Behandelter Abschnitt Dan 2,31-45
Dan 2,31-45 - Offenbarung und Deutung des Traumes
Jedermann muß Daniel und seine große Bescheidenheit bewundern, weil er sich selbst und sein reiches Wissen vollständig verbarg. Mit seinem einfachen Verhalten sagt er gleichsam: was meine Fähigkeit angeht, so hätte ich nicht mehr als die übrigen Weisen Babels vermocht, aber es ist ein Gott im Himmel, der alle Geheimnisse kennt.
Die Offenbarung des Traumes. Zu den Versen 31 bis 36 offenbart nun Daniel den eigenartigen Traum. Er schildert das imposante Bild, das der König im Traume gesehen hatte, ihm aber ganz entfallen war. „Du, o König, sahest: und siehe, ein großes Bild; dieses Bild war gewaltig, und sein Glanz außergewöhnlich; es stand vor dir, und sein Aussehen war schrecklich.“ Daniel fährt dann fort und beschreibt alle Einzelheiten des Bildes: sein Haupt von Gold, seine Brust von Silber, seine Lenden von Kupfer, seine Schenkel von Eisen und seine Füße teils von Eisen und teils von Ton. Daniel schildert ferner den sich von selbst loslösenden Stein, der an die Füße des Bildes stieß, und nach und nach das ganze Bild zermalmte. Schließlich zeigte er, wie dieser Stein selbst zu einem mächtigen Berg wurde und die ganze Erbe erfüllte. „Das ist der Traum“, fügt Daniel hinzu, und „wir wollen dem König die Deutung sagen“. Man kann sich wohl denken, wie Nebukadnezar gestaunt haben muß, als er den, ihn so beunruhigenden, vergessenen Traum bis in die Einzelheiten plötzlich wiedererkannte.
Die Deutung des Traumes. Sie erscheint den meisten Bibellesern sehr schwer und manchen unergründlich zu sein; dem aber ist gar nicht so. Sollte Gott Seinen Kindern Schriften, die sie von vornherein nicht verstehen können, in die Hand geben und sie sogar auffordern, darin zu forschen? Nein, das ist undenkbar! Andere meinen, zum Verständnis dieses Buches sei eine gründliche Kenntnis der Weltgeschichte nötig, aber das kann auch kaum der Fall sein, da Kinder Gottes im allgemeinen aus einfachen, und nur mit wenigen Ausnahmen aus intellektuellen Volksschichten herauskommen. Selbst die Diener Gottes, wie sie uns die ganze Bibel vor Augen führt, waren fast durch die Bank weg einfache Leute; aber sie waren von Gott gelehrt. Die eine Bedingung, die Schrift überhaupt zu verstehen, ist die Salbung von oben zu besitzen, die uns alles lehrt (1Joh 2,27); ferner jene kindliche Stellung vor Gott, wie wir sie gerade bei Daniel sehen, der seinen Gott in dunklen Fragen um Licht anrief und es auch erhielt.
Daniel beginnt nun die Auslegung des Traumes und geht zugleich auf die Gemütstimmung ein, in der der König sich befand. Doch achten wir, ehe wir weiter gehen, auf die „fünffache“ Teilung der Statue wie Daniel sie sieht. Gewöhnlich redet man von nur „vier“ Reichen; doch hier darf man in guten Treuen auch andrer Meinung sein, nämlich, daß es nicht vier, sondern fünf Reiche sind, die Daniel sieht. In den Versen 32‑33 nennt Daniel:
1. Gold, 2. Silber, 3. Erz, 4. Eisen und 5. Eisen und Ton.
Es sind also deutlich fünf und nicht vier Reiche. Das fünfte Reich (Vers 41‑43) hebt sich nach unserer Erkenntnis von dem vorhergehenden ebenso sichtlich ab, wie sich die andern vier Reiche voneinander unterschieden haben. Als erstes nennt Daniel:
Das babylonische Reich. Daniel hebt an und sagt: „Du, o König, bist das goldene Haupt“.
