Behandelter Abschnitt Jer 6,22-30
Verse 22–30 | Der Schrecken des Feindes
22 So spricht der HERR: Siehe, es kommt ein Volk aus dem Land des Nordens, und eine große Nation macht sich auf vom äußersten Ende der Erde. 23 Bogen und Wurfspieß führen sie, sie sind grausam und ohne Erbarmen; ihre Stimme braust wie das Meer, und auf Pferden reiten sie: gerüstet gegen dich, Tochter Zion, wie ein Mann zum Kampf. 24 Wir haben die Kunde von ihm vernommen: Unsere Hände sind schlaff geworden; Angst hat uns ergriffen, Wehen, wie [bei] einer Gebärenden. 25 Geh nicht hinaus aufs Feld und wandle nicht auf dem Weg; denn der Feind hat ein Schwert – Schrecken ringsum! 26 Tochter meines Volkes, gürte dir Sacktuch um und wälze dich in der Asche, trauere wie um den einzigen [Sohn], führe bittere Klage! Denn plötzlich wird der Verwüster über uns kommen. 27 Ich habe dich zum Prüfer für mein Volk gesetzt, als eine Festung, damit du ihren Weg erkennen und prüfen mögest. 28 Allesamt sind sie die Widerspenstigsten der Widerspenstigen; sie gehen als Verleumder umher, sie sind Kupfer und Eisen; sie sind allesamt Verderber. 29 Versengt vom Feuer ist der Blasebalg, zu Ende ist das Blei; vergebens hat man geschmolzen und geschmolzen: Die Bösen sind nicht ausgeschieden worden. 30 Verworfenes Silber nennt man sie, denn der HERR hat sie verworfen.
Der HERR sagt voraus, dass das abtrünnige Volk von einem rücksichtslosen Volk aus dem Norden, nämlich Babel, überrannt werden wird (Verse 22.23). Ohne jedes Erbarmen werden sie Tod und Zerstörung um sich herum säen. Der Eifer, mit dem sie heranstürmen, ist wie das Brausen des Meeres, von dem eine Welle auf die andere folgt. So geht es unaufhörlich weiter. Diese Abfolge von Wellen kann durch keine menschliche Kraft aufgehalten werden. Sie reiten auf Pferden, was die Schnelligkeit ihres Kommens unterstreicht. Die Männer sind zum Kampf aufgereiht, was auf ihre Zielstrebigkeit hinweist. Es richtet sich alles gegen die „Tochter Zion“, was darauf hinweist, dass Jerusalem ein begehrtes Ziel für den anrückenden Feind ist.
Das bloße Gerücht über die Ankunft dieses Feindes verursacht Panik und Lähmung, es herrscht totale Bestürzung (Vers 24). Jeglicher Mut sinkt in ihre Schuhe. Ihre Kehlen sind vor Angst wie zugeschnürt. Sie fühlen sich wie eine Gebärende. Es gibt viel Kummer, der nicht aufgehalten oder rückgängig gemacht werden kann. Es hat keinen Sinn, zu fliehen, denn das Schwert des Feindes ist überall (Vers 25). Wohin man auch schaut, überall sind Feinde. Es gibt buchstäblich „Schrecken ringsum“.
In Vers 26 spricht der HERR zu seinem Volk. Er ruft zur Trauer und zum Wehklagen angesichts des Kommens des Zerstörers auf (vgl. Jona 3,8). Ihre Trauer sollte so tief sein, als ob es sich um den Tod des einzigen Sohnes handelte. Die Trauer über den Tod eines Kindes ist groß, die Trauer über einen einzigen Sohn ist besonders groß, weil damit alle Hoffnung auf Fortführung des eigenen Geschlechts verloren ist. Deshalb muss es auch eine „bittere Klage“ sein. In dieser tiefen Trauer macht sich Jeremia mit seinem Volk eins. Wir sehen dies an dem Wort „uns“.
Der HERR knüpft daran an (Vers 27). Er hat Jeremia als einen eingesetzt, der sich ganz mit dem Volk identifiziert hat, um es prüfen zu können. Seine Gemeinschaft mit dem HERRN befähigt ihn, den Weg des Volkes zu kennen und zu prüfen, wie der HERR ihn kennt. Das unterstellt eine sorgfältige und manchmal langwierige Untersuchung. Das Gericht wird nicht plötzlich, in einem Anfall von Zorn, ausgesprochen. Außerdem hat Er Jeremia zu einer Festung für sie gemacht (vgl. Jer 1,18.19). Das heißt, wer auf ihn hört, wird sicher sein.
Die Schlussfolgerung des Prüfers Jeremia ist, dass seine Volksgenossen von allen Widerspenstigen die schlimmsten sind (Vers 28). Das betrifft ihre Haltung gegenüber dem HERRN und das hat auch Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu ihren Volksgenossen. Sie lästern den Namen des HERRN mit beispielloser Härte, „Kupfer und Eisen“, und verderben, was gut ist. Was auch immer der HERR durch seine Gerichte versucht hat, um sein Volk von ihren bösen Wegen abzubringen, es war alles vergeblich (Vers 29).
Wir können an den Blasebalg als ein Bild für die Mittel denken, die der HERR benutzte, um sein Volk zur Umkehr zu bringen. Hier können wir an das Reden der Propheten denken und an die Feinde, die Er gesandt hat. Der Blasebalg ist verbrannt, er funktioniert nicht mehr. Das Blei kam zwar ins Feuer und der Schmelzer tat sein Bestes, um es zu schmelzen und damit zu reinigen, aber alle Mühe ist vergeblich: „Die Bösen sind nicht ausgeschieden worden.“
Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, dass das ganze Volk aus bösen Menschen besteht, dass es niemanden gibt, der eine Ausnahme bildet (vgl. Jer 5,1). Es gibt überhaupt keine Bösen, die man aussortieren könnte, weil es keine Guten gibt. Das Volk als Ganzes ist wie ein unedles Metall. Jeremia kommt zu dem Schluss, dass der HERR sie alle verwerfen muss wie unreines Silber, wie wertloses Metall (Vers 30). Der HERR kann nicht anders, ihre Unverbesserlichkeit zwingt Ihn dazu.