Das kleine Horn wird in der Schrift sonst der König des Nordens genannt. Da er im Norden ist, weitet er seine Herrschaft nach Sünden und nach Osten und gegen das Land Israel aus, das Land der Zierde. Meine Gründe für diese Ansicht, abgesehen von der Richtung seiner Eroberungen (die zeigt, wo seine eigene Macht lag und von welchem Punkt er ausging), werden besonders deutlich werden, wenn wir zu Vers 11 kommen. Was wir hier haben, ist die Aufeinanderfolge dieser beiden Reiche – zuerst Persien und dann Griechenland. Denn aus einem der Fragmente des griechischen Reiches entsprang ein König, der später eine äußerst wichtige Rolle in Verbindung mit dem Land und dem Volk der Juden spielen sollte. Dies ist der große Punkt des Kapitels.
Und es wurde groß bis zum Heer des Himmels, und es warf vom Heer und von den Sternen zur Erde nieder und zertrat sie (8,10).
Mit den Sternen sind, wie ich annehme, die gemeint, die vor dem jüdischen Volk eine Position der Ehre und Herrlichkeit einnahmen. So werden die Sterne im Neuen Testament als Symbol für die verwendet, die in der Versammlung einen Platz der Autorität einnehmen. Genauso denke ich, dass das „Heer des Himmels“ hier auf Personen hinweist, die im jüdischen Gemeinwesen einen Platz der Autorität innehatten. Das ist der Schlüsselbegriff für diesen ganzen Teil der Prophezeiung. Die Wichtigkeit all dessen, was Israel betrifft, wird nun mehr und mehr ins Blickfeld gerückt. Daher wird ein Ausdruck verwendet, der stark erscheinen mag – „das Heer des Himmels“. Aber das darf uns nicht überraschen. Gott hat das allergrößte Interesse an seinem Volk. Bedenke, dass dies nicht bedeutet, dass sein Volk in einem guten Zustand war. Im Gegenteil, wenn wir über Versagen urteilen, müssen wir die Lage berücksichtigen, in der sich das Volk befand, und für die es verantwortlich ist. Wenn wir die Christenheit betrachten, müssen wir bedenken, dass alle, die den Namen Christi bekennen, ob echt oder falsch – jeder Getaufte – jeder Mensch, der den Namen Christi anerkennt, im Haus Gottes ist. Die Menschen bilden sich ein, dass nur die, die wirklich bekehrt sind, moralische Verpflichtungen haben. Das ist ein völliger Irrtum. Eine neue Art von Verantwortung ergibt sich zweifellos aus der Tatsache der Bekehrung und den Beziehungen der Gnade.
Aber es gibt eine Verantwortung, die eine gewaltige Zunahme an Schuld mit sich bringt, wenn Menschen sich an irgendeinem Ort des Vorrechts befinden. Das ist eine sehr ernste Wahrheit, und Gott misst ihr große Bedeutung bei. Schau dir den zweiten Brief an Timotheus an. Das Haus Gottes wird dort mit einem großen Haus unter den Menschen verglichen, und darin gibt es Gefäße zur Unehre wie zur Ehre. Die Ersteren sind überhaupt nicht bekehrt; sie mögen ganz schlechte Menschen sein, aber dennoch wird gesagt, dass sie Gefäße im Haus Gottes sind. Die Kirche, die den Namen Christi auf der Erde trägt, ist immer dafür verantwortlich, als die Braut Christi zu wandeln. Doch man kann nicht auf ein solches Privileg und eine solche Verantwortung anspielen, ohne das völlige Verderben, das Versagen und den Niedergang dessen zu sehen, was seinen Namen trägt. Und das ist die praktische Wichtigkeit, die Stellung im Blick zu behalten, die Gott uns zugewiesen hat. Wir können nie beurteilen, wie tief wir gesunken sind, bis wir den Platz sehen, an den Gott uns zuerst gestellt hat. Angenommen, ich muss meinen Weg als Christ prüfen, dann muss ich daran denken, dass ein Christ ein Mensch ist, dessen Sünden vergeben sind und dass er ein Glied am Leib Christi ist und mit derselben Liebe geliebt wird, mit der der Vater den Sohn geliebt hat. Manche sind gewohnt zu denken, dass, wenn ein Mensch kein Jude oder Türke oder Heide ist, er ein Christ sein muss. Aber wenn ein Gläubiger hört, dass ein Christ jemand ist, der zu einem König und Priester Gottes gemacht ist – ein gereinigter Anbeter, dessen Gewissen nicht mehr mit Sünden beladen ist –, wird er ängstlich und fühlt, dass er keine richtige oder vollständige Vorstellung von seiner eigenen Berufung und Verantwortung hat. Er beginnt dann, in Christus einen anderen Maßstab für sein Urteil zu finden, um zu messen, wie er für Gott fühlen und arbeiten und sein Leben führen sollte.
Dasselbe gilt hier für Israel. Die, die diesen Platz der verantwortlichen Autorität in Israel innehatten, werden hier als das Heer und die Sterne des Himmels bezeichnet. Sie wurden von Gott an einen Platz der Autorität gestellt. Denn wir müssen uns im Zusammenhang mit Israel daran erinnern, dass sie das Volk sind, das in den Gedanken Gottes den ersten Platz auf der Erde hat. Sie sind das Haupt, und die Nationen sind der Schwanz (5Mo 28,13.44; Jes 9,13‒15). Ich bin mir bewusst, dass dies ein neuer Gedanke für Menschen ist, die gewohnt sind, die Juden mit einem Hauch von verächtlichem Mitleid zu betrachten und sie nur nach ihrem derzeitigen erniedrigten Zustand zu beurteilen. Aber um richtig zu urteilen, müssen wir die Dinge mit den Augen Gottes betrachten, wir müssen mit Gott empfinden; und Gott benutzt diese klare Sprache in Bezug auf Personen, die früher in eine Position äußerer Autorität unter den Juden gesetzt wurden. Kommentatoren haben angenommen, dass mit diesem Ausdruck Christen gemeint sein müssen, weil von bestimmten Christen in solch erhabenen Begriffen gesprochen wurde. Aber als Gottes Volk nahm Israel in seinen Gedanken den ersten Platz in der Regierung der Welt ein. Das ist ihre Berufung; und „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29). Gott wird niemals den großen Gedanken aufgeben, dass Er Israel an diesen Platz berufen hat; und sie werden dementsprechend gerichtet. Diese Vision geschieht zu einer Zeit, als die Macht von Babylon noch nicht gerichtet war. Sie gibt einen Ausblick auf das, was in den letzten Tagen in Bezug auf Israel Wirklichkeit werden wird, bevor die Macht, die mit Babylon begann, vollständig beseitigt ist.