Er war zweifellos deshalb das „goldene“ Haupt, weil ihm das Reich direkt von Gott gegeben war (Vers 37; Jer 27,5 ff.). Nebenbei gesagt war Babylon sehr reich an Gold und trug nicht umsonst den Beinamen „die goldene Stadt“. Außerdem redet Jeremias von Nebukadnezar als von einem Knechte Gottes: „Nebukadnezar mein Knecht“ (Jer 25,9). Und „König der Könige“ wird Nebukadnezar wohl deshalb betitelt, weil er viele Königreiche überwältigt hat. Dies sei noch erwähnt, daß auch der letzte Weltherrscher, der Antichrist, ein König der Könige sein wird; hat er doch zehn Könige in seinem Gefolge, dargestellt in den zehn Zehen des Standbildes. Nebukadnezar sollte nun durch den Traum vor allem die eine göttliche Offenbarung lernen, daß obwohl ihm der hohe Titel „König der Könige“ gegeben wurde, er doch nur Vizekönig war, weil er sein Königtum vom Gott des Himmels empfangen hatte, dem er auch verantwortlich war. Doch Nebukadnezar erkannte dies am Anfang so wenig, wie es bis heute Staatsoberhäupter erkennen, und in der Folge das tun, was gut ist in ihren Augen. Nebukadnezar war in seinen Tagen nicht bloß der allgewaltige Herrscher, der mächtige Diktator, in dessen Macht alles lag, er war auch der oberste Kriegsherr, ja selbst die Gerichtsbarkeit lag in seiner Hand. Daniel sagt von ihm: „Wen er töten wollte, tötete er; und wen er erheben wollte, erhob er.“ Alles, selbst die Fische im Meere, die Vögel des Himmels und das Getier des Feldes waren in seiner Hand. Doch, daß der „Gott des Himmels“ über ihm stand und das Zepter führte, erkannte Nebukadnezar noch lange nicht. Er mußte es aber, wie wir in Kapitel 4 sehen werden, auf sehr schmerzliche Weise lernen.
Das Medo-Persische Reich. Vom goldenen Haupt schritt Daniel weiter zum zweiten Reich, der „silbernen Brust“. Das babylonische Reich war nur von kurzer Dauer. Es bestand von 606‑538 vor Chr., also nur 68 Jahre. Meder und Perser überwanden Nebukadnezars Nachfolger „Belsazar“ und nahmen Babylon ein. Wie das geschah, werden wir in Kapitel 5 erfahren. .Hochmut und Götzendienst waren die zwei Kardinalssünden Babylons, und diese führten zu allen Zeiten ins Gericht (Jer 51,7 f.; Psalm 137,8-9). Die Deutung, daß dem babylonischen Reich bald ein zweites, das medo - persische folge, daß also das babylonische Reich nur von kurzer Dauer sein werde, mußte niederdrückend auf den ehrgeizigen König Nebukadnezar gewirkt haben. Sowohl Jesaja als auch später Jeremia, haben bereits mehr als Hundert Jahre zuvor, vom zweiten Reich geweissagt, und sogar den Namen des Herrschers genannt, nämlich „Cyrus“ (Jes 45,1-7). Medo -Persien wird in dem Standbild durch die silberne Brust dargestellt. Silber gehört bekanntlich auch zu den Edelmetallen, ist aber an Wert bei weitem nicht dem Golde gleich. So weisen die verschiedenen, im Werte sinkenden Metalle, auf die Degenerierung der Völker und der Welt hin. Das Wort Gottes widerlegt also auch in diesem Bilde die prahlerischen Reden der Menschen, die von „großem Fortschritt“ und einer „Aufwärtsbewegung der Menschheit“ faseln. Keiner wird die Menschheit höher führen! Der natürliche Mensch befindet sich in jeder Weise auf einer Abwärtsbewegung und wird reif für das kommende Gericht. Man redet auch nicht umsonst von den „guten alten Zeiten“, man sieht also ein, saß es abwärts geht.
Nur einer kann und wird die Menschheit wieder auf die Höhe führen, der Menschensohn „ Jesus Christus“. Und wenn wir erst die Füße von Eisen und Ton besehen, dann müssen wir so recht davon überzeugt werden, daß die Weltreiche mit all ihrer Großtuerei auf sehr schwachen Füßen stehen. Das medo-persische Reich war also geringer als das babylonische. Aus Kapitel 6 ersehen wir, saß Daniel selbst auch zu Beginn des zweiten Weltreiches der große, einflußreiche Mann war. In diesem zweiten Weltreich erfolgte bekanntlich die Rückkehr Judas aus Babel. Unter Darius wurde der Tempel wieder aufgebaut (Esra 4,24; 6,15; Neh 12,22). Wie das babylonische Reich, so hatte auch das medo-persische nur eine verhältnismäßig kurze Lebensdauer und wurde bald abgelöst durch:
Das dritte Reich. Es i st bildlich dargestellt im „Bauch von Erz“. Dieses Reich hat Daniel nicht mehr erleben können. Er kann also nichts darüber berichten; doch werden wir später sehen, daß der Bauch das „griechische“ Weltreich darstellte, welches von dem jungen König Alexander dem Großen gegründet und durch ihn berühmt wurde. In sehr kurzer Zeit legte dieser Jugendliche Herrscher die ganze Welt zu seinen Füßen. Jedes der bisherigen Reiche erfuhr eine Erweiterung. Das zweite Reich war viel größer als das erste, das babylonische, und das dritte, das griechische, war wiederum größer als das zweite, das medo-persische. Alexander dehnte sein Reich bis nach Indien hin aus. Von ihm wird gesagt, daß er weinte, als es nichts mehr zu erobern gab. Wegen seines ausschweifenden Lebens ist er schon im dreiunddreißigsten Lebensjahr gestorben. Nach seinem Tode wurde sein Reich zerteilt, da er keine Erben hinterließ. Aus diesem dritten Weltreich sind bekanntlich große Männer hervorgegangen; Heerführer, Künstler, Dichter, Philosophen und Geschichtsschreiber, für welche die Welt nur ein Lob hat. Als aber Paulus nach Athen kam und all das Große aus Griechenlands Vergangenheit sah, nannte er es kurzweg „Zeiten der Unwissenheit“. Was also diese Welt Wissenschaft und Kunst nennt, wertet Gott als Unwissenheit. Die einzige Weisheit ist und bleibt Christus und das Kreuz.
