Behandelter Abschnitt Off 6,9-17
Verse 9-17 Das fünfte und das sechste Siegel
Als das Lamm das fünfte Siegel öffnet, folgt etwas anderes als bei den vo- rigen Siegeln. Dort kamen verschiedene Pferde mit Reitern, die bestimmte Dinge taten. Nach dem Zustandekommen eines Scheinfriedens folgten verschiedene Aktionen, die Tod und Elend zur Folge hatten. Bei diesem fünften Siegel siehst du nichts geschehen, sondern du bekommst einen Blick hinter den Vorhang des Todes. Du siehst und hörst dort Personen, die nach Rache rufen.
Dieses Siegel ist kein direktes Gericht, sondern es ist die Vorbereitung auf die später folgenden Gerichte unter den übrigen Siegeln. Dabei geht es nicht um dieselbe Art von Gerichten wie unter den vorhergehenden Sie- geln. Dort geschahen Dinge auf der Erde, die eine Plage für die Menschen waren, wobei es so aussieht, als hätten diese Plagen sich aus ihren eige- nen verkehrten Handlungen ergeben, obwohl Gott sie sandte. Die Gerich- te, die nun noch folgen, sind dagegen Gerichte, bei denen die Menschen notgedrungen mehr direkt die Hand Gottes erkennen müssen.
Diejenigen, die nach Rache rufen, sind „unter dem Altar“. Der Altar ist ein Ort, wo geopfert wird. Das wird auch aus der Beschreibung deutlich, die folgt. Es sind die Seelen derer, die geschlachtet worden waren, und zwar von den Feinden Gottes. Sie sind „unter dem Alter“, weil sie ihr Leben um des Wortes Gottes willen als Opfer dargebracht haben (vgl. das Blut, in dem die Seele ist, das an den Fuß des Altars ausgegossen wurde; 2Mo 29,12; 3Mo 4,7.18.25.30.34). Gott betrachtet ihren Tod als ein Ihm wohl- gefälliges Opfer.
Du liest hier von „Seelen“, weil diese Gläubigen noch nicht auferweckt sind. Ihre Leiber sind noch im Grab. Dadurch wird zugleich deutlich, dass sie nicht zur Gemeinde gehören, denn von denen, die zur Gemeinde gehö- ren, werden die Leiber schon beim Kommen des Herrn Jesus auferweckt sein. Die Gläubigen, um die es hier geht, sind während der Zeit des Öff- nens der Siegel gestorben, als auch das Evangelium verkündigt wurde, nämlich das Evangelium des Reiches der Himmel (Mt 24,14). Sie bleiben bis zur Wiederkunft Christi in diesem Zustand (20,4).
Sie sind weder eines natürlichen Todes noch durch eine Krankheit gestor- ben. Nein, sie sind „um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten“, getötet worden. Sie waren der Wahrheit Gottes treu ge- blieben und hatten auch davon gezeugt. Das mussten sie mit dem Tod be- zahlen, und diesen Preis wollten sie auch bezahlen. Deshalb sind sie „ge- schlachtet“ worden; das ist dasselbe Wort wie das, was für den Herrn Je- sus als das „geschlachtete“ Lamm (5,6) gebraucht wird. Was Menschen dem Herrn Jesus antaten, das tun sie auch denen an, die Ihm treu sind. Diese Seelen sind die ersten Märtyrer. Es werden noch viele ihrer Brüder in noch schrecklicheren Zeiten folgen (12,17; 13,7).
Die Worte, die sie ausrufen, sind Worte der Rache. Auch das macht deut- lich, dass wir uns nicht auf christlichem Boden befinden. Es ist die Sprache des Alten Testaments (vgl. Ps 79,10-13; 137,7-9). Die Gläubigen der Ge- meinde bitten nicht um Rache an ihren Verfolgern, sondern um Gnade (Apg 7,60). Nach der Entrückung der Gemeinde wird dies ein geziemendes Gebet sein. Es geht dann darum, dass Gott sein Anrecht an die Erde gel- tend macht, und das kann nur durch Gericht geschehen. Wenn die Gläubi- gen dann verfolgt werden, besteht die Befreiung nicht darin, dass sie aus der Verfolgung weggenommen werden, wie das bei der Gemeinde der Fall sein wird, sondern dadurch, dass die Feinde gerichtet werden. Die Feinde sind die Menschen, „die auf der Erde wohnen“. Sie haben mit Gott nichts zu schaffen und wollen nicht mit Ihm konfrontiert werden.
