Behandelter Abschnitt Klgl 3,55-66
Verse 55–66 | Gebet um Befreiung
55 HERR, ich habe deinen Namen angerufen aus der tiefsten Grube. 56 Du hast meine Stimme gehört; verbirg dein Ohr nicht vor meinem Seufzen, meinem Schreien! 57 Du hast dich genaht an dem Tag, als ich dich anrief; du sprachst: Fürchte dich nicht!
58 Herr, du hast die Rechtssachen meiner Seele geführt, hast mein Leben erlöst. 59 HERR, du hast meine Bedrückung gesehen; verhilf mir zu meinem Recht! 60 Du hast gesehen all ihre Rache, alle ihre Pläne gegen mich.
61 HERR, du hast ihr Schmähen gehört, alle ihre Pläne gegen mich, 62 das Gerede derer, die gegen mich aufgestanden sind, und ihr Sinnen gegen mich den ganzen Tag. 63 Schau an ihr Sitzen und ihr Aufstehen! Ich bin ihr Saitenspiel.
64 HERR, erstatte ihnen Vergeltung nach dem Werk ihrer Hände! 65 Gib ihnen Verblendung des Herzens, dein Fluch komme über sie! 66 Verfolge sie im Zorn und tilge sie unter dem Himmel des HERRN hinweg!
In der dunkelsten Nacht des Elends rief Jeremia den Namen des HERRN an (Vers 55). Das hat auch Jona getan, als er in der Finsternis des Bauches des Fisches saß (Jona 2,1-10). In dieser großen Not und während Jeremia zum HERRN fleht und sich auf seinen Namen beruft, bekommt er die innere Gewissheit, dass der HERR seine Stimme gehört hat (Vers 56). Möge Er doch sein Ohr nicht vor ihm verbergen. Möge Er sich doch nicht taub stellen gegenüber seinem Seufzen und seinen Hilferufen. Während des Gebets erinnert er sich an eine frühere Gelegenheit, als er zum HERRN rief. Damals ist Er ihm nahe gewesen. Damals hat Er seine Stimme gehört, und was hat Er geantwortet? „Fürchte dich nicht!“ (Vers 57).
Jeremia erinnert sich auch daran, dass der Herr, Adonai, ihm seinen Anklägern gegenüber immer geholfen und seine Rechtssachen geführt hat (Vers 58). Seine Ankläger verschwanden und sein Leben war außer Gefahr. So hat er den Erhalt seines Lebens dem Herrn zu verdanken. Die höchste Macht hat ihm Recht verschafft und sein Leben gerettet.
Das gibt ihm Mut, bei Gott anzuklopfen, dass Er ihm auch jetzt wieder Recht verschaffe. Er spricht Ihn in Vers 58 nachdrücklich als „Herr“, Adonai, und in Vers 59 als „HERR“, Jahwe, an. Er richtet einen eindringlichen Appell an Ihn als den souveränen Herrscher (Adonai) und den treuen Gott des Bundes (Jahwe).
Der Herr weiß, dass sein Diener sich ungerecht behandelt fühlt und dass ihm Unrecht getan wurde, sodass dieser Ihn bittet, ihm gegenüber seinen Feinden zu seinem Recht zu verhelfen (Vers 59). Denn seine Feinde sind auf Rache aus und schmieden Pläne gegen ihn (Vers 60).
Der HERR hat nicht nur das Flehen seines Dieners gehört, sondern auch die Schmähungen der Feinde und ihre Pläne gegen ihn (Vers 61). Er hat ihr Gerede und sogar ihr Flüstern gehört und alles, was sie den ganzen Tag gegen ihn ersonnen haben (Vers 62). Nichts anderes beschäftigt sie, ihr Leben ist erfüllt von Hass gegen ihn. Möge doch der HERR das alles sehen, jede ihrer Bewegungen wahrnehmen, denn er ist für sie zum Spottlied geworden (Vers 63).
Dieses Kapitel endet nun mit einer neuen Gewissheit. Es ist mehr eine Gewissheit als eine Aufforderung an den HERRN, den Feinden zu vergelten nach allem, was sie verdienen (Vers 64). Jeremia bittet dies nicht aus Rachsucht, sondern er weiß um die Gerechtigkeit Gottes, der sein Volk nicht für immer der grenzenlosen Willkür seiner Feinde ausliefern wird. Dabei nimmt Jeremia das Recht nicht selbst in die Hand, sondern er überlässt die Vergeltung dem HERRN.
Jeremia bittet jedoch, und zwar in Übereinstimmung mit Gottes Handeln mit solchen Menschen, dass der HERR ihre Herzen verblenden und ihr Gericht besiegeln wolle, sodass der Fluch über sie kommt (Vers 65). Er fügt hinzu, der HERR möge sie in seinem Zorn so verfolgen, dass sie unter dem Himmel vertilgt werden (Vers 66).
Es ist nicht der Wunsch nach persönlicher Genugtuung, der Jeremia so bitten lässt. Er bittet dies, weil sie es Gottes Volk, Gottes Stadt, Gottes Tempel und damit letztlich Gott selbst angetan haben. Er hat das Verlangen, dass der Name Gottes verherrlicht wird.