Behandelter Abschnitt Hiob 3,20-26
Verse 20–26 | Welchen Sinn hat ein Dasein wie meines?
20 Warum gibt er dem Mühseligen Licht, und Leben denen, die bitterer Seele sind; 21 die auf den Tod harren, und er ist nicht da, und die nach ihm graben, mehr als nach verborgenen Schätzen; 22 die sich freuen bis zum Jubel, Wonne haben, wenn sie das Grab finden – 23 dem Mann, dessen Weg verborgen ist und den Gott eingeschlossen hat ringsum? 24 Denn vor meinem Brot kommt mein Seufzen, und wie Wasser ergießt sich mein Gestöhn. 25 Denn ich fürchtete einen Schrecken, und er traf mich, und wovor mir bangte, das kam über Mich 26 Ich war nicht ruhig, und ich rastete nicht und ruhte nicht, da kam das Toben.
Hiob kann den Tag seiner Geburt nicht auslöschen (Verse 1–10) und kann seine Geburt nicht ungeschehen machen (Verse 11–19). Es bleibt die Frage, welchen Sinn sein Leben hat, jetzt, wo er sich in einem solchen Elend befindet. Er fragt sich, warum Gott Menschen leben lässt, die lieber sterben würden. Darum geht es in den Versen 20–26. Eine solche Frage ist ihm wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen, als er wohlhabend war. Er maß den Wert seines Lebens an seinen Umständen, nicht an Gottes Absicht. Tun wir das nicht auch oft?
Hiob ist ein Elender und zählt sich selbst zu denen „die bitterer Seele sind“ (Vers 20). Er spricht im Plural: die bitterer Seele sind. Es ist eine Kategorie von Menschen, die sich nach dem Tod sehnen (Vers 21). Der Tod ist für sie das Ende all ihrer körperlichen Leiden und all der Bitterkeit ihrer Seele, aber der Tod lässt sich nicht blicken.
Dann werden sie den Tod suchen, sie werden nach ihm graben, das heißt, sie werden ihn mit der größten Anstrengung suchen, weil sie darauf bedacht sind, ihn zu finden. Sie werden mit noch größerem Eifer danach suchen, als sie es bei der Suche nach verborgenen Schätzen tun würden. Selbst wenn sie noch so viele verborgene Schätze finden, wissen sie, dass der größte Schatz sie nicht von ihrem Leid und ihrer Bitterkeit erlösen kann. Ihrer Meinung nach kann das nur der Tod tun. Deshalb freuen sie sich „bis zum Jubel“, wenn sie das Grab finden (Vers 22). Dann haben sie endlich Ruhe.
Hiob sieht nicht, wie sein Weg weitergehen soll (Vers 23). In seiner Verzweiflung fragt er, warum Gott jemandem das Licht des Lebens gibt, der nicht weiß, wie er weiterleben soll, welchen Weg er gehen soll. Bei all seinen Kämpfen deutet nichts darauf hin, dass er sein Leben selbst in die Hand nehmen und Selbstmord begehen möchte. Das war keine Option für Hiob. Selbstmord bedeutet, dass alle Hoffnung und Sicht auf Gott verloren ist. Das ist bei Hiob nicht der Fall. Im Gegenteil, er ist in ein leidenschaftliches Gespräch mit Gott verwickelt, d. h., er drückt alles aus, was er in seinem Herzen an Unverständnis darüber empfindet, was Gott mit ihm hat geschehen lassen.
Hiob beschuldigt sogar Gott, ihm den Weg zu versperren (vgl. Klgl 3,9). Für Hiob ist es so, als ob der Gott, der ihn und seinen Besitz zuerst von allen Seiten beschützt und damit vor allem Bösen abgeschirmt hat (Hiob 1,10), ihn nun mitten in alles Böse stellt und ihn so abschirmt, dass er ihm nicht entkommen kann, ihm keinen Ausweg gibt (vgl. Klgl 3,2-7). Wenn wir uns in einer solchen Situation befinden und auch keinen Ausweg sehen, möchte Gott, dass wir unseren Blick auf den einzigen Ausweg richten, der immer offen bleibt: den Weg nach oben (2Kor 4,8b).
Für Hiob ist Gott der Verursacher des Übels, das ihn befallen hat, und nicht Satan. Nirgends spricht Hiob von Satan als dem Urheber seiner Katastrophen. Er hat nicht, wie wir, hinter die Kulissen geschaut und weiß nichts von dem Tun des Satans. Er denkt nicht an diese Möglichkeit. Er denkt nur an Gott, auch bei seinen weiteren Kämpfen. Dies ist ein Merkmal wahrer Gottesfurcht.
Er weiß, dass Gott ihm zuerst Brot gegeben hat (Vers 24). Es ist nichts mehr davon übrig. Alles wurde ihm weggenommen. Das Einzige, was ihm etwas Erleichterung verschafft, ist das Seufzen. Er hat auch kein Wasser. Sein Wehklagen hat dessen Platz eingenommen. Es zeigt auch an, dass die Schmerzen wie ein nicht endender Strom über ihn hinwegfließen.
In Vers 25 sehen wir, dass Hiob während all des Wohlstands, den er genoss, dennoch auch von der Angst geplagt wurde, dass sein Wohlstand eines Tages weggenommen werden könnte. Er hatte Furcht vor einer Katastrophe. Eine große Anzahl von Katastrophen kam über ihn in all ihrer Heftigkeit. Schon in seinem Wohlstand hatte Hiob keine Ruhe und Sicherheit. Und die hat er jetzt schon gar nicht mehr (Vers 26). Die Stille ist verflogen. Er war schon vorher nicht ruhig, aber jetzt hat der innere Aufruhr solche Ausmaße angenommen, dass es ihn zur Verzweiflung treibt.