Das dritte Reich teilte sich bekanntlich nach dem Tode Alexanders unter seine vier Generale. Syrien und Ägypten treten aus jener Zeit besonders hervor, weil sie sie Herrschaft über Israel ausübten. In diese Zeit fällt auch die Herrschaft des Antiochus Epiphanus, dem grimmigsten Feinde Judas, der oft mit Recht der alttestamentliche Antichrist genannt wird. Während der Periode der vier sich gegenseitig bekämpfenden Generale gab es kein Reich mit absoluter Weltherrschaft im Sinne der vorhergehenden Reiche; doch sollte sich hernach „Rom“ diesen Ruhm erwerben und Daniel stellt es hin als:
Das vierte Weltreich (Vers 40). Es ist im Nachtgesicht Nebukadnezars durch die „Beine von Eisen“ versinnbildlicht. Die vorhergehenden Reiche werden in der Schrift mit Namen genannt; das vierte aber ist namenlos. Es dürfte deshalb etwas gewagt sein Behauptungen darüber aufzustellen, welches das vierte Reich eigentlich ist. Die Meinungen der Ausleger gehen hier auseinander. Besonders gewisse Ausleger wollen das vierte Reich sogar als rein zukünftig ansehen und Rom, als Weltreich, gang ausschalten. Doch das scheint uns nicht berechtigt zu sein. Auch spielten sich, während Israel unter römischer Herrschaft war, die größten geschichtlichen Ereignisse ab, die man nicht umgehen kann; so unter Kaiser Augustus die Geburt Christi, unter Pontius Pilatus die Kreuzigung und der Tod Christi, dann unter Titus die Zerstörung Jerusalems und die damit verbundene Weissagung bei der Zerstreuung Israels unter alle Völker. Das römische Reich war ein Reich, stark wie Eisen, das alles zerbrach, alles unter seinem Willen hielt. Dieses vierte Reich trat etwa 200 Jahre vor Christi als Gromacht an den Gestaden des Mittelländischen Meeres auf. Die Römer ließen den Staaten, die sie beherrschten, größte Freiheit. So durfte Israel unter dieser Herrschaft seine Gottesdienste unbehelligt ausüben, nur Steuern und Besatzungen in verschiedenen Städten mußten sie sich gefallen lassen. Mit dem vierten Weltreich hörte die Herrschaft eines Einzelstaates über Israel auf, da mit der Zerstörung Jerusalems das Volk der Juden zerstreut wurde. In der Bibel kommen nur diejenigen Weltreiche in Betracht, die eine absolute Herrschaft über Israel als Nation ausüben. Da nun Israel seit der Zerstreuung keine selbständige Nation mehr ist, übergeht die Prophetie alle folgenden Weltmächte und erwähnt nur noch:
Die letzte Phase heidnischer Weltherrschaft. Sie ist offenbar noch zukünftig und stellt in der Statue Nebukadnezars die Füße und die zehn Zehen dar. Es sind zwei sich nicht verbindende Elemente „Eisen und Ton“ (Verse 41‑43). Das zermalmende „Eisen“ zeigte sich bekanntlich im römischen Militarismus, den wir bis in unsere Tage zu fühlen bekommen, während in Jer 18,6 das Haus Israel der „Ton“ genannt wird. Es wird also bereite im Bilde Nebukadnezars auf die kommende Verbindung zwischen dem Herrscher des letzten Weltreiches und dem Volke Israel, das dann in seinem Lande sein wird, hingewiesen. Ein Bündnis, das nur von ganz kurzer Dauer sein wird.