Behandelter Abschnitt Hes 26,1-14
Einleitung
Nachdem der HERR seine Gerichte über die Feinde östlich und südlich von Israel ausgesprochen hat, wendet Er sich nun dem Norden zu. Dort liegt Tyrus, im heutigen Libanon. Die Prophezeiung über Tyrus ist in drei Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel zeigt ein besonderes Merkmal des Größenwahns und Stolzes von Tyrus. Das Gericht befasst sich mit:
ihrer Freude über die Verwüstung Jerusalems (Hesekiel 26);
ihrem Hochmut und ihrer Selbstgefälligkeit (Hesekiel 27);
ihrer Weisheit und Einsicht (Hesekiel 28).
Wir mögen uns fragen, warum Tyrus so viel Aufmerksamkeit bekommt. Der Grund ist, dass Tyrus eine große Ähnlichkeit mit dem großen Babylon hat, der großen geistlichen Macht (Hes 27,1-36; Off 17,1-18; 18,1-24). Tyrus verweist auf diese Großmacht. Der Nachfolger von Babel ist Rom, ebenfalls eine Handelsstadt. Rom ist der große Nachfolger von Tyrus. Hinter dem König von Tyrus sehen wir die Person des Satans selbst (Hes 28,1-19). Diese Person sehen wir auch bei dem wiederhergestellten Römischen Reich. Mit Tyrus haben wir es, prophetisch gesehen, mit der großen Macht Satans in der Endzeit zu tun, sowohl religiös als auch politisch und wirtschaftlich.
Verse 1–14 | Gericht über Tyrus
1 Und es geschah im elften Jahr, am Ersten des Monats, da erging das Wort des HERRN an mich, indem er sprach: 2 Menschensohn, weil Tyrus über Jerusalem spricht: „Haha! Zerbrochen ist die Pforte der Völker; sie hat sich mir zugewandt; ich werde erfüllt werden, sie ist verwüstet!“, 3 darum, so spricht der Herr, HERR: Siehe, ich will an dich, Tyrus, und ich werde viele Nationen gegen dich heraufführen, wie das Meer seine Wellen heraufführt. 4 Und sie werden die Mauern von Tyrus zerstören und seine Türme abbrechen; und ich werde seine Erde von ihm wegfegen und es zu einem kahlen Felsen machen. 5 Ein Ort zum Ausbreiten der Netze wird es sein mitten im Meer. Denn ich habe geredet, spricht der Herr, HERR. Und es wird den Nationen zur Beute werden; 6 und seine Töchter, die auf dem Land sind, werden mit dem Schwert getötet werden. Und sie werden wissen, dass ich der HERR bin. 7 Denn so spricht der Herr, HERR: Siehe, ich werde Nebukadrezar, den König von Babel, den König der Könige, von Norden her gegen Tyrus bringen, mit Pferden und Wagen und Reitern und mit einer großen Volksschar. 8 Er wird deine Töchter auf dem Land mit dem Schwert töten; und er wird Belagerungstürme gegen dich aufstellen und einen Wall gegen dich aufschütten und Schilde gegen dich aufrichten 9 und wird seine Mauerbrecher gegen deine Mauern ansetzen und deine Türme mit seinen Eisen niederreißen. 10 Von der Menge seiner Pferde wird ihr Staub dich bedecken; vor dem Lärm der Reiter und Räder und Wagen werden deine Mauern erbeben, wenn er in deine Tore einziehen wird, wie man in eine eroberte Stadt einzieht. 11 Mit den Hufen seiner Pferde wird er alle deine Straßen zerstampfen; dein Volk wird er mit dem Schwert töten, und die Bildsäulen deiner Stärke werden zu Boden sinken. 12 Und sie werden dein Vermögen rauben und deine Waren plündern und deine Mauern abbrechen und deine Prachthäuser niederreißen; und deine Steine und dein Holz und deinen Schutt werden sie ins Wasser werfen. 13 Und ich werde dem Schall deiner Lieder ein Ende machen, und der Klang deiner Lauten wird nicht mehr gehört werden. 14 Und ich werde dich zu einem kahlen Felsen machen; ein Ort zum Ausbreiten der Netze wirst du sein, du wirst nicht wieder aufgebaut werden. Denn ich, der HERR, habe geredet, spricht der Herr, HERR.
Die Prophezeiung über Tyrus ist datiert (Vers 1). Dieses elfte Jahr ist das Jahr, in dem Jerusalem von den Chaldäern eingenommen wird, das Jahr der Zerstörung Jerusalems (2Kön 25,2.3). Über diese Zerstörung freut sich Tyrus sehr (Vers 2). Sie nennt Jerusalem „die Pforte der Völker“. Jerusalem ist ein gewaltiger Handelskonkurrent von Tyrus, denn Jerusalem kontrolliert die Überlandhandelswege von Ägypten und Arabien nach Tyrus.
