Behandelter Abschnitt Apg 18,12-17
Verse 12-17 Der Richterspruch des Gallion
12 Als aber Gallion Prokonsul von Achaja war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf und führten ihn vor den Richterstuhl 13 und sagten: Dieser überredet die Menschen, Gott anzubeten, dem Gesetz zuwider. 14 Als aber Paulus den Mund öffnen wollte, sagte Gallion zu den Juden: Wenn es irgendein Unrecht oder eine böse Handlung wäre, o Juden, so hätte ich euch billigerweise ertragen; 15 wenn es aber Streitfragen sind über Worte und
Namen und das Gesetz, das ihr habt, so seht ihr selbst zu; über diese Dinge will ich nicht Richter sein. 16 Und er trieb sie von dem Richterstuhl weg. 17 Alle aber ergriffen Sosthenes, den Synagogenvorsteher, und schlugen ihn vor dem Richterstuhl; und Gallion kümmerte sich nicht um dies alles.
Die Zusage des Herrn, dass niemand die Hand an ihn legen würde, wird rasch erfüllt. Gallion wurde im 13. Jahr des Klaudius Caesar – das ist das Jahr 53 – Prokonsul der römischen Provinz Achaja. Paulus muss daher ungefähr im Jahr 52 in Korinth angekommen sein. Als mit Gallion ein neuer Prokonsul kam, sahen die Juden ihre Chance gekommen, Paulus anzuklagen. Sie wollen den Neuling Gallion gemeinsam überzeugen, was für ein staatsgefährdender Mann Paulus ist. Sie sind der Meinung, dass Gallion schon für ihren Plan zu haben sein wird, weil der Mann natürlich gern den Frieden in seiner Provinz erhalten möchte. Sie werden ihm anbieten, ihm dabei zu helfen, indem sie ihm als Beweis diese feindliche Person überbringen.
Wie in anderen Städten scheinen die Bürger das Recht gehabt zu haben, jemanden zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Es ging dabei immer um die Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Das ist auch hier die Anklage. Sie beschuldigen Paulus, dass er sehr auf die Menschen einrede, um sie dazu zu bewegen, Gott zu verehren. Und das verstößt ja wohl in hohem Maße gegen das Gesetz. Die Ankläger erwähnen wohlweislich nicht, welches Gesetz sie meinen. Es ist offensichtlich, dass sie eine religiöse Sache politisch aufladen wollen, genau wie es ihre Taktik in Philippi war (Apg 16,20.21).
Als Paulus seinen Mund öffnen will, um sich zu verteidigen, bekommt er dazu keine Gelegenheit. Der Herr nimmt es ihm ab durch die Reaktion
Gallions gegenüber dem Auftritt der Juden. Die Juden haben sich in Gallion völlig getäuscht. Gallion ist nicht nur ein liebenswerter Mensch (wie Geschichtsschreiber ihn charakterisieren), sondern auch ein völlig gleichgültiger Mann. Er weiß, warum die Juden sich aufregen, worüber er sich allerdings überhaupt nicht aufregt. Er sagt damit auch, dass das Evangelium nicht staatsgefährdend ist. Das Evangelium fesselt ihn nicht, aber es schadet ihm auch nicht. Warum soll er also dagegen vorgehen? Wenn es um eine Straftat oder einen Schurkenstreich ginge, würde er ihre Anklage, und er nennt sie ausdrücklich „Juden“, sicherlich behandeln.
Indem er sie so mit Nachdruck anspricht, lässt er durchblicken, dass er den Hintergrund ihrer Absicht sehr genau durchschaut. Das erklärt er anschließend auch, wenn er sagt, dass es um nichts anderes geht als um Streitfragen über Worte und Namen und das Gesetz, das sie haben. Er versteht sehr wohl, um was es geht. Gleichzeitig offenbart er seine völlige Gleichgültigkeit bezüglich des Herrn Jesus und seines Werkes. Er reduziert den ganzen Glauben auf ein Wort, ein paar Namen und das Gesetz. Vielleicht hat er mal ein Wort aufgeschnappt wie „Auferstehung“ oder Namen wie „Jesus“ und „Christus“ und hat etwas vom jüdischen Gesetz mitbekommen. Aber an alledem ist er nicht interessiert. Seinen totalen Mangel an Interesse haben die Juden auf ihrem Gewissen (Röm 2,24), allerdings macht das Gallion nicht weniger schuldig.
Auch heute gibt es viele dieser gleichgültigen Menschen, die an Glaubenssachen nicht interessiert sind wegen der Streiterei unter Christen über Nichtigkeiten. Als Christen müssen wir da unsere Schuld bekennen. Andererseits ist das für die, die das Verhalten von Christen als Entschuldigung gebrauchen, um sich nicht mit Glaubensfragen zu beschäftigen, keine Rechtfertigung für ihre Gleichgültigkeit. Oft rühmen sich solche Menschen auch noch ihrer religiösen Toleranz.
Was Gallion betrifft, so lässt er sich in dieser Sache, die vor ihn gebracht wird, nicht zu einer Aussage hinreißen. Er will kein Wort mehr darüber hören und treibt sie alle vom Richterstuhl weg. Die Juden geben sich allerdings nicht geschlagen und finden in Sosthenes, dem Obersten der Synagoge, ein neues Opfer. Aus Frustration über ihre misslungene Anklage gegen Paulus gehen sie mit ihm noch rauer um als mit Paulus, denn sie schlagen ihn vor dem Richterstuhl.
Wenn dieser Sosthenes derselbe ist wie der, den Paulus als Mitabsender seines ersten Briefes an die Korinther erwähnt (1Kor 1,1), ist es möglich, dass er in diesem Augenblick auch schon Interesse gezeigt hat an dem von Paulus gepredigten Jesus als dem Christus. Sosthenes, der vermutlich Krispus als Oberster der Synagoge gefolgt ist, ist in ihren Augen ein neuer Verräter. Das wird sie noch besonders erbost haben. Für Gallion macht das alles nichts aus. So wie er sich an ihrer Geschichte über die vermeintliche Gesetzesübertretung des Paulus nicht störte, so kümmert ihn auch nicht ihr gewalttätiger Auftritt gegen Sosthenes.
Die völlige Gleichgültigkeit Gallions zeigt auch deutlich, wie mit den vielgepriesenen Normen des römischen Rechts in dieser Zeit umgegangen wurde. Gott gebrauchte das hier zum Schutz seiner Diener, doch als Rechtsausübung geschieht es völlig willkürlich.