüber beschweren könnte, dass das Christentum eine so unermessliche Zeit als die Periode der Verblendung Israels und des Abfalls von Gott voraussetzt. Die Antwort ist, dass der jüdische Prophet so viel sagt, und dadurch lässt der Herr Raum für all das, was in der Zwischenzeit geschehen würde. Natürlich nicht so, dass „viele Tage“ zunächst den Gedanken an Jahrhunderte als notwendige Bedeutung vermitteln würde, sondern dass, wenn die Zeit länger wurde, man sehen konnte, dass alles vorhergesehen und vorausgesagt worden war.
Aber es gibt noch mehr. Denn sie sollten „ohne König … und ohne Fürsten und ohne Schlachtopfer und ohne Bildsäule und ohne Ephod und Teraphim“ bleiben. Weiterhin sollten sie keine Götzensäulen oder -bilder aufstellen, wie sie es bis zur Gefangenschaft häufig getan hatten; und so wie sie ohne Ephod, das charakteristische Priestergewand, sein würden, würden sie auch nicht auf Schutzgötter zurückgreifen, wie sie es zu tun pflegten, um die Zukunft vorauszusehen. Sie sollten weder einen König haben wie vor der Gefangenschaft, noch einen Fürsten, wie die Juden nach ihrer Rückkehr aus Babylon hatten. Israel hatte danach keins von beidem; und selbst die Juden verloren, was sie hatten, nicht lange nachdem Christus kam. Wiederum würden sie „ohne Schlachtopfer“ sein, ihre heilige wie auch zivile Ordnung war am Ende; denn was ist das Gesetz ohne ein Opfer? Es ist also ein Zustand, der seit der Verwerfung des Messias viel wahrer ist als bis zu jener Übergangszeit, als der Messias zu ihnen kam; denn obwohl sie keinen König hatten, hatten sie doch eine Art fürstlichen Herrschers. Sicherlich gab es in den Tagen des Herrn unter der Autorität des Römischen Reiches einen untergeordneten König oder Herrscher, der in gewissem Sinn als Fürst bezeichnet werden konnte. Sie sollten auch nicht nur ohne die Anbetung des wahren Gottes sein, sondern sogar ohne die falschen Götter, denen sie früher verfallen waren.
Dies beschreibt also eindeutig den gegenwärtigen Zustand Israels – das unnormalste Schauspiel, das die Welt je gesehen hat – ein Volk, das von Jahrhundert zu Jahrhundert ohne irgendeines jener Elemente weitergeht, die für den Fortbestand eines Volkes als wesentlich angesehen werden. Denn sie haben ihren König und ihren Fürsten verloren, sie haben weder Gott noch einen Götzen. Sie sind nicht in der Lage, ein Opfer darzubringen, da sie niemanden haben, der als Priester infrage kommt. Sie sind zum Teil, weil Babylon sie in die Gefangenschaft führte, zum Teil, weil Titus Jerusalem zerstörte, buchstäblich ohne jene Stammbäume, die die Priester besitzen und vorweisen müssen, um ihren Anspruch auf den Dienst an heiliger Stätte zu beweisen. Was auch immer sie vorgeben, sie können nichts beweisen, und doch werden sie von Gott aufrechterhalten.
So haben wir hier in einem einzigen Vers unseres Propheten das vollständigste Bild ihres gegenwärtigen Zustandes, das im Wort Gottes zu finden ist – ein Bild, von dem kein Jude leugnen kann, dass es eine Beschreibung ihres tatsächlichen Zustandes ist. Je ehrlicher sie sein mögen, desto mehr müssen sie die lebendige Wahrheit der Darstellung anerkennen. Nun, dass Gott keine Verbindung mit irgendetwas auf der Erde haben würde – dass Er keinen Zweck auf eine bestimmte Art und Weise zu seiner eigenen Herrlichkeit ausführen würde – wäre eine ungeheure, die nur für den wildesten epikureischen Träumer geeignet wäre, und einer praktische Verleugnung des lebendigen Gottes gleichkäme. Folglich ist es das Einfachste, was wir alle verstehen können, dass Gott diese Zeit des Rückzugs Israels für die Erfüllung anderer Ratschläge benutzt. Der Jude wird nach und nach zugeben, dass er unentschuldbar ungläubig in seinen Wegen und irrend in seinen Gedanken war. Er hatte hier wenigstens die negative Seite des Bildes, seinen eigenen rätselhaften Zustand, das Volk Gottes, das nicht sein Volk ist, eine Nation ohne Regierung und, was noch seltsamer ist, ohne falschen Gott und doch ohne den wahren, die weder Priester noch Opfer haben. Der Geist Gottes gibt die positive Seite im Neuen Testament, wo wir inzwischen die Berufung der Heiden haben, und darin die Sammlung der Gläubigen zur Versammlung – zum Leib Christi.
