Behandelter Abschnitt 1Mo 28,11-15
1. Mose 28,10-15 - JAKOBS TRÄUME
Träume sind etwas Eigenartiges, ihre Ursachen sind nicht immer leicht zu ergründen. Manchmal rühren sie von einem zu reichlichen Abendbrot her, oft aber sind sie ein Zeichen innerer Unruhe, durch die selbst des Nachts der Geist belastet wird. Wieder andere Male ist es ein schlechtes Gewissen, das den Schlafenden selbst in seinen Träumen quält. Es gibt aber auch Träume, die wie bei Jakob oder Nebukadnezar von Gott gewirkt sind, um in aller Stille auf diese Weise deutlich an die Tür des menschlichen Herzens anzuklopfen. Jakobs Traum war eine überaus schöne, erhebende und wirkungsvolle Ermunterung angesichts seiner sündigen Vergangenheit, und ein besonderer Gnadenakt Gottes. Wenn schon ein David an seinem Erzfeind Saul keine Rache nahm, den er schlafend fand, wieviel weniger tut das erst der Gott der Liebe und Gnade an irrenden Sündern. Ahnungslos, vor welcher Lebenswende Jakob stand, hatte er sich zur Ruhe gelegt, gar nicht daran denkend, daß gerade jene Nacht unvergessen bleiben werde. Was träumte Jakob?
Er sah eine Leiter. Jakobs Traum von der Himmelsleiter ist eine der meistbekannten Geschichten des Alten Testaments. Besucher Palästinas sagen, daß die terrassenförmige Umgebung Bethels den Wanderer unwillkürlich an eine Treppe oder Leiter erinnere. Gott bedient Sich oft natürlicher Mittel, um Obernatürliches zu erreichen. So träumte Jakob, daß er eine Leiter sehe.
Wir alle haben schon Leitern gesehen und auch bestiegen; sie dienen uns in vielfacher Weise, von der einfachen Stehleiter für den Hausgebrauch bis zur modernen Feuerwehrleiter und zur Schiffsleiter zur Rettung von Schiffbrüchigen. Die Leiter, die Jakob im Traume sah, glich einer göttlichen Einladung, um den unruhigen, im Gewissen belasteten Wanderer zu Gott zu rufen.
Auch wir brauchen eine solche Leiter. Von Natur sind wir alle
Menschen, die den Flammen der Hölle preisgegeben sind (
Die große Bedeutung der Jakobsleiter ist damit keineswegs erschöpft. In Joh 1,51 lesen wir: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Von nun an werdet ihr den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf‑ und niedersteigen und herabfahren auf den Sohn des Menschen“. In diesem Wort nimmt der Herr offenbar Bezug auf die Himmelsleiter und wendet das Bild also auf Sich selbst an, auf Sein Kreuz. Wer mit ihr d. h. mit Christus in Berührung kommt, wie jener Nathanael, erlebt das größte Wunder seines Lebens: er wird ein Nachfolger Christi und erfährt, wie Gott aus einem sündigen Jakob einen „Israel“ macht, einen „Streiter Gottes“. Die Leiter bietet ein doppeltes Bild vom Herrn:
1. Von der Person Christi. Wie einst Jakobs Leiter eine Verbindung zwischen Erde und Himmel bildete, so verbindet uns der vom Himmel herabgekommene Herr mit Gott. Was hätte Jakob die Leiter genützt, wenn sie nicht vom Himmel herunter zu ihm gereicht und so die Kluft zwischen Gott und ihm überbrückt hätte? Die Leiter war allein Gottes Werk. Zwar versuchten schon vor Jakob Menschen einen Turm zu bauen, dessen Spitze an den Himmel reichen sollte, aber wir kennen den völligen Fehlschlag eigener Anstrengungen, dadurch zu Gott zu gelangen, oder gar zu werden wie Gott (1. Mose 3,5; 11,1-9). Nicht der scheinbar feste Turm aus Menschenhand, sondern die schlichte Leiter aus Gottes Hand, Jesus Christus an Seinem Kreuz, ist es, die zu Gott zurückführt. Nicht die stolze Stadt Babel, sondern das schlichte einsame Bethel (= Gottes Haus) ist der Ort der Verbindung mit Gott. In keinem andern ist Heil als beim Herrn und unter Seinem Kreuz.
2. Vom Werk Christi. Die Leiter gleicht einem freien Angebot der Gnade Gottes an Jakob. Hatte Jakob einen Anspruch auf diese Gnade oder verdienen wir es gar, wenn Gott Sich uns in Christo naht? Christi Erlösungswerk reicht hinab zum tiefst gesunkenen Menschen und führt hinauf zu höchster Höhe. Nicht unsere Werke, sondern Christi Werk allein, Sein für uns vergossenes Blut führen zurück zu Gott. Im Garten Eden wurde die Verbindung zwischen Gott und Mensch durch die Sünde unterbrochen, aber durch die Himmelsleiter Jesus Christus wurde sie am Kreuz wiederhergestellt. Das lernen wir aus dem zweiten Worte Jesu am Kreuz. Sein Werk ist vollkommen, vertraue dich nur dieser Leiter an, besteige sie, und des Himmels Pforte steht dir offen (Vers 17; Heb 10,19).