Die Seelen unter dem Altar rufen Gott als Herrscher an, der heilig und wahrhaftig ist. Sie verlangen nach Gerechtigkeit für das Unrecht, das ihnen angetan wurde. Sie berufen sich dabei auf Gott, der das versteht. Er ist ja heilig und verabscheut Unheiligkeit. Er ist auch wahrhaftig und hasst das Unrecht. Sie zweifeln nicht daran, dass Er gegen das Böse vorgehen und dabei seine absolute Souveränität als Herrscher zeigen wird. Doch sie fra- gen sich, wie lange sie noch darauf warten müssen (siehe auch Ps 94,3; Hab 1,2). Zugleich zeigt diese Frage, dass sie wissen, dass die Verfolgung der Treuen ein Ende haben wird.
Als Antwort auf ihr Rufen bekommen die Märtyrer symbolisch ein langes weißes Kleid, denn Seelen können nicht bekleidet werden. In demselben Sinn heißt es von Gott, der Geist ist, dass Er bekleidet ist (z. B. Ps 104,2; Jes 6,1). Damit empfangen sie gleichsam eine hohe Auszeichnung dafür, dass sie Gerechte und Überwinder sind. Das unterstreicht ihre Würde.
Zugleich wird ihnen gesagt, dass sie noch ein wenig ruhen soll. Dabei geht es um „eine kleine Zeit“, das ist die Zeit der großen Drangsal. Die Gruppe, die hier zu Wort kommt, ist die erste Gruppe von Märtyrern nach der Ent- rückung der Gemeinde. Es werden noch weitere Märtyrer hinzukommen, nämlich die, die in der großen Drangsal getötet werden (20,4b). Das sind ihre Mitknechte, denn sie dienen demselben Herrn und ihren Brüdern, denn sie gehören zu der Familie derer, die den Willen Gottes getan haben (Mt 12,49.50). Wenn sie getötet worden sind, wird die Zahl der Märtyrer vollständig sein und der Herr Jesus wird kommen, um ihrer Bitte um Rache zu entsprechen.
Vers 12
Nach diesem kurzen Gespräch öffnet das Lamm das sechste Siegel. Was dann geschieht, ist sozusagen ein „Vorschuss“ auf die Erhörung des Ge- bets unter dem vorigen Siegel. Es folgt ein großes Erdbeben, das die Erde ins Chaos stürzt. Dieser Machtbeweis macht aus dem Menschen ein völlig unbedeutendes und nichtiges Wesen. Über der Erde wird es schwarz und rot. Die gesamte Schöpfung ist in eine beängstigende Kulisse verwandelt worden. Es kann sein, dass das, was hier beschrieben wird, buchstäblich geschieht. Es kann auch sein, und das scheint mir die erste Bedeutung zu sein, dass es um eine symbolische Beschreibung der Dinge geht.
Das große Erdbeben beschreibt dann eine große Revolution, wodurch al- les, was dem Menschen Festigkeit und Halt gibt, weggenommen wird. Es betrifft soziale, politische und religiöse Ordnungen, Dinge, die im Leben Halt geben. Normalerweise ist im Leben der Grund unter den Füßen das, was am sichersten ist. Sonne, Mond und Sterne sind als Symbole für Herr- scher zu verstehen (vgl. 1Mo 1,16). Wenn diese Himmelskörper ihren Glanz verlieren und schwarz und wie Blut werden, bedeutet das, dass die- se Herrscher, die Gott ursprünglich gegeben hatte, damit sie die Ordnung aufrechterhielten und Leben beschützten, nun Finsternis und Tod verursa- chen.