Aber zusätzlich zu allem enthält der letzte Vers eine weitere, sehr deutliche Offenbarung, die niemand außer voreingenommenen Menschen übersehen könnte, dass Gott mit Israel nicht abgeschlossen hat. Es ist also nicht wahr, dass die Söhne Israels in der Christenheit aufgehen würden. Es wird gesagt (V. 5), dass sie sich danach nicht umwenden, sondern „umkehren“ und den Herrn, ihren Gott, suchen werden. Dies ist keine Beschreibung dafür, dass sie Glieder des Leibes Christi werden oder die neuen und tieferen Offenbarungen des Neuen Testaments empfangen. Sie werden niemals als Nation den himmlischen Leib Christi bilden, weder ganz noch teilweise. Sie werden in Gottes Gnade durch den Glauben an den Herrn Jesus gerettet werden, aber eher nach dem Maß, das ihren Vätern gewährt wurde, als uns jetzt, mit der Abänderung der offenkundigen Herrschaft des Herrn (vgl. Jes 11; Lk 1; Röm 11). Einzelne Menschen werden jetzt natürlich Christen und dadurch folglich aus ihrem Zustand des Judentums herausgeführt. Doch hier haben wir einen anderen und zukünftigen Zustand der Dinge, der sich in mancherlei Hinsicht von allem unterscheidet, was war, oder von allem, was ist, obwohl es nur einen Heiland und nur einen Geist und nur einen Gott, den Vater, gibt. „Danach werden die Kinder Israel umkehren und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen“ – nicht das erhabene Haupt im Himmel noch das Evangelium als solches, sondern – „den Herrn, ihren Gott.“ Ich gebe zu, es ist derselbe Gott, aber als der Herr. Es ist nicht die Offenbarung seines Namens, wie der Messias (als Er verworfen wurde und vor allem gestorben und auferstanden war) Ihn bekanntmachte: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17). Es ist nicht der Name des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, auf den wir im Wasser getauft werden. Hier ist es vielmehr die Form und das Maß, das dem Volk von einst zugesprochen wurde. Kurz gesagt, es ist Gott, der nach jüdischer Art bekanntgemacht wird. Und was dies bestätigt, ist der nächste Ausdruck: „und David ihr König“ – dieselbe gepriesene Person, sogar der Messias, der diese beiden Herrlichkeiten in seiner Person vereint, wenn auch die erstere natürlich nicht ausschließlich.
Offensichtlich haben wir es also mit einem Zustand zu tun, der sich vom Christentum deutlich unterscheidet. Der Targum und die rabbinischen Ausleger bestätigen, dass David hier eine Bezeichnung für den Messias ist. „Und sie werden sich zitternd zu dem Herrn und zu seiner Güte wenden am Ende der Tage.“ So haben wir in diesem Abschnitt nicht nur den gegenwärtigen unnormalen Zustand Israels, sondern auch die zukünftige Wiederherstellung ihrer Glückseligkeit, wenn sie mehr besitzen werden, als sie jemals besessen haben.5 Wenn das „Ende der Tage“ nach der bekannten Regel von Kimchi und anderen jüdischen Ärzten die Tage des Messias bedeuten, zeigt das Neue Testament, dass die Frage noch zwischen den Tagen seiner ersten Ankunft oder denen seiner zweiten entschieden werden muss. Der Zusammenhang beweist, dass diese Tage im Alten Testament immer auf seine Herrschaft in Macht und Herrlichkeit hinweisen; aber verschiedene Stellen in den Psalmen und den Propheten bezeugen seine tiefe Erniedrigung und seinen Tod ebenso deutlich wie seine zukünftige Herrschaft über Israel und die Erde. Die Juden und die Heiden liegen aus Mangel an einfältiger Einsicht ohne Verwechslung des Neuen Testaments mit dem Alten ganz, wenn nicht gleich falsch.
Der Rest der Prophezeiung besteht aus den entrüsteten Appellen des Heiligen Geistes an das Gewissen wegen des zunehmenden Bösen Israels – nicht so sehr das Gericht Gottes im großen Stil und seine Gnade am Ende, sondern sein Volk wird veranlasst, sich selbst immer wieder und in jeder Klasse zu sehen, angesichts seiner geduldigen, aber gerechten Wege mit ihnen. Ich meine nicht, dass wir hier, besonders am Ende, nicht das finden werden, was der Herr in seiner Güte tun wird, aber es besteht vielmehr aus Darstellungsskizzen Israels in moralischer Hinsicht. Seine Handlungen und Anprangerungen vergleichen den damaligen tatsächlichen Zustand mit der Vergangenheit, aber der Geist der Weissagung wirft auch einen Blick in die Zukunft. Dies findet sich auch im Rest der Prophezeiung, die nicht nur mit einem Aufruf zur Umkehr schließt, sondern mit der endgültigen Zusicherung der Barmherzigkeit, der Liebe und des reichen Segens des Herrn für Israel. So enden die beiden Abschnitte gleichermaßen mit dem innerlich und äußerlich gesegneten Israel auf der Erde zum Lob des Herrn, ihres Gottes, abgeschlossen mit einem moralischen Appell und einer Warnung am Ende (Hos 14,9).
5 Dr. Henderson übersetzt den letzten Satz: „werden zitternd zu dem Herrn und zu seiner Güte eilen.“ Seine Güte wird sie anziehen, aber auch überwältigen. Es ist ein echtes und frommes Empfinden, aber in Übereinstimmung mit ihrer Beziehung – kaum mit der des Christen; und so spricht das Neue Testament nie in genau der gleichen Weise. Es ist unklug und untreu, die Schrift zu verbiegen.↩︎