Da dieses Hindernis nun beseitigt ist, kann Tyrus noch größere Gewinne machen. Tyrus rühmt sich, die Handelswege, die Jerusalem besaß, nun selbst zu kontrollieren. Tyrus sieht die Vorteile auf sich zukommen. Es wird voll von allen Reichtümern werden, weil Jerusalem gefallen ist. Hier sehen wir, dass die Liebe zum Geld, die eine Wurzel alles Bösen ist (1Tim 6,10a), die guten Beziehungen von früher zerstört (1Kön 5,15). Die Liebe zum Geld verursacht hier sogar Freude über die Trennung und Zerstörung eines früheren Freundes.
Ein Verhalten wie das von Tyrus ist dem HERRN verhasst (Spr 17,5b). Weil Tyrus so voller Selbstsucht und Geldgier ist, wird der HERR die Stadt richten (Vers 3). In vier Prophezeiungen folgen vier äußerst detaillierte und genaue Vorhersagen. Jede dieser Prophezeiungen beginnt mit den Worten „So spricht der Herr, HERR“ (Verse 3–6; Verse 7–14; Verse 15–18; Verse 19–21).
Mit den drohenden Worten: „Siehe, ich will an dich, Tyrus“, sagt Gott voraus, dass Er viele Nationen gegen Tyrus heraufführen wird, wie das Meer seine Wellen heraufführt. Er vergleicht das Heraufführen dieser Nationen mit einer Flut oder einem Tsunami. Wie Gott die Wellen des Meeres beherrscht, so beherrscht Er die Nationen. Diese Nationen kommen dieses Mal nicht mit friedlichen Absichten, um mit Tyrus Handel zu treiben, sondern um es zu zerstören (Vers 4). Der Schutz von Tyrus wird niedergerissen und in Staub verwandelt werden. Die stolze Handelsstadt, die auf einem Felsen mitten im Meer gebaut war, von Menschen wimmelte und sich ihrer Schätze rühmte, wird zu einem unfruchtbaren Felsen werden, auf dem niemand leben kann.
Der Felsen mitten im Meer kann nur noch dazu dienen, Netze zu trocknen (Vers 5). So wird es geschehen, denn der HERR hat es geredet. Was sich dort an Reichtum angehäuft hat, wird von den Nationen als Beute genommen werden. Diejenigen, die auf dem Festland leben, die Töchter, die sich an dem erlangten wirtschaftlichen Wohlstand laben, werden mit dem Schwert getötet werden (Vers 6). So werden sie wissen, dass Er der HERR ist.
In der zweiten Prophezeiung sagt der HERR, wen Er als Feinde nach Tyrus schickt: die Truppen von Nebukadnezar, dem König von Babel (Vers 7). Dieser König mit so viel Macht, dass Gott ihn „den König der Könige“ nennt (Dan 2,37), ist nichts anderes als ein Werkzeug in seiner Hand, einer, der nichts anderes tun kann, als seinen Willen auszuführen. Dieser König wird mit einer riesigen Streitmacht von Norden her gegen Tyrus ziehen und dort zuerst „deine Töchter auf dem Land mit dem Schwert töten“ (Vers 8). Mit den „Töchtern“ sind die Städte und Ortschaften auf dem Festland gemeint, die in der Nähe von Tyrus liegen und von ihr abhängig sind. Dann wird er Tyrus mit schwerer Artillerie belagern. Nach dieser Belagerung wird er die Verteidigungsanlagen mit Gewalt durchbrechen und die Wachtürme niederreißen (Vers 9).
Die Menge seiner Pferde wird so viel Staub aufwirbeln, dass Tyrus davon bedeckt sein wird (Vers 10). Wenn Nebukadnezar mit donnernder Gewalt in das Tor der Stadt stürmt, wird das Donnern der Hufe der Pferde und Wagen die Mauern erzittern lassen. Die Stadt wird wie eine offene Stadt in die Hände des Königs von Babel und seiner Heere fallen. Wenn sie in der Stadt sind, werden die Straßen von den Pferden zerstampft werden (Vers 11). Keine passierbare Straße wird übrig bleiben. Die Einwohner werden getötet werden und jede Festung, in der sich Menschen verschanzt haben, wird zu Boden sinken.
Der angehäufte Reichtum wird zur Beute und alle Waren werden geplündert werden (Vers 12). Nichts von ihren Schätzen wird für sie übrig bleiben. Die Mauern, die sie um ihre Häuser gebaut haben, um ihre kostbaren Villen vor Einbrechern zu schützen, werden zerstört werden. Dann werden ihre begehrten Behausungen, auf die sie so stolz sind, dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Trümmer werden ins Meer gekippt. Das ist das Ende von all ihrem Luxus.
Das wird auch das Ende ihrer Lieder sein, die sie anstimmen (vgl. Amos 5,23) und in denen sie preisen, wie wunderbar es ihnen ergangen ist (Vers 13). Die Harfen, mit denen sie ihren Gesang begleiten, verstummen für immer. Gott hat ihrem Schall ein Ende gesetzt.
So wird der HERR Tyrus zu einem kahlen Felsen machen, wo nichts mehr ist und niemand lebt (Vers 14). Nur die zum Trocknen ausgelegten Netze bleiben übrig. Nie wieder wird sich etwas von Tyrus erheben. Weil der HERR geredet hat, wird es so sein.