Behandelter Abschnitt Ps 80,1-3
Verse 1b–3 | Gebet um Erlösung
1b Hirte Israels, nimm zu Ohren, der du Joseph leitest wie eine Herde, der du thronst zwischen den Cherubim, strahle hervor! 2 Vor Ephraim und Benjamin und Manasse erwecke deine Macht und komm zu unserer Rettung! 3 Gott, führe uns zurück und lass dein Angesicht leuchten, so werden wir gerettet werden!
In Asaph wendet sich der treue Überrest an dem „Hirten Israels“ (Vers 1b). In der Vergangenheit führte der HERR als Hirte sein Volk durch Mose und Aaron aus Ägypten heraus (Ps 77,20). Israel ist die Herde, die von Gott selbst geweidet wurde (Ps 79,13). Prophetisch gesehen wird sich dies erfüllen, wenn der HERR selbst der Hirte über Israel sein wird, um sie zu weiden (Hes 34,23). Israel steht hier sowohl für das Zweistämmereich als auch für das Zehnstämmereich (Hes 37,15-28).
Der Name „Hirte“ als Name Gottes erscheint zum ersten Mal in Jakobs Segen für Joseph (1Mo 49,24). Joseph, der das Zehnstämmereich repräsentiert, wird stark hervorgehoben. Das Zweistämmereich und das Zehnstämmereich sind nun vereint (vgl. Hes 37,15-176; Off 7,4-8). Der Überrest kommt aus den zwei Stämmen und aus den zehn Stämmen. Dieser eine Überrest in der Endzeit ist ganz Israel, das gerettet wird (Röm 11,26).
Sie bitten Gott, ihre Not „zu Ohren“ zu nehmen, denn sie haben den Eindruck, dass Er sich von ihnen abgewandt hat. In der zweiten Zeile von Vers 1b sagen sie zu Ihm, dass Er Joseph „wie eine Herde“ leitet. Joseph, der Vater von Ephraim und Manasse, steht hier für das ganze Volk. Das geht aus der Parallele zur ersten Zeile von Vers 2 hervor, wo von Israel die Rede ist. Der Überrest sowohl aus den zwei als auch aus den zehn Stämmen sieht sich als Schafe, die von Ihm damals aus Ägypten geführt wurden. Aber sie sind in Not und vermissen den Schutz des Hirten. Ein Appell an Gott als Hirten kann nur von einem Schaf seiner Herde gemacht werden.
Er „thront zwischen den Cherubim“. In der Vergangenheit befand sich der Ort der Begegnung mit Gott zwischen den beiden Cherubim auf dem Sühnedeckel (2Mo 25,22). Er musste diesen Ort wegen der Untreue seines Volkes verlassen (Hes 9,3; 10,4.18.19; 11,23). Der Überrest hat das verstanden. Der HERR aber thront noch immer zwischen den Cherubim im Himmel.
Der Überrest bittet nun durch den Psalmisten den HERRN, auf die Erde zurückzukehren (vgl. Hes 43,1-5). Sein Erscheinen bedeutet gleichzeitig die Erlösung für sein Volk (Verse 2.3).
Der Überrest bittet Ihn, „hervorzustrahlen“, d. h. offen als Herrscher in der jetzt herrschenden Finsternis zu erscheinen. Sein Erscheinen vertreibt die Finsternis. Der Ruf „strahle hervor!“ bezieht sich auf das Erscheinen des HERRN auf der Erde, um zu richten und zu erlösen (vgl. Ps 50,2; 94,1).
Er, der die Welt regiert, wohnt inmitten seines Volkes zwischen den Cherubim auf der Lade (2Mo 25,22; 1Chr 28,18; Hes 10,1), die in Vers 2 „deine Macht“ genannt wird. Der Überrest ruft Gott an, seine Macht zu erwecken (vgl. 4Mo 10,35.36; Ps 35,23), d. h. sich zu erheben und gegen die Feinde vorzugehen, um sie aus ihrem Griff zu befreien. „Ephraim und Benjamin und Manasse“ befinden sich im Lager in der Wüste unter dem gleiche Banner, dem Banner Ephraims, an der Westseite der Stiftshütte (4Mo 2,17-24). Das sind die Stämme, die während der Wüstenreise direkt nach der Bundeslade aufbrachen und sich auch nach ihr als erste lagerten (4Mo 10,21-24). Zusammen mit den Kehatitern leben sie mit der Lade oder der Macht Gottes direkt vor ihren Augen.
In ihnen sehen wir auch das ganze Volk vertreten: Ephraim repräsentiert das Nordreich, Benjamin das Südreich. Ein Teil von Manasse wohnt auf der anderen Seite des Jordans. Er repräsentiert die zweieinhalb Stämme. Die drei Namen sind die Namen der Nachkommen Rahels, die im Land wiederhergestellt werden (vgl. Jer 31,15).
Die Bitte der zehn Stämme an Gott ist, sie wieder in ihr Land zu bringen (Vers 4). Aufgrund ihrer Untreue befinden sie sich jetzt außerhalb des Landes. Mit ihrer Bitte erkennen sie an, dass sie kein Recht und keine Macht haben, in das Land mit seinen Segnungen zurückzukehren. Gleichzeitig impliziert ihre Frage, dass Gott in seiner Gnade es tun kann und auch die Macht hat, es zu tun. Sie drückt das Vertrauen in die Gnade und Macht Gottes aus.
Mit der Frage „lass dein Angesicht leuchten“ bitten sie, dass Gott wieder in ihrer Mitte gegenwärtig sein möchte. Wenn Er bei ihnen ist, dann werden sie „gerettet werden“. Sie verbinden im Glauben seine Gegenwart in ihrer Mitte mit der Befreiung ihrer Feinde. Wenn Er anwesend ist, werden die Feinde fliehen oder besiegt werden.
Der hebräische Ausdruck „lass dein Angesicht leuchten“ bedeutet, dass das freundliche, gütige Gesicht lächelt, im Gegensatz zu dem Gesicht, das dunkel, düster oder zornig ist. Zweifellos dachte der Psalmist dabei an den priesterlichen Segen aus 4. Mose 6 (4Mo 6,24-26; vgl. Ps 31,16; 67,1).
Aus Johannes 1 wissen wir, dass Gott seine Gnade nur geben kann, weil Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus geworden ist. Aus seiner Fülle empfangen wir, sowohl die Christen als auch der künftige Überrest Israels, Gnade um Gnade (Joh 1,16.17).