Behandelter Abschnitt Dan 10,11.19
Dan 10,11.19 - „Du Vielgeliebter“
Dieser schöne Beiname sagt sicher jedem Bibelleser sehr viel. Auch in uns sollte das tiefe Verlangen erwachen, mit einem ähnlichen Beinamen ausgezeichnet zu werden. Gewiß erfreute sich Daniel von Kindesbeinen an vieler Vorzüge. Schon der von seinen gottseligen Eltern gewählte Name „Daniel“ (Gott ist mein Richter) bezeugt, daß er unter göttlichem Einfluß erzogen wurde; was zwar nicht immer die Garantie für einen späteren untadeligen Wandel ist, das sehen wir leider bei den Söhnen des gottesfürchtigen Samuel (1Sam 8,3). Nach Kapitel 1 zu schließen, muß Daniel auch nach außen hin sehr gewinnend gewesen sein. Saul und Absalom waren beide schön von Gestalt, das machte sie jedoch noch lange nicht zu „Vielgeliebten“ Gottes. Gott nimmt Abstand vom Äußeren und achtet auf die Herzensgesinnung. Daniel war auch in jeder Hinsicht ein Vie1begehrter. In jungen Jahren vielbegehrt von Nebukadnezar und im hohen Alter nicht weniger geschätzt von Darius. Ohne allen Zweifel hatte Daniel Liebe gesät und die Frucht der Aussaat geerntet; nichtsdestoweniger hatte er viele Neider. Menschen hätten ihm den schönen Beinamen „Vielgeliebter“ nicht verliehen, aber Gabriel, der vor Gott steht, wurde beauftragt, diese Auszeichnung zu übermitteln. Erinnert uns das Wort „Vielgeliebter“ nicht zugleich an einen Größeren als Daniel, an den Sohn Gottes, von welchem die Schrift sagt „Mein Geliebter“ (Mt 12,18). Menschen und Engel sollten wissen, daß Daniel seiner tückenlosen Treue und seines ungeteilten Herzens wegen von Gott ausgezeichnet wurde. Ja, die Augen des Herrn durchlaufen die ganze Erde, um sich mächtiglich an denen zu erweisen, die ungeteilten Herzens sind. Gewiß sind wir alle geliebt, dafür bürgt die Tatsache von Joh 3,16, aber die spezielle Auszeichnung „Vielgeliebter“ kommt einer gang persönlichen Hochschätzung gleich. Versuchen wir nun, einige Punkte hervorzuheben, die zu Daniels Auszeichnung führten:
Die Übergabe an Gott. Wann sie sich vollzog, wird uns in Daniels Geschichte nicht direkt gesagt. Vielmehr steht er von dem Augenblick an, da wir ihn kennen lernen, als ein schon an Gott hingegebener vor uns. Seine Übergabe an Gott hat also ohne allen Zweifel vorher stattgefunden. Es wird ja keiner auf dem schmalen Weg geboren, jeder muß eine persönliche Entscheidung vor der engen Pforte treffen. Ohne Übergabe an Gott kann sich niemand den Zunamen „Vielgeliebter“ erwerben. Wer also eine Auszeichnung und besondere Anerkennung vom Herrn erwartet, muß zuerst persönlich zu Ihm gekommen sein.
Das abgesonderte Leben. Daniels Leitsatz war: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott.“ Nur wahrhaft von Welt, Sünde und Fleisch Abgesonderte werden Gott gefallen, wie geschrieben steht: „Die aber im Fleische sind, können Gott nicht gefallen“ (Röm 8,8). Gott hat die Seinen aus der Welt herausgenommen, damit Er sie für sich selbst, für Seine Zwecke und Dienste habe. Zwar sind wir noch in der Welt, gehören aber nicht mehr der Welt.
Seine frühe Frömmigkeit. Sie ist das höchste Gut eines jungen Menschen. Wir erinnern an Männer wie Josef, Samuel, David, Josia, Timotheus u. a.. Wahre Gottseligkeit von Jugend an, kann nie hoch genug eingeschätzt werden. Sie offenbart so viel Reines, Edles, Offenes, Ehrliches. Daniel lebte als Jüngling in einer Umgebung, in der die meisten völlig versagen; er aber blieb standhaft! Sinnlichkeit, Luxus, Hoffart und Hochmut feierten am babylonischen Hofe ihre höchsten Triumphe. Der junge Daniel aber hatte seine Lust an dem Herrn. Sein schönes Aussehen und seine außergewöhnliche Klugheit, die ihm manchen Vorteil bei den Großen dieser Welt einbrachten, waren, wie anzunehmen ist, auch eine Quelle schwerer Versuchungen. Der Feind macht auch vor den frömmsten nicht halt. Aber wahre Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze und hat die Verheißung dieses uns des zukünftigen Lebens. Sie war auch bei Daniel die Grundlage seines gesegneten Lebens.
