Behandelter Abschnitt Klgl 5,1-2
Das letzte Kapitel unterscheidet sich von allen vorhergehenden dadurch, dass die alphabetische Reihe fehlt, obwohl es offensichtlich zweiundzwanzig Verse wie in anderen Fällen gibt, mit der Änderung, die wir in Kapitel 3 und seinen Triolen gesehen haben. Auch innerlich nähert sich der Klagegesang mehr dem Charakter eines Gebetes sowie einer knappen Zusammenfassung des zuvor geschilderten Leids. So sagt der Prophet:
Gedenke, HERR, dessen, was uns geschehen ist! Schau her und sieh unsere Schmach! Unser Erbteil ist Fremden zugefallen, unsere Häuser Ausländern (5,1.2).
Es war nicht nur ein menschliches oder natürliches Empfinden ihres Verlustes und ihrer Erniedrigung. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Israel das Land, das sie besaßen, vom Herrn erhalten hatte. Zweifellos hatten sie die Kanaaniter vertrieben oder unterjocht. Nach menschlichem Ermessen besaßen sie es durch das Recht der Eroberung. Aber den Erfolgen Josuas lag eine tiefere Tatsache zugrunde. Gott gab ihnen die Kraft, das verdorbenste Volk, das damals auf der Erde lebte, niederzuschlagen, das in ein Land eingedrungen war, das Er von Anfang an für sie vorgesehen und den Vätern durch Verheißung gegeben hatte. Denn „als der Höchste den Nationen ihr Erbe austeilte, als Er voneinander die Menschenkinder trennte, da stellte er die Grenzen der Völker fest nach der Zahl der Kinder Israel (5Mo 32,8). Leider nahmen sie den Segen nicht als Verheißung durch den Glauben auf der Grundlage der Gnade Gottes an, sondern unter der Bedingung ihrer eigenen Treue zum Gesetz – eine Bedingung, die für den Sünder notwendigerweise tödlich ist. Daher das Unheil und schließlich der Ruin, den Jeremia hier zu Gott hinausstöhnt. Aber der Anspruch, den Mose in 5. Mose 32 als seine Absicht in Bezug auf sein Volk darstellte, ist zu beachten; denn der Höchste ist sein Name im Friedensreich, mehr als jeder andere, und daher der, mit dem Melchisedek charakterisiert wird, der den Tag des Segens verkörpert, nachdem der Sieg über die angreifenden und zuvor triumphierenden Könige der Heiden errungen ist. So gibt es am Ende eine sichere Hoffnung für das zerstreute und gezüchtigte Volk Gottes. Wie bitter war allerdings der Anblick, dass ihr Erbteil an die Fremden, ihre Häuser an die Fremden übergegangen waren!