Bei den Sternen hier scheint es ganz sicher um eine symbolische Beschrei- bung von Herrschern zu gehen. Wenn es tatsächlich geschehen würde, dass Sterne auf die Erde fallen, würde von der Erde nichts übrigbleiben. Dass sie vom Himmel fallen, bedeutet, dass sie ihre ursprüngliche Funktion verlieren. Sie waren zur Orientierung für den Menschen bestimmt, doch die geben sie nicht mehr. Sie zeigen nun ihre wahre Art. Früher wurden sie noch durch bestimmte christliche Werte und Normen in Schach gehalten. Ihre eigene Gerechtigkeit kommt nun unter den Einfluss von Mächten, de- nen sie sich nicht widersetzen können. Böse Mächte übernehmen die Füh- rung.
Gott zieht gleichsam seine Hände von seiner Schöpfung ab. Die Gedanken des Himmels (d. i. von Gott) werden verdunkelt, ohne dass die Möglichkeit besteht, sie noch kennenzulernen. In einem zusammengerollten Buch kann man ja nicht lesen. Licht von oben gibt es nicht mehr, nur moralische Finsternis. Dadurch ist man blind für jede göttliche Führung. Das hat zur
Folge, dass jeder Berg und jede Insel von ihren Stellen gerückt werden. In Verbindung mit den vorhergehenden Versen scheint das darauf hinzuwei- sen, dass auch das symbolisch gesehen werden muss. Berge stellen dann große, unbewegliche Mächte vor, und Inseln sind ein Bild wirtschaftlicher Mächte. Auch sie verlieren ihre übliche Funktion und werden desorien- tiert.
Die Beschreibung in diesem Vers kannst du durchaus wörtlich verstehen. In der siebenfachen Beschreibung kannst du die ganze Menschheit sehen, angefangen vom König bis zum Sklaven. Alle sind durch den Wegfall jeder menschlichen Regierung so bestürzt und entsetzt, dass sie sich verbergen wollen. Alle Unterschiede bezüglich Gedeihen, Wohlfahrt, Reichtum und gesellschaftlicher Stellung verschwinden. Nichts an wirtschaftlichen, sozia- len oder politischen Vorteilen gewährt irgendeinen Schutz vor diesen Ge- richten. Gemeinsam verkriechen sie sich in den Höhlen und Felsen der Berge (Jes 2,19).
Selbst wenn sie dort sitzen, wähnen sie sich nicht sicher vor dem Zorn des Lammes. Sie sind durch die Katastrophen unter dem vorhergehenden Sie- gel zu der Erkenntnis gelangt, dass sie es mit Gott und dem Lamm zu tun haben. Sie fangen an, an Gott zu denken und sogar an das Lamm (Spr 10,24a). Das ist der Beweis, dass auch der ungläubige Mensch sich inner- lich bewusst ist, dass er mit Gott als dem Richter zu tun hat. Sie haben auch Kenntnis von dem Lamm und seinem Zorn. Das weist darauf hin, dass sich das dort abspielt, wo einmal das Christentum zu Hause war.
Doch so sehr sie sich auch fürchten, sie bekehren sich nicht! Was sie im- mer geleugnet haben und nun anerkennen müssen, wollen sie nicht an- nehmen. Sie beugen sich nicht vor dem Lamm. Sie ziehen es vor, dass die Berge und Felsen auf sie fallen. Vielleicht denken sie, sollten sie sterben, durch den Tod Gott und dem Zorn des Lammes zu entkommen. Auch das wird sich als tragischer und fataler Irrtum herausstellen, wenn sie vor den großen weißen Thron gerufen werden (20,12.13).
Menschen, die sich nicht bekehren wollen, irren sich immer. So meinen diese Menschen, dass der große Tag des Zornes Gottes und des Lammes gekommen sei. Doch das ist nicht so. Es ist erst der Anfang der Wehen (Mt 24,8). Erst wenn Christus erscheint, wird dieser große Tag anbrechen.