Seine Ausdauer. Bei manchen Gläubigen ist es leider wie bei jenen in Galatien, von denen Paulus sagen mußte: „Ihr liefet fein, wer hat euch betört?“ Von einem Demas wird gesagt: „Er hat den Zeitlauf dieser Welt wiederum lieb gewonnen.“ So war es bei Daniel nicht. Je höher er in seinen Ämtern stieg, desto mehr klammerte er sich an seinen Gott. Weder die bösen Pläne der Feinde, noch die Schmeicheleien seiner Zeitgenossen vermochten seine Gottseligkeit zu beeinflussen. In Sonnenschein und Stürmen war er immer derselbe. Bedenken wir, daß Daniel einsam und aller Gottesdienste beraubt war, deshalb pflegte er um so mehr die Gemeinschaft mit Gott.
Seine Kraftquellen. Es werden besonders zwei genannt:
Das Gebet. Der verborgene Umgang mit Gott zog sich durch Daniels ganze Laufbahn hindurch und wurde je länger je stärker. Er betete regelmäßig und überall, in seiner Kammer, am Ufer des Flusses Ulai, zusammen mit seinen Freunden, und gewiß auch in der Löwengrube. Durch das Gebet erhielt er Gesichte und deren Auslegung. Das Gebet ist eine Frucht, die aus dem Glauben kommt; es führt den Gläubigen in die Gedanken Gottes ein und bewahrt vor dem Fall. E5 ist die Quelle der Kraft und der Segnungen. Gläubige, die nicht beten, sind daher matt, freudeleer und ohne göttliche Aufträge.
Die Schrift. Daniel forschte in den Schriften (Kapitel 9, 2). Im Gebet redete er mit Gott und durch die Schrift redete Gott mit ihm. Das gilt auch noch für heute. Wenn wir keine Einblicke in die Tiefen der Gedanken Gottes mit den Völkern haben, so beweisen wir damit unser mangelhaftes erforschen der Schrift. Die Schrift macht aber auch Weise und erläutert Herz und Sinn. So war Daniel rein wie Josef und weise wie Salomo.
Sein Glaube. Unter den vielen Glaubenshelden in Hebr. 1l befindet sich auch Daniel. Wer glaubt, gefällt Gott (Heb 11,6). Daniel vertraute und rechnete mit Gott in jeder Lage. So glaubte Daniel, daß Gott ihn bei Gemüse und Wasser genau so stärken könne wie andere durch die Tafelkost des Königs. Er glaubte, daß Gott ihm den Traum Nebukadnezars offenbaren könne, und er wurde nicht enttäuscht. Im Glauben verstopfte er der Löwen Rachen. Wer glaubt, erlebt Gott und ehrt Ihn!
Seine Gewissenhaftigkeit. Der Herr sagt: „Wer im Kleinen treu ist, der ist auch treu im Großen, und wer im Geringsten ungerecht ist, ist auch im Großen ungerecht“ (Lk 16,10). Und wiederum: „Wenn ihr in dem ungerechten Mammon nicht treu gewesen seid, wer wird euch das wahrhaftige anvertrauen?“ Mit der gleichen Treue, mit der Daniel vor Gott wandelte, stand er auch vor seinem König. Er hat des Herrn Wort: „Gebet dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist“ im vollen Sinne des Wortes ausgelebt. So war er in Gunst bei Gott und erhielt große Offenbarungen; desgleichen stand er beim König in hohem Ansehen und bekleidete höchste Ämter. Wer sich im irdischen Beruf nicht bewährt, taugt auch nichts im Reiche Gottes. Und wie vorbildlich hat Daniel seine Treue vor allem als Sprecher Gottes behauptet. So war er voll Unerschrockenheit und Güte, unbestechlich und gerade, ein Feind alles bloßen Scheines. Wohl tat es ihm weh, seinem König harte Worte sagen zu müssen, aber er schonte ihn keineswegs aus Menschenfurcht, sondern rief ihm vielmehr zu: „Brich mit deinen Sünden!“ Auch vor Belsazar zitterte Daniel nicht, als er ihm jene harte Strafrede halten mußte (Kapitel 5). Zwar brachte ihn seine Gewissenhaftigkeit am Ende seines Lebens in die Löwengrube, aber weder Freund noch Feind vermochte ein Vergehen bei ihm zu finden. Schließlich erwähnen wir noch:
Seine Selbstlosigkeit. Daniel gab Gott allein die Ehre. Er blieb der kleine Mann in seinen eigenen Augen. Stets trat er in den Hintergrund. Vor Nebukadnezar bezeugte er in aller Bescheidenheit, daß die Traumoffenbarung nichts mit ihm oder seinem Wissen zu tun habe, sondern mit Gottes Güte allein. So wenig wie Petrus das Wunder am Lahmen seiner Frömmigkeit zuschrieb, ebensowenig schrieb Daniel, seiner eigenen, anderen zehnmal überlegenen Weisheit, irgend ein Können zu. Er verzichtete auch auf Belsazars Ehrung und gab sie Gott allein (Dan 5,17). Die Züge seines ansprechenden Charakters sind gewiß zu unserer Nachahmung niedergeschrieben (Röm 15,4; 2Tim 3,16 bis 17). Hier wird uns also der Weg gezeigt, der zum Erfolg und zur Zusage „Vielgeliebter“ führt. Wollen wir, wie Daniel, den Preis bezahlen, d. h. Gott mit ungeteiltem Herzen lieben und Ihm in allen Lebenslagen dienen?