Jakobs Pflicht dieser Leiter gegenüber. Die Leiter stand zu Jakobs Füßen, und es ist, als spräche Gott ähnliche Worte zu ihm wie später zu Johannes auf Patmos: „Steige hier herauf“ (Off 4,1). „Jakob, verlaß die Welt, die dir nur Herzeleid eingebracht hat und den schweren Weg, auf dem du dich befindest; komm zu Mir herauf!“
Die Leiter ist das Bild der Versöhnung. Das, gilt aber nicht nur von der Versöhnung mit seinem Bruder Esau, sondern vielmehr noch vom Frieden mit Gott, der uns in Christo versöhnt hat. Wer dieser Leiter, d. h. dem gekreuzigten Herrn, sich anvertraut, hört sogleich wie jener Schächer die frohe Botschaft: „Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein“. Die Leiter führt also aus der Wüste dieser Welt in das Paradies Gottes.
Wer soll diese Leiter benützen? In unserm Abschnitt war es zunächst Jakob, der schuldbeladene, müde Wanderer; durch sie sollte er zum ersehnten Frieden kommen. Ihm hätte man das Lied singen dürfen:
„O heimatlos! Das Herz fast bricht vor Weh, das kaum zu nennen, wenn uns von Gottes Angesicht noch unsere Sünden trennen.“
In Hosea 12,5 lesen wir: „Er kämpfte mit dem Engel und überwand, er weinte und flehte zu ihm, zu Bethel fand er ihn, und daselbst redete er mit uns". Gott hat also in Bethel nicht nur mit Jakob, sondern mit uns gesprochen. Jene Leiter stand nur ganz kurze Zeit vor Jakob. Da galt es, sie sofort zu benützen. Er schlug den rechten Weg ein (Vers 20 -21). Auch das Evangelium fordert sofortige Entscheidung, denn Jesus von Nazareth geht vorbei. Wer immer die Leiter besteigt, wird damit sogleich ein Pilger nach dem Zion droben, wird losgelöst von der Welt und sucht nun die Stadt, deren Baumeister Gott selbst ist (Heb 11,10). Das Besteigen der Leiter bringt zugleich in die liebliche Gemeinschaft mit den Engeln, denn Engel Gottes steigen auf und nieder. Jede neue Sprosse bringt immer wieder die Bekanntschaft mit neuen Engeln Gottes. Sie stiegen auf beiden Seiten der Leiter auf und nieder. Sie bot also Jakob absolute Sicherheit. Je höher der Mensch hinaufsteigt, um so lichter und heller wird der Ausblick, um so reiner wird die Luft, um so näher ist das herrliche Ziel. Mein lieber Leser, hast auch du schon den Aufstieg begonnen, hinauf zur ewigen Heimat und Herrlichkeit, zu Dem, der Sich auf der Spitze der Leiter befindet?
Beachten wir noch einige Ratschläge, die wir hinaufsteigen wollen. Werde dir nochmals ganz klar, wen die Jakobsleiter versinnbildlicht, wen und wozu sie einlädt. Wir sahen bereits, daß sie den Herrn selbst und Sein Kreuz darstellt. Die Leiter war Jakob ganz nahe zu seinen Füßen; er brauchte nur aufzustehen und hinaufzusteigen. So ist auch nur ein Schritt zwischen dem Sünder und Jesus. Sei auch ganz sicher, daß du dich wirklich auf der Leiter befindest und nicht etwa nur davon träumst oder hörst oder im Nachdenken darüber nur in eine frohe Stimmung gerätst. Warte nicht, bis andere auch kommen, geh ihnen vielmehr voraus. Du bist ja in keinem Falle allein, denn Engel Gottes steigen auf und nieder. Fasse den Entschluß, wie Jakob ihn faßte mit den Worten: „Dieser Gott soll mein Gott sein“. Das unermüdliche Weitersteigen auf der Leiter bedeutet einen Fortschritt nach dem andern. Geh unbehindert Stufe für Stufe weiter, bis du am herrlichen Ziele angelangt bist. Sage mit Paulus: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was vor mir ist“ (Phil 3,14). Laufe nach dem Vorbild des Apostels Paulus in 1Kor 9,26-27. Stelle dich mit beiden Füßen auf die Leiter und mach es nicht wie viele andere, die zwar einen Fuß auf die Leiter stellen, aber mit dem anderen auf der Erde stehen bleiben möchten. Diesen Leuten sagt der Herr: „Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt 6,24). Sage auch nicht: Ich kann nicht die Leiter besteigen, ich werde schwindlig. Schwindlig werden nur die, die, wie Lots Weib, zurückblicken; wer aber auf das Ziel hinaufblickt, kommt mit sicheren Tritten diesem immer näher.